Am 30. Oktober 1982 wurde der Lehrer Petras Paulaitis nach 35jähriger Gefangenschaft aus dem Isolator des KGB in Vilnius in die Freiheit entlassen.
Petras Paulaitis wurde am 29. Juni 1904 in der Gemeinde Jurbarkas, Dorf Kalnėnai geboren. 1922 reiste er ins Ausland (nach Italien), wo er, nach dem Abschluß des Gymnasiums, 2 Jahre lang Philosophie und Pädagogik studierte. 1928 verließ er Italien und leistete 4 Jahre lang pädagogische Arbeit in Portugal in Lissabon. 1936 kehrte P. Paulaitis wieder nach Italien zurück und studierte im Internationalen Theologieinstitut der Stadt Turin Theologie. Nach dem Abschluß des Theologiestudiums studierte er noch zwei Jahre lang die politische Ökonomik und spezialisierte sich in der lateinischen Sprache. 1938 erlangte P. Paulaitis in Rom die Diplome der erwähnten Fachkenntnisse und kehrte nach Litauen zurück.
Nachdem die Sowjets 1939 Litauen besetzt hatten, wurde P. Paulaitis verhaftet; es gelang ihm aber, sich herauszuwinden — sie begnügten sich mit seiner Entlassung als Lehrer. Später entstand wieder Gefahr, erneut verhaftet zu werden, deshalb wich er nach Deutschland aus, von wo er im Juni des nächsten Jahres nach Litauen zurückkam. Nachdem das Toben des Krieges durch Litauen gegangen war, lehrte Petras Paulaitis am Gymnasium zu Jurbarkas die lateinische Sprache und die Einführung in die Philosophie. Im Herbst 1942 verhaftete die deutsche Gestapo P. Paulaitis im Klassenzimmer. Unterwegs nach Kaunas gelang es P. Paulaitis zu fliehen; seit dieser Zeit lebte und arbeitete er illegal.
Am 12. April 1947 wurde P. Paulaitis vom KGB verhaftet und nach 7mona-tigen grausamen Verhören und Folterungen zu 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. 1956 schaute eine Sonderkommission Moskaus die Akten von P. Paulaitis durch und entließ ihn in die Freiheit; ein Jahr später nahm sie ihn wieder fest und verurteilte ihn wieder zu 25 Jahren.
Als die letzte Strafzeit zu Ende ging, machte sich der Sicherheitsdienst Litauens Sorgen um die Rückkehr von P. Paulaitis. Noch im Lager haben ihn Tschekisten verschiedensten Ranges zu Gesprächen vorgeladen, bei denen auch erwähnt wurde, daß es ihm nicht erlaubt werden könnte, nach Litauen zurückzukehren. P. Paulaitis ließ sich auf solche Gespräche nicht ein, sondern erklärte: »Entweder kehre ich nach Litauen zurück, oder in ein anderes nichtkommunistisches Land der Welt, in dem ich früher gelebt habe.« Nach einiger Zeit verlangten die Tschekisten, daß P. Paulaitis ein Gesuch an die Regierung der LSSR schreiben solle, damit diese ihm erlaube, sich in Litauen niederzulassen. P. Paulaitis verwarf diese Forderung: »Ich meine, daß ich, der 35 Jahre meines Lebens hergegeben habe, das Recht verdient habe, ohne Bedingungen in das Land zurückzukehren, wo ich geboren bin.«
Für die Begegnung mit P. Paulaitis in der Freiheit bemühten sich die Tschekisten die Leute ebenfalls dementsprechend vorzubereiten.
Der Sicherheitsbeamte von Tauragė Vitkevičius lud am 27. Oktober 1982 Leonas Laurinskas vor und ermahnte ihn eindringlich, keinen Empfang für den zurückkehrenden Petras Paulaitis vorzubereiten, denn jegliche Versammlung bei Paulaitis oder mit Paulaitis werde als Verbrechen betrachtet und die Verbrecher würden zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen. Am 18. Oktober 1982 wurde P. Paulaitis heimlich, ohne sich von seinen Schicksalsgefährten verabschieden zu können, aus dem Lager in Mordowien weggefahren. Zum Flughafen gebracht, setzten die Tschekisten P. Paulaitis, möglichst ungesehen von den anderen, in ein Flugzeug, legten ihm Handschellen an, und damit niemand dieses Sinnbild der sowjetischen Freiheit bemerken könne, deckten sie sie mit Zeitungen zu. — Und so behandelte man einen 79 Jahre alten Menschen, der nach 35 Jahren in die »Freiheit«, oder mit den Worten der Gefangenen ausgedrückt, »in die große Zone« zurückkehrt!
Von drei Sonderbegleitern sorgfältig betreut, wurde Petras Paulaitis in das Gebäude des Sicherheitsdienstes nach Vilnius überführt. Während der letzten Gespräche baten, ja bettelten die Tschekisten geradezu, Petras Paulaitis möge sich wenigstens teilweise für schuldig bekennen. »Ich bin nur insofern schuldig, daß ich ein Sohn eines kleinen Volkes bin, eines Volkes, das nicht stark genug war, sich gegen die Besatzungsarmee der Russen zu wehren«, sagte P. Paulaitis. Am vorletzten Tag der Gefangenschaft brachten die Tschekisten P. Paulaitis in einen Universalladen von Vilnius und kauften ihm Kleider für das ihm nach seiner Lagerrechnung zustehende Geld; die Uniform aber nahmen sie weg.
Als der Tschekist Oberleutnant Staškevičius am 30. Oktober 1982 einsah, daß die Verhandlungen gescheitert waren, erklärte er: »Wir werden Dich nicht mehr vor Gericht stellen, solltest Du aber irgendwelche Memoiren oder Erinnerungen aus der Vergangenheit schreiben wollen, dann wirst Du verschwinden, und niemand wird von Dir etwas wissen.« — »Oh ja, ich weiß, daß die Leute bei Euch verschwinden«, antwortete P. Paulaitis. »Sie können mich auch jetzt nicht mehr hinauslassen.«
Nachdem sie am letzten Tag P. Paulaitis zuerst in Vilnius herumgefahren und neue Bauten gezeigt hatten, setzten ihn die Tschekisten in ein Auto und ließen ihn zu seinen Verwandten nach Šakiai bringen.
In der letzten Zeit ließ sich P. Paulaitis in Kretinga, Vytauto 90 nieder. Ab 3. Dezember 1982 hat der Sicherheitsdienst des Rayons Kretinga für P. Paulaitis eine administrative Aufsicht auferlegt, nach der er ein Jahr lang zwischen 21 Uhr am Abend und 9 Uhr morgens sein Haus nicht verlassen darf. Es ist ihm verboten, über die Rayonsgrenzen auszureisen, und jeden Sonntag muß er sich bei der Miliz melden.
Sowohl in der Heimat als auch im Lager und im Ausland wird der Name von Petras Paulaitis mit Liebe ausgesprochen.
Im Sacharow-Tribunal in Kopenhagen wurde P. Paulaitis als Beispiel der moralischen Reinheit charakterisiert.
Nach Meinung vieler hat Gott P. Paulaitis 13 Jahre lang in dem grausamen Gefängnis von Mordowien, dem sogenannten »steinernen Sack«, gehalten, damit Er durch ihn die Gefangenen mehrerer Nationen, besonders die Jugend, die ihren GULAG beginnen, belehren, ermutigen, stärken konnte. In dem Gefänignis in Mordowien, in das er für 6 Monate versetzt wurde, verbrachte P. Paulaitis 13 Jahre. Lange Zeit trug er den Gefangenen das Essen und verteilte die Suppe. Alle waren mit seiner Gewissenhaftigkeit zufrieden.
P. Paulaitis mußte im Gefängnis in der Küche arbeiten. Wenn der Grützebrei fertiggekocht war (ohne Fett brannte er aber an den Kesselwänden stark an), mußte man sofort die Kesselwände mit einem Löffel abkratzen, damit man für den Abend das Wasser kochen konnte. Eine unerträgliche Arbeit! Während der Kessel noch heiß war, mußte man halbnackt mit einer umgebundenen Lederschürze über dem Kesselrand hängend, den Kesselboden auskratzen. P. Paulaitis kratzte für sich von dem angebrannten Brei zusammen, und seine Brotration gab er an die Kameraden in der Zelle aus. So begnügte er sich tagelang mit dem angebrannten Brei.
Es ist ein großes Geschenk Gottes, daß P. Paulatis nach 35 Jahren Gefangenschaft die letzten Tage seines Lebens (er ist schon 79 Jahre alt) in der Heimat verbringen darf.
Möge Gottes Segen und Seine Gnade die Schritte dieses edlen Litauers begleiten.