In Ihrer Zeitung war am 5. Februar d. J. (in der Nr. 16) ein Artikel mit der Uberschrift »Ateismas, dorovė, religija« (»Atheismus, Sittlichkeit, Re­ligion«) von Kestutis Deksnys abgedruckt. Wenn auch die Redaktion mit Belobigungen für den Verfasser dieses Artikels nicht geizt, er »imponiere durch seine gute Vorbereitung und Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der Zu­hörer zu wecken«, so wird doch ein aufmerksamer Leser gleich merken, daß ihm das einfachste Wissen, besonders in Geschichte, fehlt.

Hier einige Fakten: Der Verfasser wirft der Kirche vor, daß sie angeblich lehre, daß »jede Regierung von Gott ist«. Wenn die Kirche dies lehren würde, dann gäbe es keine Christen, denn die Kaiser haben ihnen verboten, Christus als Gott zu verehren; die Christen hätten ihnen gefolgt und wären zum Heidentum zurückgegangen... Sie glaubten, daß nur die gerechte Regierung und ihre gerechten Forderungen von Gott kommen. V/enn die Regierung ungerecht ist und auch ihre Forderungen ungerecht sind, dann besteht keine Pflicht, ihr zu gehorchen, im Gegenteil: dann besteht die Pflicht, ihr nicht zu gehorchen. Die Christen aller Zeiten wissen: »Man muß Gott mehr ge­horchen als den Menschen.«

K. Deksnys behauptet, daß die Päpste die Kreuzzüge angeblich mit der Absicht organisiert haben, »neue Länder zu erobern, die Einwohner wei­terer Länder zum Gehorsam zu zwingen, Steuern einzunehmen, neue Reich­tümer zu erbeuten.« Ist es wirklich so?

Palästina, Kleinasien, Nordafrika waren doch seinerzeit echt christliche Länder und sie lebten einige Jahrhunderte in Frieden. Später haben die Mohammedaner begonnen, sie anzugreifen, sie mordeten die Christen, zwangen sie, ihren Glauben abzuschwören, trieben die Ungehorsamen in die Sklaverei, vernichteten alles, was den Christen kostbar und heilig war: die Kirchen, die Stätten des Lebens und des Todes Christi. Um diese für die Christen kostbaren Stätten und sie selbst zu beschützen, wurden diese Kreuzzüge organisiert. Das Gegenteil von dem, was Deksnys behauptet, war gerade der Fall: Nicht um fremde Länder zu besiegen, sondern die eigenen zu beschützen, sind die Soldaten der Christen nach Palästina marschiert. Hat es die Sowjetunion nicht auch so gemacht? Warum hat sie gegen die Anhänger Hitlers gekämpft, als diese Lust auf fremde Länder bekamen?

Schließlich begnügten sich die Araber und Türken nicht mehr mit Palästina und Kleinasien, sie setzten nach Europa über, besetzten Griechenland, Bul­garien, Albanien, Jugoslavien, drangen in Ungarn ein, hatten sogar die Hauptstadt Österreichs, Wien, umzingelt und versuchten, in Italien Fuß zu fassen...

Viele Taten der Inquisition verteidigt heute niemand mehr. Hat es aber nicht im 20. Jahrhundert Inquisitionen größeren Ausmaßes und wesentlich grausamere gegeben? Wieviele Millionen völlig unschuldiger Menschen sind zu Zeiten Stalins in Gefängnissen, in Lagern, in der Verbannung und in den Jahren des vorprogrammierten Hungers umgekommen? Welch haarsträu­bende Geschichten kann man von den Ukrainern, Kaukasiern, den Wolga-und Odessadeutschen hören...? Diesen zehnmillionenfachen Opfern gegen­über verblaßt die Zahl der Opfer der Inquisition. Auch von unseren Volks­angehörigen sind in den 16 Jahren stalinistischen Terrors (bis zur XX. Voll­versammlung der Partei) viel mehr ums Leben gekommen als in 200 Jahren von den Kreuzrittern. Warum schreiben Sie über diese Dinge überhaupt nichts, obwohl sie im Andenken der Menschen unseres Volkes noch lebendig sind? Warum schreiben Sie aber mit Genuß über jene Dinge, die vor einigen Jahrhunderten vorgekommen sind und weniger bedeutsam waren? Wie viele Wissenschaftler sind in den sowjetischen Gefängnissen und Lagern umge­kommen (hier nur einige Namen der Spezialisten der Genetikwissenschaften: Wawilow, Tschetwernikow, Feri, Efroimsow, Agol, Levickij, Karpeschenko, Kolsowa, Serebrowskij...)! Ihre Stellen haben solche wie L. Senko, Lepe-sinskaja und andere eingenommen. Auch in Litauen war der berühmte Pro­fessor Sivickis lange Zeit aus seiner Arbeit entlassen, und die Professoren Dovydaitis, Karsavinas, Bischof Reinys sind in Gefängnissen und Lagern gestorben. Es hat also nicht nur im Mittelalter eine Inquisition gegeben... Über die Tätigkeit der Jesuiten schreibt K. Deksnys sehr ungebildet: »Die Tätigkeit der Jesuiten hat eine traurige Berühmtheit erlangt.« Vor vier Jahren feierten wir das 400jährige Jubiläum der Universität in Vilnius. Wer hat denn diese Universität gegründet? Eben diese von Deksnys verhaßten Je­suiten. Er hat vermutlich auch den ersten Hauptband der »Geschichte der Universität von Vilnius« nicht gelesen, wo er schon in der Einleitung folgendes erfahren hätte: »Die Gründung einer Universität ist sogar in un­seren Zeiten im Leben einer Stadt, eines Landes, eines Staates noch ein großes und bedeutungsvolles Ereignis. Um so bedeutungsvoller ist sie im Mittelalter gewesen. Die außerordentliche, geradezu exklusive Bedeutung der Universität für die Bildung, für die Wissenschaft und für die Kultur überhaupt, schlägt sich nieder in dem traditionellen, lieblichen Namen »alma mater«, »Mutter, die Ernährerin«. Gegründet im Jahre 1579 als »Akademia et Universitas Vilnensis«, war sie einige Jahrhunderte die einzige Anstalt für Hochschulbildung im ganzen Großfürstentum Litauen und hatte großen Einfluß auf das intellektuelle Leben des Landes... Für die Univer­sität von Vilnius sind charakteristisch die alten Traditionen der Zusammen­arbeit der Menschen verschiedener Nationen. Hier studierten Litauer und Russen, Polen und Ukrainer, Weißrussen und Letten. Es gab hier Profes­soren beinahe aus allen Ländern Europas. Deswegen sind die Verdienste der Universität nicht nur für die Kultur und Wissenschaften Litauens groß, sondern auch für die der benachbarten Länder, vor allem Polens und Weiß­rußlands. Berühmte Professoren und Studenten der Universität waren maß­gebende Persönlichkeiten in der Welt der Wissenschaft und beeinflußten die wissenschaftliche Meinung der Welt.« (»Vilniaus universiteto istorija« 1579 —1803, Įvadas, 7 — 8 pusi. — »Die Geschichte der Universität zu Vilnius« 1579 —1803, Einführung, Seiten 7 — 8). Sehen Sie, mein lieber Kęstutis, die Verfasser der Geschichte der Universität Vilnius denken ganz anders als Sie, und jeder vernünftige, nicht von Fanatismus erblindete Mensch wird jenen glauben und nicht Ihnen.

Bis zur Ankunft der Jesuiten in Litauen gab es in Litauen nicht nur keine Hochschule, sondern auch keine Mittelschule. Schon im ersten Jahr nach ihrer Ankunft aber eröffneten die Jesuiten eine Mittelschule und nach zehn Jahren auch eine Hochschule. Das ist die älteste Universität innerhalb der Grenzen der Sowjetunion. Diese Universität brachte eine ganze Reihe be­rühmter, sogar weltbekannter Wissenschaftler hervor, wie den Mathematiker Sivanavičius, den Astronomen Počobutas, den Dichter Serbievijus; Vijūkas Kojelavičius schrieb die erste Geschichte Litauens, Sirvydas das erste Wör­terbuch der litauischen Sprache; sie brachte eine ganze Reihe Juristen hervor, die die Verfassung Litauens vorbereiteten, die als juridisches Werk hohen Ranges von allen anerkannt wurde. Außer dem Kolleg in Vilnius wurden noch Mittelschulen in Kaunas, Kražiai, Ilukšta und anderswo gegründet.

Diejenigen also, die über die »traurige Berühmtheit der Tätigkeit der Jesu­iten« reden, kennen die Geschichte Litauens wirklichk schlecht.

Noch unbegründeter ist das von K. Deksnys den Jesuiten vorgeworfene Vergehen, daß sie angeblich gelehrt haben sollen, daß der Zweck die Mittel heilige. Das ist eine aus der Luft gegriffene und von den Gegnern der Je­suiten oft wiederholte Verleumdung; die Richtigkeit dieser Aussage hat aber bis jetzt noch niemand bewiesen.

Mitte des vorigen Jahrhunderts, im Jahre 1852, verkündete der Jesuiten­volksmissionar Roh zu Frankfurt öffentlich: 1. Er sei bereit, einen Preis von 1000 Gulden demjenigen zu zahlen, der der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universitäten Heidelberg oder Bonn einen Hinweis auf ein von einem Jesuiten geschriebenes Werk geben könne, in dem nach der Beurtei­lung der Fakultät diese schamlose Behauptung »der Zweck heiligt die Mittel« mit diesen oder anderen Worten gelehrt werde. 2. Sollte jemand trotzdem, ohne es beweisen zu können, jene schamlose Lehre dem Jesuitenorden in Wort oder Schrift zuschreiben, dann ist er ein ehrloser Verleumder. Die ganzen zwanzig Jahre nach dieser Verkündigung (Roh starb 1872) fand sich kein Mensch, der versucht hätte, diesen beträchtlichen Preis zu erhalten.

1890 erneuerte Richter in Duisburg diese Prämie, und im Jahre 1903 er­klärte der Reichstagsabgeordnete Dasbach öffentlich: »Ich werde zweitausend Gulden dem bezahlen, der beweist, daß in den Schriften der Jesuiten ge­lehrt wird, der Zweck heilige die Mittel.« Aber auch diese Prämie hat nie­mand abgeholt.

In Litauen hat Professor Antanas Maliauskas im Jahre 1924 ebenfalls eine Prämie von 5000 Litas für den ausgesetzt, der die obengenannte, den Je­suiten vorgeworfene Lehre »der Zweck heilige die Mittel« beweist. Aber auch damals hat niemand versucht, die Prämie an sich zu nehmen, und in der atheistischen Presse ist dieser Vorwurf viel leiser geworden. Er wurde erst 1940 wieder lebendiger, als jegliche religiöse Presse verboten wurde.

Jeder, der etwas besser die Lehre der Katholischen Kirche kennengelernt hat, weiß und versteht sehr gut, daß die Jesuiten einen solchen Grundsatz nicht nur nicht gelehrt haben, sondern auch nicht lehren durften. Wer sind denn die Jesuiten? Das ist doch ein Orden der Katholischen Kirche, der keine irgendwie unterschiedliche jesuitische Moral hat, sondern nach den gemeinsamen Grundsätzen der Moral der Katholischen Kirche lebt. Ich selbst habe in der Zeit von 1925 bis 1939 das 10jährige Erziehungs- und Ausbildungsprogramm der Jesuiten durchgemacht. Nach vier Jahren Prak­tikum als Lehrer an einem Gymnasium studierte ich anschließend an den Hochschulen der Jesuiten in Holland, Belgien und Frankreich, habe aber weder von meinen Professoren gehört, noch in den von Jesuiten verfaßten Büchern gelegen (und gelesen habe ich einige hundert von ihnen), ja nicht einmal von meinen Freunden habe ich gehört, daß irgendjemand diesen Grundsatz gelehrt oder propagiert hätte, daß der Zweck die Mittel recht­fertigen soll, wie das die Gegner der Jesuiten verstehen. In Wirklichkeit handeln die Jesuiten nach denselben Prinzipien wie die gesamte katholische Kirche und respektieren das Zivilrecht aller Kulturvölker.

Wir dürfen außerdem noch eine Sache nicht vergessen: Für jedes von den Jesuiten geschriebene Buch muß vor dem Druck das Imprimatur des Bischofs eingeholt werden, was bedeutet, daß darin nichts gegen die Grundsätze der Moral der Katholischen Kirche geschrieben steht. Und kein Bischof wird seine Zustimmung geben, wenn dort der oben erwähnte Grundsatz — der Zweck heiligt die Mittel — gelehrt wird.

Während meines Studiums an der Theologisch-Philosophischen Hochschule anfangs 1930 in Valkenburg (Holland), habe ich einen Bericht des Direktors des Jesuitenarchivs, Kleiser, über das damals erschienene Werk des Öster­reichers Fülüp-Miller »Macht und Geheimnis der Jesuiten« gehört. Derselbe Verfasser hatte vorher ein Werk über den Bolschewismus geschrieben ge­habt, in dem er behauptet, daß die Bolschewiken den Grundsatz der Je­suiten »Der Zweck heiligt die Mittel« anwenden. Kleister widerlegte dann diesen den Jesuiten gemachten Vorwurf und riet Fülöp-Miller, die Ge­schichte und die Lehre der Jesuiten zu studieren. Fülöp-Miller widmete vier Jahre dieser Arbeit. Das Ergebnis war ein neues Werk »Macht und Geheimnis der Jesuiten«. Dort widerrief Miller seine frühere Behauptung und unterstrich, daß sich die Lehre der Jesuiten in Fragen der Moral in keiner Weise von der Lehre der anderen katholischen Theologen unter­scheidet, und daß die ihnen zugeschriebene erwähnte Parole ohne Grund ist.

Heute möchte ich Ihnen, Kęstutis Deksnys, gerade jenen Rat Kleisers wie­derholen, den er Fülöp-Miller gab: Studieren Sie, forschen Sie nach, und ich bin überzeugt, daß Sie, wenn Sie vom ganzen Herzen nach der Wahrheit su­chen, sich bald wie alle Wahrheitssucher überzeugen müssen, daß der er­wähnte den Jesuiten zugeschriebene Lehrsatz ein Irrtum und eine Verleum­dung ist.

Wohl den am besten und ausführlichsten verfaßten Artikel in dieser Frage hat in litauischer Sprache im Jahre 1911 das Journal »Ateitis« (»Die Zu­kunft«) auf den Seiten 105, 154, und 295 gebracht.

Im letzten Teil seines Aufsatzes stellt K. Deksnys die Religion der Angst gleich: »Die Angst zwingt den Menschen auf die Knie.« Erstens zwingt nicht nur die Angst allein den Menschen auf die Knie, sondern viel öfter die Verehrung und die Dankbarkeit oder die Reue wegen vollbrachter böser Taten. Oft waren in der sowjetischen Presse Bilder zu sehen, auf denen ein hoher Offizier, ein General oder Major abgebildet ist, der auf den Knien die Regimentsfahne küßt. Was zwingt sie auf die Knie? Mit Sicherheit nicht die Angst, eher aber das Ehrgefühl und die Dankbarkeit jenen gegenüber, die unter dieser Fahne in den Kampf gezogen sind und ihr Leben für das eigene Land hingaben. Auch wir, die Gläubigen, knien uns nieder vor ein Kreuz, vor dem Tabernakel; aber nicht aus Angst, sondern aus Verehrung, aus Liebe und Dankbarkeit unserem Gott und Erlöser gegenüber. Ein Kind, das seine Eltern oder Wohltäter sehr beleidigt hat, entschuldigt sich bei ihnen, wenn ihm seine Undankbarkeit und Schuld bewußt wird, und bittet manchmal sogar auf den Knien um Vergebung. Durch das Niederknien zeigt es seine Reue über sein schlechtes Benehmen und seinen Willen, dieses Unrecht wieder gutzumachen. Erniedrigt das vielleicht den Menschen? Kei­neswegs. Das zeigt nur sein Bewußtsein und den Willen, seinen Fehler zu korrigieren. Gleichzeitig will der Mensch denen Ehre erweisen, denen er Unrecht getan hat.

Wenn die Staatsregierungen die Menschen vor dem Verbrechertum schrecken wollen, ergreifen sie auch schärfere Maßnahmen gegen die Verbrecher. Ist das schlecht? Nein. Denn viele halten sich aus Angst vor Strafe von bösen Taten zurück. Ist deswegen die Strafe eine schlechte Maßnahme? Sie kann nicht selten das einzige Mittel sein, um dem Verbrechertum entgegentreten zu können.

Auf eine sehr seltsame Weise macht K. Deksnys der Religion Vorwürfe, denn angeblich hat der Glaube an Gott in Italien die Mafia nicht verhindern können. Aber in Italien ist nur ein Teil der Bevölkerun gläubig, sie machen etwa nur die Hälfte der Einwohner aus. Bei den Wahlen bekommen doch die Kommunisten (und sie sind sicher Atheisten) allein schon etwa 30 Pro­zent der Stimmen. Außerdem gibt es noch Sozialdemokraten, Sozialisten, Liberale und Menschen anderer Parteien, von denen auch ein nicht geringer Teil Atheisten sind. In den westlichen Demokratien gibt es neben guten Dingen eben auch schlechte. Eines davon ist, daß es zu viel Freiheit gibt; das ist eine gute Gelegenheit für das undisziplinierte Element, sich hervor­zutun. Ist es aber nicht noch schlimmer, wenn es zu wenig Freiheit gibt, wenn die Religion eingeschränkt ist und ihre positive Wirkung nicht entwickeln kann, die sie verwirklichen könnte? Dann sinkt die Moral der Gesellschaft, dann braucht man immer mehr Miliz, Gefängnisse, Lager. Deswegen ist der Kampf gegen die Religion eine ausgesprochene Anomalie, die man mit nichts rechtfertigen kann. Das Leben hat schon so oft die Wahrheit bestätigt, daß die Menschen dort, wo sie beten, weniger fluchen; wo mehr Menschen in den Kirchen sind, dort sind weniger in den Gefängnissen. Hier ein Beispiel:

Im Sommer 1969 stand in Molėtai der Pfarrer der Pfarrei Dubingiai, Priester Antanas Šeškevičius, wie der größte Verbrecher zwei Tage lang vor Gericht, und zwar nur deswegen, weil er in der Kirche einem Dutzend Kinder die Glaubenswahrheiten erklärt hatte, dessen Grundlage die zehn

Gebote sind: Du sollst nicht morden, du sollst nicht unkeusch leben, du sollst nicht lügen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht fluchen, du sollst nicht saufen, ehre deinen Vater und deine Mutter, unterlasse das Beten nicht, bleib nüchtern, gehe gewissenhaft deinen Pflichten nach...

Seine Strafe hat Priester Antanas Šeškevičius im Lager zu Alytus verbüßt, wo sich etwa 1500 Gefangene, meistens junge Leute, befanden. Jawohl, junge Leute und schon Verbrecher! Es kam Weihnachten, Ostern — viel­leicht zwei oder drei haben die Feste gefeiert, alle anderen hatten keine Ahnung von Religion, sie lebten »nach eigenem Gewissen«, genauer gesagt, nach den eigenen ungezügelten Leidenschaften. Der Atheismus, der den Glauben zerstört hat, hat auch die Grundlagen ihrer Moral beschädigt. Alle etwas tiefer denkenden Menschen bestätigen, daß im Menschen viele nied­rige Instinkte stecken, die er ohne Religion, d.h. ohne Hilfe der Gnade Gottes nicht bewältigen kann, und das ist die wichtigste Ursache, warum sich dort mehr Menschen in den Gefängnissen befinden, wo weniger in der Kirche sind. Eine bewußte Beichte und die hl. Kommunion errichten Gren­zen, die die Leidenschaften der menschlichen Natur zügeln. Sehr schön hat Maironis diese Wahrheit in einem Gedicht zum Ausdruck gebracht: »Ich danke Dir, Herr, daß Du aus Liebe den Morgen meines Lebens bewacht hast. O wie so oft lief ich, Verlockungen trauend, in ein listig geflochtenes Netz. Aber umkommen ließ mich nicht der heilige Glaube, die väterliche Wache Deiner Vorsehung.«

Am Schluß lobt K. Deksnys die atheistische Weltanschauung, die »ein be­wußtes uneigennütziges sittliches Leben fordert, wie das Gewissen es ver­langt. ..« Das verlangt gerade auch die Religion an erster Stelle. Wie sehen aber die Früchte der atheistischen Weltanschauung aus? Was spricht das Lebens selbst? Warum geschehen bei uns, ungeachtet der Armee, der Kon­trolleure, der öffentlichen und der geheimen Polizei überall so viele Ver­brechen, warum gibt es so viele Fehlleistungen? Warum beklagen sich die Lehrer an den Schulen, besonders an den Berufstechnischen Schulen, über ihre außerodentlich schwierige Arbeit? Warum ist der moralische Zerfall so groß, warum gibt es so viel Unehrlichkeit, Diebstähle, Rowdytum, Sau­fereien, sexuelle Zügellosigkeit? Warum gibt es so wenig Menschen, die so leben, »wie das Gewissen es verlangt«?

Im letzten Satz seines Artikels weicht der Verfasser ganz von der traurigen Wirklichkeit ab, wenn er behauptet, daß die »kommunistische Moral we­sentlich erhabener sei als die religiöse, die blinden Gehorsam und Furcht verlangt«. In Wirklichkeit verlangt die Religion nicht einen blinden, sondern einen bewußten Gehorsam; nicht Furcht, sondern Gerechtigkeit, Verehrung und Liebe; Furcht nimmt hier nur den letzten Platz ein. Diese Wahrheit beweist am besten das Familienleben. Ehescheidungen waren beispiels­weise vor dem Kriege in Litauen eine Seltenheit, die größte Sensation. Mit der atheistischen Erziehung fing auch der Zerfall der Familien an. Und mit dem Zerfall der Familien sank auch die Moral des ganzen Volkes. Im Jahre 1950 gab es 2,7 Prozent Ehescheidungen. Meistens ließen sich nicht die einheimischen Einwohner Litauens scheiden, sondern die aus anderen, »fortschrittlicheren« Republiken Zugereisten.

Nach 10 Jahren (1960) gab es schon 9 Prozent Ehescheidungen. Und wieder nach 10 Jahren (1970) gab es 23 Prozent und 1980 gab es 33 Prozent. Dieses Jahr kommen wir auf 36 Prozent Ehescheidungen.

Vor zwei Jahren tanzten im Rayon Molėtai, wie die Zeitung »Pirmyn« (»Vorwärts«) schrieb, 178 Paare ihren Hochzeitstanz, und ... es gab 60 Ehe­scheidungserklärungen; ein gutes Drittel der Familien ließ sich also scheiden.

Schnaps wird heute zehnmal mehr getrunken als im unabhängigen Litauen vor dem Kriege. Und Wein -zigmal mehr.

Die atheistische Erziehung schuf in den Seelen der Jugend eine Leere, und daraus kommt das meiste Übel. Das geben sogar die ehrlicheren Atheisten heute zu. Von einem ernsten Mann habe ich von einem Vortrag eines Jour­nalisten gehört, der vor Lehrern über die jetzige Jugend sprach. Nach dem Vortrag wurde ihm die Frage gestellt, wie die Grausamkeit und die Nicht­einhaltung der Sittlichkeitsnormen der jetzigen Jugend zu erklären sei. Der Journalist soll geantwortet haben: »Früher hat die Religion das Bewußt­sein der Jugend geformt. Nachdem man sie beseitigt hat, entstand eine Leere, die man mit nichts ausfüllen kann, denn wir haben nichts, womit wir die Religion ersetzen könnten.«

Im Frühjahr vorigen Jahres standen zwölf Komsomolzen aus Balininkai in Molėtai vor Gericht, sie mußten sich für ihre »Heldentaten«, Diebstähle und Räubereien verantworten. Diese Jugendlichen haben zu Hause alles gehabt: der Körper und sein Wohlergehen war in jeder Weise befriedigt, es fehlte aber gerade das Wichtigste, was den Menschen zum Menschen macht: das Verantwortungsgefühl für das eigene Tun. Von Gott hatten sie keine An-nung, über Ihn wußten sie nur aus der atheistischen Propaganda, deswegen machten sie sich auch kein Kopfzerbrechen über die von Ihm verkündeten Gebote der Sittlichkeit. Und wenn der Mensch keine unsterbliche Seele hat, dann nimm doch vom Leben, was du nur nehmen kannst; denn wenn du stirbst, dann ist sowieso alles vorbei. So haben sie es auch gemacht. Das Gewissen hat ihnen nichts von Pflicht und Verantwortung gesprochen. Sie hatten lediglich vor der Miliz Angst, dachten aber klüger zu sein als die Ordnungshüter. Diesmal gelang es aber nicht. Werden sie aber in der Zu­kunft nicht schlauer vorgehen? Gebe Gott, daß sie daraus eine Lehre ziehen. Ungeachtet der vielen Schulen, der Presse, des Rundfunks und Fernsehens ist heute also die Sittlichkeit wesentlich niedriger als sie vor dem Kriege im christlichen Litauen war. So sehen die katastrophal traurigen Fakten dieser Tage aus, vor denen wir unsere Augen nicht verschließen dürfen, wenn wir nicht in Illusionen leben wollen.

Bijutiškis, am 7. 12. 1983.        Priester Jonas Danyla