Nach der Verhaftung der Priester Alfonsas Svarinskas, Sigitas Tamkevičius, Jonas-Kąstytis Matulionis fing ein der Teil der Priester, nämlich die Kollaborateure der sowjetischen Regierung und die Ängstlichen an, die Meinung zu verbreiten, daß man im Falle der Konfliktsituationen mit der atheistischen Regierung Zugeständnisse machen müsse; es gab sogar Stimmen zu hören, die es wagten, die aufopferungsvolle Tätigkeit der verurteilten Priester als unvernünftige Exzesse hinzustellen und sie zu beschuldigen, daß sie selber die Einigkeit zerstört hätten und ähnliches. Jene, die anders denken oder sich anders verhalten, seien kurzsichtig und schaden nur der Einheit der Kirche. Bald haben auch die Gottlosen der Regierung diese veränderte geistige Atmosphäre unter den Priestern gemerkt. In einer der früheren Besprechungen mit den Priestern hat der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten (RfR), Petras Anilionis, unterstrichen, daß sich nach der Verhaftung des Priesters A. Svarinskas und des Priesters S. Tamkevičius die Atmosphäre unter den Priestern gebessert habe, und er betonte dabei, daß sich dies auch ohne Zweifel für die gesamte Katholische Kirche positiv auswirken könne. Daß aber die Angst und die Zugeständnisse den Gottlosen der Regierung gegenüber, die sich hinter dem hinterlistigen Wort »Diplomatie« verstecken, die Rückkehr der Zeiten Murowjows und Stalins nur beschleunigt hat, wird deutlich bei der Begegnung des Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis, mit den Bischöfen und den Verwaltern der Diözesen Litauens, die am 27. Juni 1986 in Vilnius stattgefunden hat.
Am 27. Juni 1986 hat der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis, alle Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens zu einer traditionellen »Gehirnwäsche« in der Sommerszeit in die Kurie von Vilnius eingeladen. Wenn sonst bei den Begegnungen mit den Dekanen der Diözesen der Bevollmächtigte bemüht war, taktvoll zu sein, und versucht hat, sie von der Religionsfreiheit zu überzeugen, war er diesmal, im Gespräch mit den Bischöfen und Verwaltern der Diözesen, unwirsch und schroff. Seine Rede begann der Bevollmächtigte mit einem scharfen Vorwurf: »Unter den Teilnehmern dieser Begegnung befinden sich Korrespondenten der »Chronik«, die über unsere vergangene Begegnung sofort den Vatikan benachrichtigt haben.« Weiter folgten verschiedene Vorwürfe und Drohungen, warum die Bischöfe die Priester und Seminaristen nicht zur Raison bringen. Im Priesterseminar herrsche eine schlechte Lage .. . Obwohl nach dem Vorfall, bei dem zwei Seminaristen von der Miliz bei dem Versuch ertappt wurden, das Buch »Žmogus be Dievo« (Mensch ohne Gott) von J. Girnius in das Priesterseminar hineinzuschmuggeln, der Vizerektor Vytautas Vaičiūnas damals versichert habe, daß illegale Literatur dieser Art im Priesterseminar nicht geduldet werde, sei doch bekannt, daß solche Bücher, mit der Schreibmaschine abgeschrieben, auch heute im Priesterseminar im Umlauf seien. »Wenn wir jemand dabei erwischen, werden wir ihn erbarmungslos bestrafen!« — sagte P. Anilionis. Mit Zitaten aus den Kanones der Kirche behauptete der Bevollmächtigte, daß das kirchliche Recht es den Priestern verbiete, in einer benachbarten Pfarrei die hl. Messe zu feiern und Predigten zu halten; dazu reiche eine Erlaubnis des Bischofs oder des Ortspfarrers nicht aus, dazu sei auch das Einverständnis der Gottlosen notwendig. Man müsse auch eine Erlaubnis des Exekutivkomitees einholen. »Es ist schließlich an der Zeit, mit den Gastspielen der Extremisten-Priester bei den Ablaßfeierlichkeiten aufzuhören!«
— sagte P. Anilionis aufgeregt. — »Alle solche Gastspieler, die keine Erlaubnisse vom Rayon haben und Priester, die sie aufnehmen, werden mit Geldbußen bestraft. Und wenn das nicht hilft, werden wir zu der früheren wirksamen Praxis übergehen: Wir werden die Anmeldungsbestätigungen einziehen, und wenn das noch nicht reicht, werden die Priester selber zu körperlicher Arbeit herangezogen. Entsprechende Strafen warten auch auf jene Priester, die verminderte Angaben über ihre religiösen Dienstleistungen beim Finanzamt machen.« Besonders haben P. Anilionis die massenhaften Zusammenkünfte der Priester bei den Ablaßfeierlichkeiten in Žemaičiu Kalvarija und in Šiluva mißfallen, wo am 13. jedes Monats Sühnegottesdienste abgehalten werden. »Wozu brauchen die Priester die Kreuzwege in einer Prozession zu gehen? Das Volk soll es doch alleine tun! Sollten sich solche Zusammenkünfte der Extremisten-Priester auch weiter wiederholen, wird es nötig sein, das Gesetz in die Tat umzusetzen, daß eine religiöse Gemeinschaft nur ein Bethaus haben darf; wir werden dazu gezwungen, die Kapellchen von Žemaičių Kalvarija und die Kapelle von Šiluva zu schließen. Die erste Bewährungsprobe Ihres guten Willens sind die Ablaßfeierlichkeiten von Žemaičių Kalvarija; sie sollen möglichst einfach und leise, ohne Prozession und ohne Zusammenkünfte der Extremisten-Priester verlaufen.« — Mit erhobener Stimme legte P. Anilionis diese seine Forderungen vor. »Wenn die größten Störer des Friedens — Priester A. Svarinskas und Priester S. Tamkevičius — schon »beruhigt« sind, aber immer neue auftreten, so wird der Frieden durch verschiedene Schreiben, mit denen die sowjetische Regierung belehrt wird, wieder getrübt. Die Extremisten wagen sogar auch Sie, die Bischöfe zu belehren«, sagte der Bevollmächtigte. »Das schlimmste ist aber dabei, daß auch die vom Bischof Juozas Preikšas geleitete Jubiläumskommission der Christianisierung Litauens mit ihrem Schreiben an die sowjetische Regierung, dem Beispiel der Extremisten gefolgt ist. Darin stellt man unmögliche Bitten: Die Kathedrale von Vilnius soll zurückgegeben werden, ebenso die St. Casimir-Kirche, die Kirche der Königin des Friedens in Klaipėda usw. Diese Forderungen werden nicht erfüllt! Und wenn die Jubiläumskommission auch weiter auf den von Extremisten ausgetretenen Wegen gehen wird, werden wir gleich von vornherein verbieten, das Jubiläum der Christianisierung Litauens zu feiern, und die Kommission werden wir entlassen«, — drohte P. Anilionis den Bischöfen. Er forderte sie auf, sich zu merken, daß es keine einseitigen Zugeständnisse seitens der Regierung geben werde. »Wir erlauben euch in Vilnius, in Kaunas und in manchen anderen Städten die Kirchen zu renovieren, wir haben euch erlaubt, in staatlichen Verkaufsstellen das Baumaterial einzukaufen« (Dabei hat P. Anilionis »vergessen« daß nach den sowjetischen Gesetzen die kirchlichen Bauten Staatseigentum sind, und deswegen die Erlaubnis, sie zu renovieren, sogar formell gesehen, kein so großes Zugeständnis der Kirche gegenüber war). »Auf diese Zugeständnisse müßte die Kirche auch mit Zugeständnissen antworten!« —
forderte P. Anilionis auf, d. h. man solle die Extremisten-Priester zur Raison bringen, ihnen verbieten, zu den Ablaßfeierlichkeiten zu fahren, das Priesterseminar von illegaler Literatur säubern, die Initiatoren der Petitionen und Schreiben an die staatlichen Instanzen wie auch die Unterschriftensammler unter solche Schreiben zur Disziplin bringen. Er machte Vorwürfe, daß bis jetzt auf die »Zugeständnisse« der sowjetischen Regierung nicht entsprechend reagiert wurde. »Schauen Sie mal, z. B. in Kretinga«, fuhr der Bevollmächtigte fort, »dort hat der Staat erlaubt, den während des Krieges niedergebrannten Kirchenturm wieder aufzubauen und neue Glocken gießen zu lassen. Es wurde zu diesem Zweck sogar genehmigt, sich von Spezialisten aus der Deutschen Demokratischen Republik beraten zu lassen. Und wie hat sich der Pfarrer von Kretinga und Konsultor der Diözese, Priester Bronislovas Buraeikis bedankt?! Als der verbohrte Gegner der Sowjets, das Mitglied der bourgeoisen Banden der Nationalisten, Petras Paulaitis, in Kretinga starb, baten die Regierungsbeamten den Pfarrer, er möge den ehemaligen Verbrecher nicht mit kirchlichen Feierlichkeiten beerdigen. Der Pfarrer ging auf diese Bitte nicht ein und veranlaßte eine feierliche Beerdigung. So antworten also die Extremisten auf die Wünsche der sowjetischen Regierung«, — warf der Bevollmächtigte P. Anilionis vor.
Man muß aber klarstellen, daß die Beisetzung des verstorbenen P. Paulaitis seitens der Kirche nicht anders gewesen ist als die eines jeden Gläubigen. Auf die Forderung der Sicherheitsbeamten, den Verstorbenen ohne kirchliche Zeremonien beizusetzen, hat aber der Pfarrer mit Recht geantwortet: »Er ist ein praktizierender Christ gewesen, starb versehen mit Sterbesakramenten, deswegen habe ich keinen Grund und kein Recht, ihm eine religiöse Beisetzung zu verweigern. Er wird so beerdigt, wie ein jeder praktizierende Christ beerdigt wird.« Die Regierungsvertreter sind nicht dazu berechtigt, festzulegen, wen man mit kirchlichen Zeremonien beerdigen darf und wen nicht. Der verstorbene P. Paulaitis ist nicht in der Kirche aufgebahrt worden, sondern zu Hause, er wurde auch nicht mit der Nationalflagge zugedeckt, wie P. Anilionis sagte, es wurde ihm lediglich ein Band in Nationalfarben auf die Brust gelegt. Den Trauergottesdienst für den Verstorbenen hat der Priester Liudvikas Šarkauskas gehalten. (Anm. der Red.)
Nach dem Vortrag von P. Anilionis, stellte Bischof Vincentas Sladkevičius eine Frage: In seiner Rede über die vollkommene Religionsfreiheit in Litauen vor den Dekanen in Kaišiadorys, hat P. Anilionis seine Behauptungen damit veranschaulicht, daß angeblich Kinder von gläubigen Eltern verantwortungsvolle Posten erhalten und zuweilen auch Direktoren sind oder Rektoren an Instituten. Bischof Vincentas Sladkevičius erinnerte den Bevollmächtigten daran, daß dies die Religionsfreiheit in keiner Weise beweise, wenn solche Menschen, die die Posten der Abgeordneten oder Direktoren innehaben, gezwungen sind, ihre Uberzeugungen zu verbergen, weil hier nicht von den Großeltern oder Eltern die Rede ist, sondern von ihren Kindern. Bischof V. Sladkevičius wies den Bevollmächtigten auf einen konkreten Fall hin, wo die Freiheit, seinen Glauben kennenzulernen und ihn zu bekennen, eindeutig verletzt worden ist: Die Regierungsvertreter haben den Priester J. Kaminskas in der Kirche von Molėtai grob angegriffen, als dieser bei den Kindern die Katechismuswahrheiten abfragte.
Welch eine Tücke und ein Schwindel! Die Regierungsgottlosen »erlauben« es, die Wände mancher von der Regierung enteigneten kirchlichen Bauten frisch anzustreichen, gleichzeitig aber unternehmen sie durch die verschiedensten Verfolgungen — Drohungen, Strafen, ja sogar Verhaftungen — alles, damit die Kirchen leer bleiben . ..
Das ist nur der Anfang der von der Regierung zu erwartenden Zugeständnisse ... Wie schon bekannt ist, hat der oberste Beauftragte für die Angelegenheiten der Religionen in der Sowjetunion, Chartschow, während seines Besuches in Litauen gesagt: »Die Katholische Kirche Litauens muß auto-kephal, d.h. von Rom unabhängig werden.« Man kann darauf antworten, daß auch in der nahen Zukunft für eine Erlaubnis, den einen oder anderen kirchlichen Bau reparieren zu dürfen, die sowjetische Regierung auch nach diesem Zugeständnis verlangen wird.
Solche Erleichterungen wird uns also die »bessergewordene« Atmosphäre unter den Priestern nach den Festnahmen der Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius bringen, wie P. Anilionis zu den Dekanen der Diözesen gesagt hat. Was das für eine »hellere« (! ! !) Zukunft sein soll, die die Zugeständnisse der sowjetischen Regierung gegenüber bringen werden, hat der Bevollmächtigte konkret nur den Bischöfen gegenüber geäußert. Wenn man sich solchen Forderungen der Regierung nicht ernstlich widersetzt, sondern auch weiter Zugeständnisse macht, werden wir nach kurzer Zeit sehr schmerzliche, oder vielleicht sogar auch schwer wieder gutzumachende Ergebnisse zu spüren bekommen.
Die Verfolgungen der Kirche zu Zeiten Murowjows hat der sowjetische Historiker R. Vebra so geschildert: »Man durfte ohne Erlaubnis der Polizei in privaten Räumen keinerlei Zusammenkünfte veranstalten oder Gottesdienste abhalten ... es wurde den Priestern nicht erlaubt, in andere Pfarreien zu fahren, und wenn sie es taten, durften sie dort keine hl. Messe feiern ... Für die Nichteinhaltung dieser Forderungen war ein System der Geldstrafen eingeführt.« (R. Vebra, »Der katholische Klerus Litauens und die gesellschaftliche Bewegung«, Vilnius, 1968).
Die Zeiten Murowjows kommen also wieder zurück! Diese Pläne der Gottlosen wirken auf viele beängstigend, rufen Beunruhigung hervor und löschen ihre geistigen Kräfte. Wir warten auf die Seligsprechung des Diener Gottes, Erzbischof Jurgis Matulionis. Auch er mußte unter ähnlichen Bedingungen leben. Er ermutigte in solchen Situationen seine Zeitgenossen: »Was bleibt uns zu tun? Sollen wir deswegen unserer Berufung entsagen? Sollen wir immer nur Zugeständnisse machen und uns allem Unrecht beugen? Sollen wir gegen die der Kirche feindlichen Gesetze und Pläne nichts mehr tun? Sollen wir schließlich auf alle unsere kostbaren Ideale verzichten und zusammengekrümmt oder zusammengekauert vor Angst irgendwo rosten? Wenn wir das tun würden, dann könnten wir darauf warten, daß man uns eines schönen Tages verbieten würde, auch Christen zu sein. Nein, ganz im Gegenteil! Wir müssen tapfer und mutig auf dem Weg gehen, den uns Gott zeigt, dorthin, wohin der Geist Gottes uns führt und uns ermutigt zu gehen, ohne Rücksicht auf irgendwelche Hindernisse und ohne sich vor jemand zu fürchten. Wenn wir voll des Geistes Gottes sind, werden wir schließlich alles bezwingen können. Den Geist kann man weder in Ketten legen, noch in Gefängnissen verriegeln oder in die Verbannung schicken. Entzünde nur, Herr, unsere Herzen mit dem Feuer Deiner Liebe!«