An den Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Genossen Michail Gorbatschow

Erklärung

der Priester der Diözese Telšiai und der Prälatur Klaipėda

Die Verfassung der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken ga­rantiert die Freiheit des Gewissens und der Glaubenspraxis: »Den Bürgern der UdSSR wird Gewissensfreiheit garantiert, das heißt das Recht, sich zu einer beliebigen oder keiner Religion zu bekennen, religiöse Kulthandlungen auszuüben oder atheistische Propaganda zu betreiben« (Artikel 52). Dasselbe wird auch in der Verfassung der SSR Litauen gesagt (Artikel 50). Außerdem hat die Regierung der UdSSR die Allgemeine Deklaration der Menschen­rechte unterzeichnet, wo in Absatz 18 das Recht eines jeden Bürgers unter­strichen wird, seine Uberzeugungen zu bekennen und sie zu verbreiten.

Die Atheisten der SSR Litauen besitzen die in den oben genannten Doku­menten garantierten Rechte und nehmen sie in Anspruch. Die der Gläubigen dagegen sind sehr eingeschränkt und begrenzt. Die Unterrichtung in Glau­benswahrheiten wird nur in der Kirche in der Predigt während des Gottes­dienstes erlaubt und das nur bei Leuten fortgeschrittenen Alters. Die Gläu­bigen dürfen vor der Vollendung des 18. Lebensjahres mit den Glaubens­wahrheiten und ihrer Praxis nicht einmal in der Kirche und während des Gottesdienstes bekannt gemacht werden. Das wird nur den Eltern selbst zu Hause erlaubt.

Die sichtbare Ungleichheit schockiert uns sehr. Atheisten haben die Mög­lichkeit, antireligiöse Propaganda zu betreiben, die Unterstützung der Re­gierung in Anspruch zu nehmen und sich aller Massenmedien zu bedienen, angefangen von den Kindergärten bis zur Beisetzung der Verstorbenen. Gläubige aber haben kein Nutzungsrecht der Massenmedien. Sie werden gezwungen, die Erziehung ihrer gläubigen Kinder den Atheisten zu über­lassen.

Die Kanones der Kirche verpflichten die Priester kategorisch, nicht nur Erwachsene, sondern auch die Kinder und Jugendlichen für ein religiöses Leben vorzubereiten (Canones 773 - 777). Da die Eltern mit Arbeit über­lastet sind, wenden sie sich an die Priester mit der Bitte, ihre Kinder zu unterrichten. Durch die Erfüllung dieser Pflicht stoßen die Priester mit dem strengen Verbot der Staatsbediensteten — Atheisten — zusammen, geraten in Konfliktsituationen, werden genötigt. In noch nicht weit entfernter Ver­gangenheit wurden die Priester Prosperas Bubnys, Juozas Zdebskis, Antanas Šeškevičius ins Gefängnis geschickt, weil sie Kinder mit religiösen Praktiken vertraut gemacht haben. Im Jahre 1986 allein wurden mit Geldstrafen belegt die Priester Antanas Ivanauskas, Antanas Šeškevičius, Vytautas Insoda. Weil sie sich aktiv gezeigt haben, sind für längere Zeit eingekerkert die Priester Alfonsas Svarinskas, Sigitas Tamkevičius, Jonas-Kąstytis Matu­lionis.

Nur aus atheistischen Gründen wurde die Kathedrale von Vilnius wegge­nommen und in eine Bildergalerie wie auch die St. Kasimir-Kathedrale zu Vilnius in ein atheistisches Museum umgewandelt. Auch die Kirche »Königin des Friedens« in Klaipėda, die die Gläubigen mit ihren eigenen Händen und ihren Spenden erbaut haben, wurde enteignet, während die Gläubigen der 200 000 Einwohner zählenden Hafenstadt schon viele Jahre in einem kleinen Kirchlein um Luft ringen und keine Aussicht haben, daß dieses von den Atheisten zugefügte Unrecht einmal gutgemacht wird. Die andauernden Beleidigungen der Gefühle der Gläubigen, besonders in der Presse und :n der Schule, treffen die Gläubigen und die Priester sehr schmerzlich. Dies widerspricht ganz deutlich der Ethik der atheistischen Propaganda, wird aber bei uns leider zugelassen.

Sowohl den Priestern wie auch den Gläubigen ist bekannt, daß es in den anderen sozialistischen Staaten, wie beispielsweise in der Deutschen Demo­kratischen Republik, in der Tschechoslowakei, in Ungarn den Priestern erlaubt ist, die Kinder der gläubigen Eltern nicht nur in der Kirche, sondern auch in Räumen außerhalb der Kirche für die Glaubenspraxis vorzubereiten.

Da wir sehen, daß zur Zeit umfassende Reformen durchgeführt werden, wenden wir uns an Sie, hochverehrter Generalsekretär, mit der Bitte, daß diese Reformen auch die Freiheit der Praktizierung der religiösen Kulte in unserer Republik erfassen möchten, besonders aber, daß uns, den Priestern, eine Möglichkeit gegeben wird, ungehindert eine der wichtigsten Forde­rungen der Kanones der Kirche zu erfüllen, und zwar, die Kinder der gläu­bigen Eltern für die Praxis der religiösen Kulte vorbereiten zu dürfen.

Diese Erklärung haben folgende Priester der Diözese Telšiai und der Prä-latur Klaipėda unterzeichnet:

Vincentas Klebonas Vincentas Vėlavičius Boleslovas Jornauskas Alfonsas Pridotkas Algirdas Pakamanis Jonas Petrauskas Konstantinas Velioniškis Juozapas Rutalė Jonas Bučelis Vincas Gauronskis Ignas Žeberskis Antanas Striukis Jonas Bučinskas Antanas Gylys Petras Linkevičius Petras Puzaras Stanislovas Ežerinskas

Albinas Arnašius Ferdinandas Žilys Jonas Kauneckas Bronislovas Latakas Juozapas Grabauskas Domininkas Skrimontas Juozapas Gausiunas Jonas Paliukas Juozapas Pačinskas Kazimieras Žukas Juozapas Šiurys Tadas Poška Jonas Gedvilą Romualdas Žulpa Pranciškus Venckus Konstantinas Juodviršis Edmundas Atkočiūnas

Stanislovas Vaitelis Juozapas Gunta Stanislovas Ilinčius Kazimieras Rimkus Juozapas Razminas Henrikas Sirtautas Vytautas Žvirzdinas Juozapas Maželis Vladas Šlevas Petras Našlėnas Adomas Alminas Petras Stukas Alfonsas Klimavičius Juozapas Olšauskas Jonas Pakalniškis Stasys Letkus Vytautas Kadys Feliksas Valaitis Liudvikas Dambrauskas Antanas Beniušis Bronislovas Burneikis Albertas Franckaitis Adolfas Pudžemys Bronislovas Brazdžius Klemensas Arlauskas Antanas Augustis Julius Tamašauskas Antanas Petronaitis Antanas Jurgaitis Aloyzas Lideikis Vytautas Mikutavičius Juozapas Jonauskas Juozapas Širvaitis Domininkas Bivainis Petras Bernotas Klemensas Puidokas Antanas Šeškevičius

Jonas Rudzinskas Kazimieras Prialgauskas Jonas Vičiulis Bronislovas Racevičius Kazimieras Gasčiūnas Zenonas Degutis Antanas Ivanauskas Česlovas Degutis Antanas Ričkus Liudas Serapinas Petras Jasas Stanislovas Anužis Vladislovas Jukšys Juozapas Miklovas Petras Merliūnas Bernardas Talaišis Petras Balsys Antanas Garjonis Antanas Bunkus Anupras Gauronskis Liudas Šarkauskas Anupras Žukas Česlovas Gudliauskas Aloyzas Volskis Julius Miškinis Domininkas Giedra Algis Genutis Juozapas Šukys Tomas Švambarys Juozapas Bukauskas Leonas Veselis Henrikas Šulcas Kazimieras Gylys Vytautas Petrauskas Kazimieras Macelis Antanas Zdanavičius

An den Ministerrat der SSR Litauen

An das Bildungsministerium der SSR Litauen

An das Rayonexekutivkomitee der Stadt Klaipėda

An die Redaktion der Rayonzeitung von Klaipėda »Banga«

Abschrift: An den Bischof von Telšiai, Antanas Vaičius

 

Erklärung

des Priesters Antanas Šeškevičius, Sohn des Kazys und der Gläubigen der Pfarrei Gargždai im Rayon Klaipėda

Am 9. September dieses Jahres hat die Rayonzeitung von Klaipėda »Banga« — »Die Welle« einen Artikel mit der Überschrift »Niekam nevalia pažei­dinėti įstatymu« — »Niemand darf die Gesetze verletzen« abgedruckt, in dem die Sekretärin des Exekutivkomitees des Volksdeputiertenrates der Stadt Gargždai, J. Surplienė, mich und die Gläubigen beschuldigt, während der Beerdigung und Vorbereitung der Kinder zur Erstkommunion nicht nach den Gesetzen gehandelt zu haben. In der Hoffnung auf eine gerechtere Beurteilung wenden wir uns an Sie. Deswegen wollen wir auch den Artikel erläutern.

I. Zuerst wollen wir aber die Einleitung des Artikels betrachten: »Der Artikel 96 der Verfassung der SSR Litauen verkündet: »Zur Gewährleistung der Gewissensfreiheit für die Bürger sind in der Sowjetischen Sozialistischen Republik Litauen die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt. Die Freiheit antireligiöser Propaganda und die Freiheit der Aus­übung religiöser Kulthandlungen werden allen Bürgern zuerkannt.« Weiter behauptet sie: »Es wird nirgends und in keinerlei Weise ein Unterschied zwischen den Gläubigen und Nichtgläubigen gemacht.«

1. Der Artikel 96 der Verfassung ordnet an: »Der Deputierte ist für seine eigene Tätigkeit wie auch für die Tätigkeit des Sowjets den Bürgern unmit­telbar rechenschaftspflichtig . . .«; über Religionsfreiheit spricht aber Artikel 60 der Verfassung. Das ist ein Versehen oder eine Verwechslung der Zah­len. Ist es nicht eine Schande für die Sekretärin, die Verfassung nicht zu kennen und leichtsinnig damit zu spielen? Auf gleichem Niveau steht auch die Redaktion der »Banga«, die so etwas druckt. Wenn man schon mit der Verfassung so verfährt, was kann man dann über die religiösen Freiheiten sagen, die man in den Artikeln gemeinsam mit den Analphabeten in Reli­gionsfragen verdreht? Die Gläubigen müssen schweigen, wogegen die Athe­isten alle Zeitschriften haben, sie aber keine einzige. Deswegen werden gegen sie höchst absurde und verleumderische Dinge geschrieben. . .

2. Die Sekretärin behauptet, daß die Bürger wegen ihres Glaubens nicht benachteiligt werden. Der Verfassung nach müßte es auch so sein. Wäre es aber so, dann würden auch die Gläubigen Zeitschriften haben und dürften Bücher für das ganze Volk drucken, sie haben aber keine Zeitschriften und keine Bücher über die Religion. Es stimmt, es wurden Gebetbücher und Katechismen gedruckt: Einige Tausend für die Erwachsenen, die Katechis­men für die Kinder werden aber heimlich gedruckt. Die Atheisten dagegen haben ihre Presse; so werden also nicht nur ein Gläubiger, sondern alle benachteiligt.

Gemäß der von der Verfassung gewährleisteten Gewissensfreiheit (Artikel 50) würde keiner der Lehrer und Beamten Angst haben, in die Kirche zu gehen, die Schüler würden nicht wegen des Kirchenbesuchs verfolgt, niemand würde sie zwangsweise in atheistische Organisationen eintragen, die Gläu­bigen würden ihre Verstorbenen frei zum Friedhof begleiten dürfen, die Priester würden die Kinder im Katechismus unterrichten und das ganze Jahr hindurch den Schülern Religionsunterricht in der Kirche erteilen dürfen, die Gläubigen würden für sich Kirchen errichten und einen eigenen Rund­funksender wie auch andere Rechte haben dürfen ... Es ist wahr, andere sozialistische Republiken haben solche Rechte, aber wir nicht.

Die Sekretärin besitzt weder eine Orientierung in der Verfassung noch im Leben. Sie weiß genau, daß ein gläubiger Lehrer, wenn er auch weiterhin als Lehrer tätig sein will, nicht öffentlich in der Kirche erscheinen darf. Des­wegen fahren die Lehrer so weit wie möglich in andere Pfarreien, wo sie niemand kennt. Die Schüler wagen oft nur in der Ferienzeit in die Kirche zu kommen. Einmal haben kleine Schülerinnen einem Priester berichtet: »Unsere Lehrerin verbietet uns streng, an Gott zu glauben.« Und wie viele solche Fälle gibt es schon! Etliche Lehrerinnen wurden wegen ihres Glau­bens aus ihrem Dienst entlassen. Eine Straßenfegerin, die den Fußweg neben dem Parteipalast in Gargždai gereinigt hatte, hat immer ihre Kinder in die Kirche mitgenommen. Als der Sicherheitsdienst das erfuhr, schüchterte er sie derart ein, daß sie jetzt weder selbst in die Kirche geht, noch ihre Kinder gehen läßt. Um eines Stückes Brot Willen wird der Mensch gezwun­gen, seinen Glauben zu verraten! So schaut die Gewissensfreiheit aus, die uns unsere Verfassung garantiert! Wenn man schon mit einer Straßenfegerin so umgeht, wie dann erst mit anderen Arbeitern und Beamten; und das ist allen bekannt, und kein Geheimnis mehr.

Es wurde uns die Kathedrale von Vilnius weggenommen, die St. Kasimir-Kirche in ein atheistisches Museum umgewandelt, viele Kirchen überhaupt geschlossen, die Kirche »Königin des Friedens« in Klaipėda wurde in einen Philharmoniesaal umfunktioniert; die Bürger von Gargždai plagen sich ab in einer Barackenkirche, aber eine neue zu bauen oder die alte auszubessern, erlaubt die Regierung nicht. Den Gläubigen ist nicht nur nicht erlaubt, einen Autobus zu erwerben, um alte Menschen in die Kirche bringen zu können, sondern sie dürfen nicht einmal einen mieten. Wie naiv erscheinen dann die Worte der Sekretärin: »Es wird nirgends und in keiner Weise ein Un­terschied zwischen den Gläubigen und Nichtgläubigen gemacht.«

3. Die Sekretärin weicht vom Thema ab und weiß zu berichten, daß der Gläubige, in Erkenntnis der Wahrheit der Wissenschaft, »selbst überzeugt ist, daß es keinen Gott gibt und daß die Religion nur eine leere Mystik ist.« Einer der größten Wissenschaftler dieses Jahrhunderts, nämlich A. Einstein, behauptet dagegen: »Ich kann mir einen Wissenschaftler ohne Glauben nicht vorstellen. . . Die Welt ist doch ein großer, wohlgeordneter Bauern­hof, deswegen muß es auch einen Hausherrn geben.« Der Erfinder des elek­tronischen Gehirns, Professor Ingenieur Hathaway behauptet: »Es wäre ein eindeutiges Zeichen von Verrücktheit, wenn jemand behaupten wollte, daß das elektronische Gehirn von selbst, ohne einen klugen Planer ent­stehen konnte. Was bedeutet das aber, wenn man es mit dem Gehirn eines lebendigen Menschen vergleicht? Es ist nur wie das lächerliche Spielzeug eines Kindes. Wenn eine Rechenmaschine nicht von selbst, ohne einen Planer entstehen konnte, wie hätte dann auch nur eine einzige lebendige Zelle von selbst entstehen können, die man bei weitem nicht einmal mit einer vollkommen konstruierten Maschine vergleichen kann? Ich kann daran nicht glauben, denn meine Vernunft zwingt mich, an Gott zu glauben.«

Der große Naturwissenschaftler Charles Darwin (1809 — 1882) erklärt in seinem Brief an Fordyceu ganz entschieden: »Ich bin in meinen Arbeiten niemals ein Atheist gewesen, habe niemals Gott verneint.« Wenn man ein kleines Kind, das gerade zu denken begonnen hat, fragt: »Ist diese Uhr von selbst entstanden?«, antwortet es sofort: »Wie könnte sie von selbst ent­stehen? Ein Uhrmacher hat sie gemacht.« Sekretärin J. Surplienė glaubt aber, daß sogar die ganze Welt von selbst entstanden ist. Kann es eine noch größere Absurdität geben als den Atheismus? Er ist der größte Gegensatz zu Wissenschaft und Logik. »Die Wissenschaftler sind die allergläubigsten Menschen« (Einstein).

II. Beerdigung nicht nach dem Gesetz. Die Sekretärin zitiert die Bestim­mung 48 des Statuts der religiösen Gemeinschaften, die Gottesdienste in Bauten für religiöse Kulte ohne Nachfrage bei der Regierung erlaubt, und die Bestimmung 50, die religiöse Prozessionen und Andachten ... im Freien ohne Genehmigung verbietet. Sie unterstreicht, daß ich gemeinsam mit mei­nen Gläubigen die Bestimmung 50 nicht einhalte, weil ich die Beerdigungs­prozession bis zum Friedhof begleite.

Meine Antwort:

1. Bei der Anschuldigung der Priester und der Gläubigen wegen »illegaler« Beerdigungen nimmt die Sekretärin das Statut der religiösen Gemeinschaften als Grundlage. Dieses Statut ist aber selbst illegal, mit Gewalt den Gläu­bigen und den Priestern aufgezwungen; es widerspricht den Kanones der Kirche und somit auch der Gewissensfreiheit, ja sogar der Verfassung selbst, die die Gewissensfreiheit und die Trennung des Staates von der Kirche garantiert. Die Verstaatlichung der Kirche und die Verwaltung der kirch­lichen Güter nach staatlichen Bestimmungen widersprechen den kirchlichen Gesetzen, und zwar den Kanones 1518 —1551: die Kirchenkomitees, durch die der Staat sich in die innere Ordnung der Kirche einmischt und die Kirche selbst sich unterjocht, widersprechen nicht nur den kirchlichen Gesetzen, sondern auch der Verfassung der Sowjetunion (Artikel 50). Das Statut der religiösen Gemeinschaften weist darauf hin, daß die Kranken in Wohnheimen nur im Falle einer schweren Krankheit oder im Sterben die Sakramente empfangen dürfen (Art. 49). Wo bleibt dann die Gewissens­freiheit für die Gesunden?! Den Priestern ist es verboten, ihre Gläubige zu besuchen (Art. 45), die Kirche befiehlt es aber. Es gibt viele Fälle, wo die Bestimmungen der Gewissensfreiheit und der Verfassung widersprechen. Die von der Verfassung garantierte Gewissensfreiheit ist von verschiedensten Bestimmungen, Verboten, Strafen, Administrativvorschriften so umgeben wie ein Gefangener von vielfachem Drahtzaun im Lager. Die Freiheit ist von Unfreiheit umgeben. Deswegen braucht man sich gar nicht zu wundern, daß die Priester Litauens so oft Erklärungen mit Unterschriften an die Regierung geschrieben haben und daß sie solche Bestimmungen, die den Kanones der Kirche, der Gewissensfreiheit und dadurch auch der sowjeti­schen Verfassung widersprechen, nicht einhalten können.

In anderen kommunistischen Ländern ist die Kirche ebenfalls vom Staat getrennt, dort wird aber die Verfassung eingehalten, und deswegen haben die Gläubigen wesentlich mehr Gewissensfreiheit wie auch die Freiheit der Kirche größer ist: In Polen z. B. gehen die Lehrer, die Schüler, die Beamten ungehindert in die Kirche; die Gläubigen haben ihre eigene Presse, in kirchlichen Gebäuden wird der Religionsunterricht frei erteilt, die Klöster arbeiten öffentlich, auf den Straßen ziehen Prozessionen, Tausende von Wallfahrern pilgern mit Fahnen und Kreuzen nach Tschenstochau, neue Kirchen werden gebaut. . . Und wie ist es bei uns?

Dort in Polen mischt sich der Staat nicht in die Aufnahme der Kandidaten in das Priesterseminar, bei uns aber muß jeder Kandidat zuerst die Behörden des Sicherheitsdienstes und des Bevollmächtigten des Rates für Religions­angelegenheiten durchlaufen und ihre Erlaubnis bekommen. Der Bevoll­mächtigte begrenzt die Zahl der Seminaristen, obwohl Priester in Litauen fehlen. Ohne Einverständnis des Bevollmächtigten dürfen die Bischöfe keine Priester für die Pfarreien ernennen. Die Gläubigen müssen für ihre eigene Kirche größere Gebühren entrichten. . . Nicht einmal den Verstorbenen wird die Freiheit gewährt — es ist verboten, auf ihren Gräbern Kreuze zu entrichten.

2.     1966 hat die Regierung den 2. Teil des »Apeigynas Lietuvos vyskupi­joms« — »Zeremonienbuch für die Diözesen Litauens« abgedruckt. Es wurde von der Regierung zensuriert und von dem Bevollmächtigten appro­biert. Darin wird die Weise der Beisetzung festgelegt: Das Kreuz und zwei Fahnen am Anfang des Kondukts und der Priester gehen vor dem Sarg (Seiten 256 — 285). An dieser Weise der Beisetzung hält sich die Kirche schon seit 600 Jahren. Die Pflicht und das Recht eines Priesters ist es, so beizusetzen, wie es im Zeremonienbuch steht.

3.     Der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, K. Tumėnas, der mich 1977 wegen einer von mir eingereichten Erklärung in Fragen der Beerdigung durch ein Telegramm nach Vilnius vorgeladen hat, hat deutlich gesagt: »Tragen Sie das Kreuz, der Priester darf den Verstorbenen geleiten.« Darüber hat K. Tumėnas auch den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees, A. Leita informiert. Wir halten das auch ein, weil das mit den Bestimmungen der Kirche und der Verfassung vereinbar ist, aber nicht mit der Gier der Atheisten, die Gläubigen immer mehr zu unter­drücken und sie zu völlig Rechtslosen zu machen.

III. Die Vorbereitung der Kinder zur Beichte entspricht nicht den Gesetzen.

So beschuldigt die Sekretärin J. Surpliene mich und die Gläubigen und stützt sich dabei auf die Trennung der Schule von der Kirche. Sie wirft uns auch Verletzung der Artikel 17 und 18 des Statuts der religiösen Gemein­schaften vor.

Die Antwort:

1. Die Verfassung, also das Grundgesetz, muß der Praxis angepaßt werden. In anderen Staaten wird die Trennung der Kirche von der Schule so ver­standen: In der Schule wird Religion nicht unterrichtet, es wird aber nicht verboten, daß die religiösen Gemeinschaften eigenen Religionsunterricht geben. Beispielsweise in Polen, im Demokratischen Deutschland, in Ungarn und andelswo werden die Kinder der Gläubigen in kirchlichen Bauten in Religion unterrichtet und es gibt auch separate Kindergärten. So wird die Gewissensfreiheit erhalten. Die religiösen Bestimmungen unseres Landes dagegen, auf deren Einhaltung die Gottlosen so streng dringen, nehmen den Gläubigen die Religions- und Gewissensfreiheit weg, die die Verfassung und die menschliche Natur ihnen garantieren. Die Atheisten übertreffen in der Praxis mit ihrem Verhalten sogar die Bestimmungen, sie kommen zu den lächerlichsten Absurditäten: Man darf nicht zwei Kinder zusammen befragen, um ihr religiöses Wissen zu prüfen, denn das ist nach ihren An­sichten schon eine Schule. Wenn die atheistische Propaganda nicht die er­warteten Früchte bringt, und die Eltern auch weiterhin ihre Kinder in die Kirche mitbringen, damit diese hier die Glaubenswahrheiten kennenlernen, werden durch Kontrollen und Administrativstrafen jene verfolgt, die den mit ihrer Arbeit beschäftigten Eltern helfen, ihre Kinder für die erste Beichte und Erstkommunion vorzubereiten. Am 9. Juli dieses Jahres hatten sich z. B. in der Kirche von Gargždai vor dem Abendgottesdienst eine größere Schar Kinder mit ihren Müttern und anderen Gläubigen versam­melt, um bei mir die Religionskenntnisse überprüfen zu lassen, damit sie ein Zulassungskärtchen für die erste Beichte bekommen können; da drang plötzlich ohne Ehrerbietung ein Haufen von irgendwelchen Bediensteten in die Kirche ein, darunter waren J. Surplienė, die Leiterin der Finanzabtei­lung Z. Vitkutė, der Vorsteher der Sozialversorgung Šimkus und andere. Zu der Zeit hatte ich allen Kindern gerade gesagt: »Wer ein Kärtchen be­kommen will, soll auf den Kirchhof herauskommen, um seine Kenntnisse überprüfen zu lassen.« Ich ging hinaus und viele Kinder mit ihren Müttern folgten mir. Die Leiterin der Finanzabteilung schrie in der Kirche: »Wo führst du die Kinder hin?« Ich habe auf dem Kirchhof die Kinder in An­wesenheit ihrer Mütter alle einzeln überprüft. Plötzlich kam der Vorsteher der Sozialversorgung aus der Kirche herausgerannt und begann nach dem Priester zu suchen. Die Mütter aber ließen Šimkus nicht zum Priester. Unter Protest erklärten sie: »Wir brauchen den Priester, wir haben unsere Kinder vorbereitet und zur Uberprüfung gebracht.« Der Vorsteher schrie mir von weitem zu: »Du unterrichtest im Katechismus, wirst Du die Akte unter­schreiben?« »Ich unterschreibe keine Akten«, antwortete ich. Man konnte hören wie die Mütter und die Großmütter sie belehrten: »Was seid ihr für Litauer! . ..« Die Kommission verschwand, und ich überprüfte das Wissen der Kinder weiter und gab ihnen die Kärtchen für die Beichte aus. Am nächsten Tag erkundigte ich mich im Stadtexekutivkomitee bei der Sekre­tärin J. Surplienė, wer am gestrigen Tag in der Kirche gewesen sei. Sie erklärte mir, es sei eine Kommission gewesen, die eine Akte zusammen­gestellt und sie dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutiv­komitees von Klaipėda, Leita, übergeben habe. So sieht der Artikel 50 der Verfassung in der Praxis aus: »Den Bürgern der LSSR wird die Gewissens­freiheit garantiert.. . Die Kirche ist vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt.« Die Vertreter des Staates und der Schule wirtschaften in der Kirche! Der Artikel 50 der Verfassung befiehlt: »Das Schüren von Feindschaft und Haß im Zusammenhang mit religiösen Bekenntnissen ist verboten.« Was tun aber die Atheisten?

2.     Sogar der Artikel 17 des Statuts der religiösen Gemeinschaften erlaubt spezielle Versammlungen der Kinder und der Jugendlichen, die mit der Ausübung der Kulte zusammenhängen. Die Beichte aber und die hl. Kom­munion gehören gerade zum Kult, und die Priester sind verpflichtet, sie dazu vorzubereiten. Die Vorbereitung und der Unterricht als Katechese für Erwachsene findet in den Kirchen jeden Tag während der Predigt statt. Ist aber diese Katechese schon eine Schule? Die Sekretärin sagt, man solle nur die Kranken und die Sterbenden versorgen. Christus, unser Gott aber befiehlt: »Gehet hin und lehret alle Völker.« Wem sollen die Priester also mehr gehorchen? Der Atheistin Surplienė oder Christus?

3.     Wenn auch die Atheisten auf jede Art und Weise versuchen, den Gläu­bigen die Möglichkeit zu nehmen, ihren Glauben tiefer erkennen zu können und schon seit 40 Jahren zwangsweise allen den Atheismus anbieten, kann die Sekretärin J. Surplienė sich trotzdem nicht darüber freuen, daß die Zahl der Gläubigen in Litauen kleiner wird und die Kinder nur wegen der Ge­schenke die Kirche besuchen und den Glauben praktizieren.

Wir bitten Sie, auf die Atheisten-Kommunisten einzuwirken, damit sie die Verfassung einhalten und die Gewissensfreiheit, die das Grundgesetz des Landes garantiert, allen gewähren.

Gargždai, am 27. September 1986

Die Erklärung unterzeichneten Priester A. Šeškevičius und 682 Gläubige. (Die Erklärung ist gekürzt — Anm. d. Red.)

Šiauliai

Der Stellvertreter des Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegen­heiten, Lebedew, und die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Exekutiv­komitees der Stadt Šiauliai, Gaurilčkienė, haben am 31. März 1987 für die Mitglieder des Kirchenkomitees der Stadt und des Rayons Šiauliai ein Seminar veranstaltet. Lebedew berichtete den Versammelten ausführlich über das 600jährige Jubiläum der Taufe Litauens und über die Vorberei­tungen dazu. Er strengte sich an, die Leute zu überzeugen, daß die Regie­rung für diese Vorbereitung keinerlei Hindernisse in den Weg stelle. Er betonte ausdrücklich, daß den Priestern das priesterliche Amt nur innerhalb der Grenzen der eigenen Pfarrei erlaubt sei; wenn der Priester in eine andere Pfarrei fahren wolle, benötige er eine Erlaubnis des Rayonexekutiv­komitees. In dieser Angelegenheit erwähnte der Redner den Pfarrer der Pfarrei Žarėnai-Latveliai, Priester Algimantas Pakamanis und den Pfarrer der Pfarrei Bazilionys, Priester Feliksas Baliūnas, negativ. Lebedew nannte einige litauische Priester, die ständig in anderen sowjetischen Republiken tätig sind, was seiner Ansicht nach ein Vergehen sei. Er befahl den Mitglie­dern der Kirchenkomitees, die seelsorgerische Tätigkeit der Priester zu be­obachten, die von ihnen gehaltenen Predigten aufmerksam zu verfolgen, und wenn man etwas bemerke, was den von der Regierung gestellten Forde­rungen widerspreche, das den entsprechenden Organen zu melden. Er be­tonte, daß der Priester nur ein Kultdiener sei und daß man seine Tätigkeit nur auf das Spenden der Sakramente auf Verlangen der Gläubigen be­schränken solle. Die einzigen und die wirklichen Hausherren in der Kirche seien nach den Worten Lebedews die sogenannten Zwanziger. Er forderte auf, streng gegen das Sammeln von Unterschriften unter Erklärungen zu kämpfen, die, wie er sagte, die sowjetische Wirklichkeit verleumden, und auch gegen den Verkauf von Devotionalien vorzugehen.

Auf die Frage, ob Papst Johannes Paul II. an den Feierlichkeiten des 600-jährigen Jubiläums der Taufe Litauens in Litauen werde teilnehmen dürfen, antwortete der Redner negativ. Als er gefragt wurde, warum, erklärte er, daß der Papst sehr gegen die Sowjetunion eingestellt sei. Nach den Worten Lebedews erkenne er nicht einmal das sozialistische Litauen an.

Auf die Frage, warum S. Exz. Bischof Julijonas Steponavičius schon seit mehr als 25 Jahren in der Verbannung gehalten wird, antwortete der Stell­vertreter des Bevollmächtigten des RfR, daß das nicht die Angelegenheit der Regierung sei, sondern daß der Bischof den Bischof J. Steponavičius mit der Tätigkeit als Vikar in Žagarė beauftragt habe, weil dieser die so­wjetischen Gesetze nicht eingehalten habe.

Die Gläubigen gingen bedrückt aus diesem Seminar nach Hause, denn sie hatten aufgeschlossenere Diskussionen mit den Regierungsbeamten erwartet; dieses Gespräch war aber in keiner Weise anders als die früheren »Gehirn­wäschen«.

Alytus

An den Generalsekretär des ZK der KPdSU, M. Gorbatschow Abschriften: An den Vorsitzenden des KGBSU Tschebrikow

an den Vorsteher des Sicherheitsdienstes der LSSR an die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens

Erklärung

des Priesters Antanas Gražulis, wohnhaft in Litauen, Stadt Alytus, Pušyno 6

Am 8. Januar 1987 hat die Zeitung »Prawda« einen Artikel des KGB-Vorsitzenden Tschebrikow abgedruckt. Der Verfasser bescheinigt darin, daß es Fälle gebe, daß die Beamten des Sicherheitsdienstes die Gesetze ver­letzen.

Verehrter Generalsekretär, da ich das Empfinden habe, daß die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Willkür in Litauen treiben, wende ich mich an Sie.

Am 17. November 1986 kamen zwei unbekannte Männer zu meiner Haus­frau Jarmalienė, wohnhaft in Pušyno 6 (ich wohne ebenfalls dort als Mieter), von denen sie vorher telefonisch benachrichtigt worden war, sie solle auf einen Besuch warten. Sie hatten sich vorgestellt als Mitarbeiter des Sicher­heitsdienstes. Die zwei Männer befahlen meiner Hausfrau, in die Stadt zu gehen und nicht vor 13 Uhr zurückzukommen. Nach dem Mittagessen wurde ihr wiederum befohlen, das Haus zu verlassen. Als die Sicherheitsbeamten in der Wohnung allein waren, haben sie in ihren Zimmern manches getan, denn es waren Hammerschläge und andere Geräusche zu hören. Die unge­betenen Gäste verließen das Haus erst, als es schon finster war.

Etwa zwei Wochen nach dem 17. November wurde der Hund unseres Nach­barn Bendoravičius unter verdächtigen Umständen vergiftet. Schon öfters haben ich und mein Bruder in der finsteren Zeit des Tages, sogar bei Regen, neben dem Vorratshäuschen meiner Hausfrau zwei unbekannte Männer beobachtet. Jedesmal, sobald sie uns bemerkt hatten, verschwanden sie sofort wieder.

Später wurde der Hausfrau befohlen, um 6 Uhr morgens die Haustür auf­zusperren. 7 Minuten nach 6 Uhr sind zwei Männer eilig zu der Tür herein­gerannt (das haben ich und mein Bruder gesehen); sie haben kein Licht angemacht, und als es heller wurde, befahlen sie meiner Hausfrau (genau wie früher), in die Stadt zu gehen und erst zu der von ihnen festgelegten Zeit zurückzukommen. Während der Mittagszeit sah mein Bruder, der unsere Hausfrau um Erlaubnis gebeten hatte, telefonieren zu dürfen, zwei unbekannte Männer, die mit verdeckten Gesichtern schnell in das Zimmer hineinrannten. Als die Hausfrau das Mittagessen vorbereitet hatte, mußte sie ihre »Gäste« bis zum Abend in ihren Zimmern allein lassen. Die ganze Zeit war durch die Wand zu hören, daß sie irgendwas arbeiteten. Erst 35 Minuten nach 23 Uhr gingen die ungebetenen Gäste fort. Nach ihrem Weggang entstand im Rundfunkempfänger meiner Hausfrau und in meinem ein Nebengeräusch, das sogar das Hören der Sendungen der Rundfunk­station von Vilnius schwierig machte. Manchmal kann man das Programm des genannten Senders überhaupt nicht hören. Ich habe wegen der Stö­rungen der Sendungen der Rundfunkstation Vilnius bei dem BGA-Kom-binat in Alytus nachgefragt. Es wurde mir erklärt, daß solche Entstörungs­arbeiten vom Kombinat nicht gemacht werden. Meine Bekannten, die Rund­funkspezialisten sind, hegen den Verdacht, daß entweder im Haus meiner

Hausfrau oder in einem Nachbarhaus Abhörgeräte installiert worden sein könnten.

Als ein Freund von mir am 30. November um viertel nach 6 Uhr morgens zur Abreise aufbrach, konnte er einen Mann an der Ecke unseres Hauses stehend beobachten, der sich sofort entfernte, als er meinen Freund gesehen hatte.

Als das heiligste Weihnachtsfest immer näher kam, verschärfte sich die Verfolgung. Am 23. Dezember standen um das Haus, in dem ich wohne, Personenautos herum: Die einen fuhren weg, die anderen kamen. Innen saßen immer zwei oder drei Mann. Aus den Personenautos ragten durch das Hintertürfenster sonderbare Antennen heraus (solche habe ich noch niemals in einem Kaufladen gesehen). Wenn man sich den Personenautos näherte, zogen die Männer die Antennen schnell hinein und deckten eine sonderbare Apparatur zu. Nach den Autonummern stellte der Inspektor fest, daß alle Autos aus Vilnius kommen. Mir schienen folgende Personen­autos verdächtig, deren amtliche Kennzeichen lauten: 3246 LID, A 8236 LI, A 7600 LI, R 3972 LI. Darüber habe ich Sie am 23. Dezember durch ein Telegramm unterrichtet.

Verehrter Generalsekretär, alles, was ich Ihnen jetzt dargelegt habe, hat mir meine Hausfrau selber erzählt. Gewisse Personen könnten sie als Pensionistin und Herzkranke dazu zwingen, die mir erzählten Sachen zu verneinen. Meine Hausfrau hat mir erklärt: »Wie soll ich sie denn nicht hereinlassen? Ich habe doch Angst. Sie sind zu allem fähig, sie können mich umbringen, können sich an meinen Kindern rächen, sie aus der Arbeit hinausschmeißen...«

Ist das nicht eine Verletzung der sowjetischen Gesetze und der elemen­tarsten Rechte des Menschen? Warum darf man nicht einmal die sowjeti­schen Nachrichten ungestört hören?

Am 29. 1. 1987 Klaipėda

Im August 1986 wurde V. Žalomskytė wegen der Kinderkatechese mit einer Strafe von 25 Rubel belegt.

Kapsukas

Am 27. Januar versammelten sich die Gläubigen Litauens wie immer zahl­reich in der Kirche von Marijampolė, um den Todestag des Ehrwürdigen Dieners Gottes, Erzbischof Jurgis Matulaitis zu begehen.

An den Feierlichkeiten nahmen die Bischöfe Julijonas Steponavičius, Juo­zapas Preikšas, Vladas Michelkevičius und eine zahlreiche Schar von Prie­stern teil. Die Predigt während des Hochamtes hielt Bischof V. Michelke­vičius, und es sang während der hl. Messe ein vereinter Chor der Orga­nisten.

Nach dem Gottesdienst verließen die Gläubigen den Sarkophag des Erz-bischofs noch lange nicht.

Am Abend des 26. Januar versammelten sich die Kinder und die Jugend­lichen aus verschiedenen Ecken Litauens in der Kirche von Marijampolė vor dem Sarkophag des Erzbischofs Jurgis Matulaitis, um dort zu beten und die Gnade des Glaubens, der Entschlußkraft und des Opfergeistes zu schöp­fen. Nach der hl. Messe und der Predigt, die der Priester Kęstutis Brilius gehalten hatte, boten die Jugendvertreter der Pfarreien ein vorbereitetes Programm dar: Es wurden Lieder gesungen, Gebete und Gedichte vorge­tragen.

Rudamina (Rayon Lazdijai)

Am 6. und 7. Februar 1987 wurde in der Kirche von Rudamina des ersten Todestages des ums Leben gekommenen Priesters Juozapas Zdebskis ge­dacht.

An dem Gottesdienst am 6. Februar nahmen etwa 30 Priester und S. Exz. Bischof Vincentas Sladkevičius teil. Nach der hl. Messe ging der Bischof gemeinsam mit den Priestern und den Gläubigen in einer Prozession zu dem Grab des Priesters J. Zdebskis am Kirchhof, wo alle gemeinsam beteten. Bischof V. Sladkevičius und Priester Leonas Kalinauskas hielten eine Predigt.

Am 7. Februar, einem Sonnabend, versammelten sich viele gläubige Ju­gendliche und Erwachsene, die am 6. Februar wegen der Arbeit und des Schulbesuchs an dem Gottesdienst nicht teilnehmen konnten. Am Sonnabend feierten sieben Priester gemeinsam mit Bischof Julijonas Steponavičius die hl. Messe. In der Predigt, die Bischof J. Steponavičius hielt, wurden die positiven Eigenschaften des verstorbenen Priesters J. Zdebskis und der Einfluß seiner Tätigkeit auf die Geschichte der Kirche und des Volkes herausgehoben.

Nach der hl. Messe versammelten sich der Bischof, die Priester, die Jugend in Nationaltrachten und die Gläubigen am Grabe des Priesters J. Zdebskis. Nach der von Bischof J. Steponavičius gehaltenen Andacht für den Ver­storbenen sprachen der Dekan von Lazdijai, Priester Vincentas Jalinskas und ein Vertreter der Jugend ein kurzes Wort. Am Schluß sangen alle ge­meinsam das Lied »Marija, Marija«.

Žarėnai-Latveliai (Rayon Šiauliai)

Am 18. August 1986 verurteilte das Volksgericht der Stadt Šiauliai unter Leitung des Vorsitzenden Krūmas und seines Stellvertreters A. Neverauskas den Pfarrer der Pfarrei Žarėnai-Latveliai, Priester Algirdas Pakamanis, zu einer Administrativstrafe von 50 Rubel. In dem Gerichtsbeschluß vom 18. August steht aufgeführt, daß Priester A. Pakamanis deswegen angeschuldigt und ihm eine Strafe zugesprochen werde, weil er ohne Erlaubnis der Re­gierung nach Varduva gefahren sei und dort während der Ablaßfeierlich­keiten, wie sie erfahren hätten, eine nicht religiöse Predigt gehalten habe. Mit der Begründung, daß das Statut der religiösen Gemeinschaften rechts­widrig und mit dem Gewissen eines Priesters unvereinbar ist, verweigerte Priester A. Pakamanis die auferlegte Strafe zu zahlen. Am 3. Januar 1987 forderte die Gerichtsvollzieherin des Volksgerichts Šiauliai, L. Jocienė, den Priester A. Pakamanis auf, die Strafe zu bezahlen. Am 10. Januar erhielt er noch eine Aufforderung und gleichzeitig auch die letzte Mahnung, hinzu­kommen und die Strafe von 50 Rubel zu entrichten. Da der Priester A. Pakamanis sich weigerte, es zu tun, kamen die Gerichtsvollzieherin L. Jo­cienė und der Milizbeamte Oberleutnant Juozapavičius, der Vorsitzende des Exekutivkomitees von Šakyna, Valdemaras Mieliulis, und der Kraft­fahrer Pranas Beleckas ins Pfarrhaus. Der Milizbeamte Juozapavičius er­klärte, daß Priester A. Pakamanis die sowjetischen Gesetze verletzt habe und rechtens bestraft worden sei. Wenn der Priester sich weigere, die Strafe zu entrichten, werde die genannte Summe durch eine Konfiszierung der persönlichen Sachen eingetrieben. Die Gerichtsvollzieherin L. Jocienė stellte eine Akte der Eigentumsbeschreibung auf, nach der von Priester A. Paka­manis die Frontscheibe seines Autos »Moskwitsch« und eine elektronische Uhr zwangsenteignet werden.

Klaipėda

Am 19. Januar 1987 wandten sich vier Vertreter der Gläubigen der Stadt Klaipėda an den Rat für Religionsangelegenheiten der UdSSR in Moskau mit der Forderung, die ihnen zu Unrecht von der Regierung weggenommene Kirche »Königin des Friedens« zurückzugeben. Die Regierungsbeamten versuchten die Leute zu »beruhigen« mit dem Angebot des Umbaus des jetzigen Kirchleins in Klaipėda oder sogar mit der Erlaubnis, eine neue zu bauen. Die Bürger der Stadt Klaipėda verwarfen kategorisch ähnliche An­gebote und verlangten eine völlige Gutmachung der von der Regierung vollbrachten Ungerechtigkeiten.

Am selben Tag kam noch eine, vielleicht aus 15 Personen bestehende Dele­gation der Gläubigen zu dem Rat für Religionsangelegenheiten nach Mos­kau. Darunter waren Personen beinahe aus allen Diözesen Litauens: Juozas Kazalupskas, Petras Sidzikas, Petras Gražulis, Alfonsas Burbulis, Saulius Kelpšas, Janina Judikevičiūtė, Aldona Raižytė, Robertas Grigas, Žemaitytė, Valaitytė und andere. Die Delegation schloß sich der Forderung der Dele­gation von Klaipėda an, das Heiligtum der Königin des Friedens von Klai­pėda zurückzugeben und verlangten noch dazu, daß die Regierungsgottlosen sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischen sollten, daß dem Bischof Julijonas Steponavičius erlaubt werden solle, sein Hirtenamt in der Erzdiözese Vilnius auszuüben; sie verlangten, mit dem Terror gegen die Bischöfe Litauens aufzuhören; die Jungmänner sollten nicht gehindert werden, in das einzige in der Republik noch tätige Priesterseminar zu Kaunas einzutreten; der durch die Regierungsbediensteten (des Sicherheits­dienstes, der Miliz wie auch der Lehrkräfte) ausgeübten Verfolgung der Gläubigen, besonders der Jugend solle ein Ende gemacht werden.

Ein Beamter der Behörde des RfR, der sie empfangen hatte, benahm sich anständig, was bei den Begegnungen mit den Regierungsvertretern sonst gar nicht üblich ist. Er gab selber zu, daß die Wegnahme der orthodoxen und der katholischen Kirchen seinerzeit und ihre Umwandlung in Lager oder Pferdeställe oder einfach ihre Vernichtung wie auch die Schließung der Klöster »ein dunkler Fleck in der Geschichte des Landes« sei. Er wun­derte sich selbst darüber und behauptete, nicht zu wissen, nach welchen Grundlagen sich der Ministerrat der LSSR leiten ließ, als er die Anordnung gab, die Kirche von Klaipėda zu schließen. Das sei seiner Ansicht nach ein klarer Fehler gewesen; es sei aber zu bezweifeln, ob dieser Fehler durch eine Rückgabe der weggenommenen Kirche gutgemacht werde, denn die Regierung habe außer einem Kloster in Rußland, dessen Rückgabe als Ausnahmefall anzusehen sei, noch niemals etwas zurückgegeben. Er meinte, man solle mit dem früheren Vorschlag, das jetzige Kirchlein zu erweitern, oder eine neue Kirche zu bauen, einverstanden sein. Die Angereisten aber waren genau wie auch die Bürger von Klaipėda mit keiner anderen Variante einverstanden und verlangten nach einer vollkommenen Gutmachung eines Fehlers, den auch der Vertreter der Behörde des RfR zugegeben hat. Beim Abschied sagte der Beamte, daß in diesen Tagen verantwortliche Mitarbei­ter seiner Behörde in Vilnius weilten und gerade über die Frage der Kirche von Klaipėda berichten, deswegen würden sie bald auch eine Antwort be­kommen. Von einer groben Einmischung der Regierungsbeamten in die inneren Angelegenheiten der Kirche, von Terror gegen die gläubige Jugend habe die Behörde nichts gehört, erklärte er.

Am nächsten Tag, den 20. Januar, ging die genannte Delegation, der sich auch die Bürger von Klaipėda angeschlossen haben, zum Empfang beim ZK der KP der UdSSR. Dort war ihre Ankunft inzwischen schon bekannt, sie wurden bereits erwartet. Die Delegation wurde von dem Mitarbeiter des ZK Krygin empfangen. Krygin wollte gar nicht glauben, oder vielleicht milder gesagt, er spielte den Ahnungslosen, als er von den von der Regie­rung ausgeübten Verfolgungen der Gläubigen und von der groben Ein­mischung des Sicherheitsdienstes in die Angelegenheiten des Priesterseminars hörte. Erst als Petras Gražulis und Saulius Kelpšas nacheinander mit eige­nen Worten geschildert hatten, wie sie schon seit 7 Jahren terrorisiert wer­den, indem man ihnen nicht erlaubt, in das Priesterseminar einzutreten, versprach Krygin, sich um diese »Abweichungen« zu kümmern.

In der Frage der Rückgabe der Kirche »Königin des Friedens« von Klai­pėda versprach der Vertreter des ZK den Angereisten, innerhalb eines Monats eine Antwort zu geben. Die Gläubigen erklärten Krygin, sie würden so lange nach ihrem Recht suchen und Unterschriften unter Erklärungen sammeln, bis die Kirche zurückgegeben werde.

Gegen Ende des Gesprächs lenkte die Delegation die Aufmerksamkeit des Vertreters des ZK der KP darauf, daß der Sicherheitsdienst der Republik und andere Bedienstete der Regierung die Gläubigen daran hindern, sich mit Erklärungen an die Regierung des Landes in ihren aktuellen Fragen zu wenden; daß man sie wegen Sammeins von Unterschriften und wegen des Unterschreiben von Protestschreiben verhöre und drohe, und daß manche aus Angst vor den Drohungen der Tschekisten ihre Unterschriften sogar widerrufen; wer nach Moskau reise, um sich mit Regierungsvertretern zu treffen, werde nicht selten von ihnen angehalten und zurückgeschickt, und wenn man zurückgekommen sei, dann werde man vernommen und im Sicherheitsdienst eingeschüchtert oder am Arbeitsplatz terrorisiert. Die Dele­gationsmitglieder forderten den Vertreter des ZK Krygin auf, seine Auf­merksamkeit auch auf solche »Abweichungen der Regierungsbeamten« zu richten. Er möchte doch einen solchen groben Terror gegen die Menschen verbieten. Sie versicherten dabei, wenn er nicht entsprechend und rechtzeitig dafür sorge, warte dieses Schicksal auch auf sie, weil sie es gewagt hätten, nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu suchen.

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