Am 2. September 1982 wandten sich neun Priester der Erzdiözese Vilnius — Mitglieder des Priesterrates — mit einer Erklärung an alle Bischöfe Litauens, in der sie auf den verderblichen Zustand in dem Priesterseminar zu Kaunas hinweisen, der nach einer schnellen und effektiven Entscheidung verlangt.

»Auf dem Himmelsgewölbe der helleren Zukunft erschien bedrohlich das Damoklesschwert«, schreiben die Priester aus Vilnius. Wegen der schlechten Auslese und der Einmischung der Zivilregierung gelangten nicht wenige total ungeeignete Kandidaten in das Priesterseminar. Dieses zerstörerische Element ist ein wahres trojanisches Pferd im Priesterseminar, dessen ver­derbliche Wirkung jetzt schon deutlich zu sehen ist. Die Früchte seiner Wirkung werden in Zukunft noch trauriger aussehen. »Unsere Ohren er­reichen alarmierende Signale über die Zerrüttung der Disziplin«, schreibt der Priesterrat: »einige Seminaristen trauen sich sogar, Schnaps in das Prie­sterseminar mitzubringen; über die frommen Seminaristen wird gespottet, ihnen werden anonyme Briefe geschrieben.«

Die Priester bedauern, daß die Leitung des Priesterseminars und die Ordi-narbsichöfe in der Angelegenheit der ungeeigneten Seminaristen keine Kon­sequenzen ziehen, sondern im Gegenteil sogar überlegen, die wegen unmora­lischen Betragens unwiderruflich des Priesterseminars verwiesenen Semi­naristen in das Priesterseminar wieder aufzunehmen. Die Nachgiebigkeit der Zivilregierung gegenüber, bemerken die Mitglieder des Priesterrates, ist eine große Benachteiligung für die Kirche und ein tödlicher Schlag für das Priesterseminar selbst. Es bietet sich der Gedanke an, daß die Zivilregierung das Priesterseminar in Kaunas leitet. In solcher Atmosphäre der Nachgiebig­keit seitens der Leitung des Priesterseminars und der Frechheit einiger Se­minaristen von einer Erziehung zu reden, ist wirklichkeitsfern. Man hört sogar, so behaupten die Mitglieder des Rates, daß die Ordinarbischöfe mit der Begründung des Mangels an Priestern gegen die Entlassung der unge­eigneten Alumnen sind. Wem dienen die ungeeigneten Priester mehr: der Kirche, oder der Gottlosigkeit? Wenn einmal ein paar hundert Priester der älteren Generation aus der Arbeit ausscheiden, dann werden neue Priester ihre Stellen einnehmen, von denen ein bedeutender Teil nur Mietlinge sein werden, und einige davon sogar aktive Zerstörer der Kirche. Sie werden, unterstützt von der Zivilregierung, die Posten der Leitung des Priestersemi­nars und der Ordinarbischöfe wie auch die verantwortungsvollsten Stellen übernehmen.

Die Mitglieder des Priesterrates von Vilnius bitten alle Bischöfe, ungeachtet aller Schwierigkeiten, den Geist des Interdiözesanpriesterseminars zu Kaunas wiederherzustellen.

Im Jahre 1982 studieren im ersten Kurs des Priesterseminars zu Kaunas folgende Seminaristen:

Baliūnas Jonas Birbilas Ričardas Gražulis Kazimieras Jasonis Antanas Jurevičius Liudas Kasiukevičius Jonas Kaušas Rolandas Kiškis-Zajančauskas Vilius Kurtinaitis Vytautas Kusas Jonas Petkūnas Algimantas

Petrikas Jeronimas Projara Vytautas Putramentas Antanas Sadauskas Jonas Seniutis Antanas Šimkus Antanas Ridzykas Edvardas Ručinskas Romualdas Rumšas Robertas Tutkus Algirdas Zubavičius Valius

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Das KGB umwarb die Eintretenden sehr intensiv für die Spitzelarbeit.

Der Bevollmächitgte des Rates für Religionsangelegenheiten P. Anilionis kam am 7. September in das Priesterseminar und lud die Seminaristen des ersten Kurses ein, um sie zu »bilden«. Das ist das erste Mal in der Geschichte des Priesterseminars, daß die Seminaristen vom ersten Tag an von den Re­gierungsbeamten grob genötigt werden, sich vorzubereiten, nicht Priester zu sein, sondern Kultusdiener.

Anfangs las P. Anilionis ein Reuebekenntnis des früheren Seminaristen Aloyzas Volskis wegen seines Betragens im Priesterseminar vor. (Aloyzas Volskis wurde von den Priester-»Diplomaten« überredet, eine Sühneerklä­rung« an P. Anilionis zu schreiben; dann würde die Regierung ihm vielleicht erlauben, wieder in das Priesterseminar zurückzukehren. Obwohl sich die sowjetische Regierung über diese Erklärung sehr freute und sie andauernd zitierte, erlaubte sie trotzdem auch dieses Jahr Aloyzas nicht, in das Prie­sterseminar zurückzukehren. Möglicherweise glaubt sie, damit den Idealismus des jungen Mannes gänzlich brechen zu können).

Anschließend schimpfte der Bevolllächtigte über die aktiven Priester, indem er sagte, daß diese einen Krieg wünschten (!): sie desinformierten das Aus­land, verhinderten, eine Devotionalienindustrie zu gründen usw.

P. Anilionis behauptete, daß die sowjetische Regierung nicht bereit sei, in Bezug auf Vorschriften der religiösen Vereinigungen Zugeständnisse zu ma­chen. Man werde den Extremisten nicht erlauben, sich wichtig zu machen. Am Schluß seiner Rede ermahnte der Bevollmächtigte, daß es noch öfters notwendig sein werde, mit ihm zusammenzutreffen.