Seit der Regierungsübernahme durch J. Andropow hat sich die Lage der Katholischen Kirche Litauens wesentlich verschlechtert. Die besten Priester werden unter Druck gesetzt, mit Gefängnis bedroht und anderen Schikanen ausgesetzt. Die Unterschriftensammler für die Protestschreiben werden ge­jagt, die Gläubigen — Erwachsene wie Kinder — werden verhört. Die atheistische Propaganda und die Verleumdungen der Priester werden er­heblich gesteigert. Durch Presse und Fernsehen wird erklärt, daß es den Kindern bis zum 18. Lebensjahr nicht erlaubt sei, während der Hl. Messe zu ministrieren und sich an Prozessionen oder im Kirchenchor zu beteiligen. Sie werden wegen der Vorbereitung des Weihnachtsbaumfestes (in Simnas, Prienai, Kybartai) und der Allerseelenprozession verhört und bestraft. Um die Kirche herum schleichen die Lehrer, und manchenorts sogar die Miliz, und beobachten dabei, ob die Kinder zur Erstkommunion vorbereitet wer­den. Es kommt vor, daß die Kinder auf der Straße angehalten und ausge­fragt werden, ob sie zum Katechismusunterricht gehen. In dem Grad, wie die Regierungsgottlosen den Glauben im Inneren des Landes verfolgen, versuchen sie nachher die Meinung des Auslands von der gänzlichen Freiheit der Religion in Litauen zu überzeugen. Sie lassen die Bischöfe nach Rom zum »ad limina«-Besuch fahren, und die Priester stecken sie in die Ge­fängnisse. Die Friedensdelegationen der Priester reisen zu den verschieden­sten Kongressen, in Litauen selbst aber herrscht der schärfste Zwang, das Statut der religiösen Gemeinschaften einzuhalten, das eine gänzliche Ver­nichtung der Kirche erreichen will. Die Bemühungen der Kirche Litauens, die von der Verfassung garantierten Rechte wiederzuerlangen, erscheinen nach menschlichem Ermessen als hoffnungslos; die Regierung reagiert auf keine Proteste, antwortet auf keine Erklärungen, selbst wenn sie von Zehn­tausenden unterzeichnet sind; die Gläubigen werden diskriminiert, die Reihen der Priester lichten sich. Es gibt immer mehr Pfarreien, die keinen Priester mehr haben. Und gerade in diesem entscheidungsvollen Moment verliert Litauen auch noch zwei seiner eifrigsten Priester: Alfonsas Sva­rinskas und Sigitas Tamkevičius.

Wenn man dies alles überlegt, kommt einem da nicht der Gedanke: War denn das wirklich nötig? Hätte man dieses Opfer nicht vermeiden können?

Es ist klar, daß diese zwei Priester Litauens der Verhaftung und dem Ge­fängnis hätten entgehen können, wenn sie das den Gläubigen zugefügte Unrecht nicht gesehen hätten und wenn sie sich dem Schrei der Hilferufen­den gegenüber taub gestellt hätten, um ihr warmes Plätzchen zu hüten, wie dies auch andere heutzutage nicht selten tun, die, wie eine alte litauische Redensart sagt, ruhig unter dem Besen sitzenbleiben. Ist das aber alles? Nein! Sie konnten nicht anders handeln, weil sie wahre Hirten gewesen sind.

Es finden sich auch solche, die sie wegen ihres Mutes für unklug halten. Es ist möglich, daß manchen seinerzeit auch jene als unklug erschienen, die zu Zeiten der Unterdrückung durch den Zaren Gesuche an die Regierung richteten, damit diese den Litauern erlaube, Bücher in lateinischer Schrift zu drucken; für unklug hielten sie wohl auch jene unserer Buchträger, die solche Bücher über die Grenze brachten und sie im Volke verbreiteten, denn sie haben dafür leiden müssen und die meisten von ihnen beendeten ihre Tage in Sibirien. Erschien vielleicht ihr Kampf den »Klugen« jener Zeiten nicht als sinnlos und unklug? Kann vielleicht ein kleines Häuflein von Mutigen gegen eine riesenhafte Gendarmerie des zaristischen Imperiums durchhalten?! Damals war es ja geradezu lächerlich, an die Freiheit der Presse und des Volkes zu denken. Und trotzdem: Der Kampf war nicht umsonst! Manche hielten auch den Bischof von Kaišiadorys, T. Matulionis, für unklug, als dieser wegen der Festnahme der Jugend, besonders der minderjährigen Mädchen, während einer Ablaßfeier im Dom von Kaišiadorys an die deutsche Besatzungsmacht ein scharfes Protestschreiben richtete, wo­für ihm ebenfalls eine Festnahme drohte. Als Dummköpfe sind auch jene betrachtet worden, die zu Zeiten der deutschen Besatzung die der Vernich­tung geweihten Juden versteckt und versorgt haben, wie der Priester Statkus und der Priester Paukštys. Sie haben ihre Freiheit und ihr Leben riskiert. Sie haben es deswegen riskiert, weil sie wahre Hirten gewesen sind.

Auf die inhaftierten und eingekerkerten Priester — Priester A. Svarinskas und Priester S. Tamkevičius — treffen die Worte von Harnack zu: »Es gibt Höheres als die Freiheit: die Wahrheit.« Ja, sie haßten die Lüge, die so stark bei uns verbreitet ist, und sie kämpften für die Wahrheit, und dafür haben sie die Freiheit verloren.

Wahrscheinlich ist das Bekenntnis des Wissenschaftlers von Weltruf, des Juden Albert Einstein, allgemein bekannt: »Mich hat die Kirche nie inter­essiert, jetzt aber empfinde ich für sie eine große Verehrung und Zunei­gung, denn nur die Kirche allein hat den Mut und die Ausdauer, um die Wahrheit und die Freiheit des Menschen zu verteidigen. Da ich die Freiheit liebe, dachte ich, als Hitler die Regierung in Deutschland übernahm, daß wenigstens die Universitäten die Freiheit verteidigen würden, weil sie die Verkünder der Wahrheit sind. Aber die Universitäten schwiegen. Dann dachte ich, daß die Redakteure der Zeitungen die Freiheit verteidigen würden, die so oft genußvolle Artikel über die Freiheit geschrieben hatten, aber nach einigen Wochen verstummten auch sie. Nur die Kirche allein stand die ganze Zeit Hitler quer im Wege, der die Wahrheit erdrücken und die Freiheit vernichten wollte.« Ähnlich ist es jetzt in Litauen. Gegen die mit allen Mitteln verbreitete Lüge kämpfen am meisten die Priester.

Denen, die diese Priester als Hitzköpfe und Extremisten betrachten, müßte man in Erinnerung bringen, daß sie nicht die einzigen und auch nicht mehr die ersten Menschen solcher Art sind.

Als der Zar Rußlands seinerzeit ganz Litauen im Schnaps ertränken wollte, gründete der Bischof von Niederlitauen (Žemaičiai), M. Valančius, Vereini­gungen der Abstinenzler, und als die Regierung sie verbot, gab er ein Schreiben an die Priester heraus, in dem er sie aufforderte, solchen Ver­boten nicht zu gehorchen. Deswegen hat er viele Unannehmlichkeiten vom Gouverneur bekommen. Der Jugendfreund des Dichters Baranauskas, der Priester K. Kairys, wurde nach Ostrußland verbannt und starb dort als 29jähriger, weil er, ohne erst die Regierung zu fragen, das Gebäude des neuen Gymnasiums eingeweiht hatte. Der Priester M. Krupavičius trug wegen zweier Memoranden ebenfalls die Ketten der Unfreiheit, weil er darin gegen die Absichten der Besatzer und gegen ein unmenschliches Um­gehen mit den Menschen protestierte. Der Priester A. Lipniūnas beendete sein Leben im Lager von Stuthof, weil er in der St.-Johannes-Kirche zu Vilnius über die Besatzer sprach, die die Jugend mit Tabak und Schnaps kaufen wollten. Zu Hitlers Zeiten wurden etwa 4000 Priester vernichtet, die der Lüge gegenüber nicht gleichgültig waren. Zu allen Zeiten, sogar in den dunkelsten, trug die Priesterhand die Leuchte der Wahrheit zu den Brüdern in der Not. Das ist die Berufung des Priesters. Wenn die anderen wanken, muß er fest bleiben; wenn die anderen schweigen, muß er reden; wenn die anderen nachgeben, muß er sich widersetzen; wenn die anderen lie­derlich werden, muß er das eigene Leiden mit dem Erlöserleiden des Herrn vereinen und für das Volk beten.

Es ist kein Geheimnis, daß es heutzutage auch unter den Priestern solche gibt, die nachgeben, indem sie sagen, daß man »nicht gegen den Wind blasen kann«; sie schweigen, wenn man reden muß; sie schließen die Au­gen, wenn sie die Wahrheit sehen. Ein Teil von ihnen verhält sich deshalb so, weil sie ihr irdisches Dasein hüten, weil sie die Ungnade der Regierung nicht auf sich ziehen wollen, weil sie nicht auf niedrigere Posten zurück­versetzt werden wollen. Sie sind es meistens, die den eifrigen Priestern die Benennung »Extremisten« aufkleben. Extremisten waren auch der Bischof M. Valančius, der Bischof T. Matulionis, der Diener Gottes Erzbischof

J. Matulevičius, der in seinem Tagebuch schreibt: »Gott gebe es, daß wir von dem einen großen Gedanken ergriffen werden: Für die Kirche sich abzuplagen und zu leiden, .. . das eigene Leben für Gott und die Kirche hinzugeben; in den Arbeiten, Nöten und Kämpfen für die Kirche aufge­braucht und aufgerieben zu werden. Mögen wir die große Tapferkeit be­sitzen, ohne Angst vor Hindernissen seitens der Welt oder ihrer Mächte, ohne irgendeine Furcht, sich zu unterwerfen, mutig in die Arbeit, in den Kampf für die Kirche dorthin zu gehen, wo es am nötigsten ist, das heißt dorthin, wo die weltliche Regierung die Kirche und die Klöster verfolgt, die Kirche und ihre Organisationen und Ämter einschränkt. Mögen wir nur das einzige fürchten: Zu sterben, ohne für die Kirche, für die Erlösung der Seelen, für die Verbreitung der Ehre Gottes gelitten, sich abgeplagt, gearbeitet zu haben...« Solche Extremisten waren auch Priester K. Kairys, Priester A. Lipniūnas, Prälat M. Krupavičius, jene 4000 Priester, die von den Nazis vernichtet worden sind; solche Extremisten waren alle unsere Buchträger, die die litauische Sprache gerettet haben. Solche Extremisten waren auch Sokrates und Plato, der aus Syracus verjagt wurde, wie auch Gandhi... Solche Extremisten sind auch unsere Priester-Märtyrer — Prie­ster A. Svarinskas und Priester S. Tamkevičius. Das sind Ehrenreihen.

Die Geschichte ist nicht immer in der Lage, in der Gegenwart alles richtig einzuschätzen, oft sagt sie ihr Wort erst nachträglich, aber sie sagt es.

Die Tapferkeit und das Opfer der Entschlossenen muß die Schwäche der anderen aufwiegen. G. Papini schrieb seinerzeit: »Ich bitte weder um Brot noch um Mitgefühl, ich bitte nur um ein kleines Atom der Wahrheit...« Man müßte meinen, daß auch unsere Märtyrer-Priester — Priester A. Svarinskas und Priester S. Tamkevičius — nicht um Brot bitten oder um Mitgefühl. Sie bitten nur um ein bißchen Einsicht, damit wir die Wahrheit besser ver­stehen können.

Die Vorhalle der Universität von Uppsala schmücken die Worte: »Es ist schön, frei zu denken, noch schöner ist es aber, richtig zu denken.« Denken wir richtig über unsere verhafteten Märtyrer-Priester, über die ganze jetzige Lage der Kirche?

Papst Gregor VII. hat gesagt: »Ich liebte die Wahrheit und haßte die Un­wahrheit, deswegen sterbe ich in der Verbannung.« Auch unsere Priester — Priester A. Svarinskas und Priester S. Tamkevičius — befinden sich in der Unfreiheit, weil sie die Wahrheit geliebt und die Unwahrheit gehaßt haben, weil sie ihre Pflichten und Verantwortung ernst genommen haben.