Am 17. September 1987 waren alle Bischöfe und Dekane Litauens für 11 Uhr zu einer Begegnung mit den Führern der Republik beim Obersten Sowjet eingeladen. Die erste Begegnung dieses Ausmaßes in der Nach­kriegsgeschichte hat bei allen recht widersprüchliche Gedanken hervor­gerufen : Was soll das sein - eine noch raffiniertere Tücke oder eine bei uns zur Zeit so moderne sowjetische Umgestaltung? Urteilen Sie bitte selber...

An der Begegnung nahmen vier Bischöfe Litauens und ein nicht geringer Teil der Dekane teil. Nicht eingeladen wurden der verbannte Bischof Julijo­nas Steponavičius und Bischof Romualdas Krikščiūnas. Bischof Vincentas Sladkevičius, tief erschüttert durch die Exzesse der Regierungsbeamten am 13. September in Šiluva, war krank und kam deswegen nicht zu dem Tref­fen. Der Verwalter der Erzdiözese Vilnius, Priester A. Gutauskas, hielt sich zu der Zeit, auf Anregung der Regierung, in Polen auf.

Die Begegnung eröffnete der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der LSSR R. Songaila mit seinem Bericht. Eine gute halbe Stunde rühmte er vor den Vertretern der Kirche die ökonomischen und kulturellen Errungenschaften der Republik am Vorabend des 70-jährigen Jubiläums der sowjetischen Oktoberrevolution, die im Lande und in der Republik stattfin­denden Umgestaltungsprozesse, die Wege der Entscheidungen bei Sozial­fragen und ihre Perspektiven. Der Bericht war langweilig und im Stil der Zeitungspropaganda.

Die Fragen der Beziehungen zwischen Kirche und Staat versuchte der Sekretär des ZK der KPL, L. Šepetys, zu umreißen. Angesichts der statt­findenden Umgestaltung im Lande gebe es, seinen Worten nach, Möglich­keiten, das Prinzip der Gewissensfreiheit besser zu verwirklichen; er ver­besserte sich aber gleich, indem er hinzufügte, daß der Staat die Grenzen setzen werde, inwieweit diese Freiheit zu tolerieren sei; das wichtigste sei, daß die Freiheit nicht den Bestimmungen des Statutes zuwiderlaufe. Das bedeutet, daß die im Lande stattfindende Umgestaltung die geheim vom Staat herausgegebenen Bestimmungen, die unvergleichbar wichtiger sind als die Garantien der Verfassung, nicht betrifft. L. Šepetys lobte in seiner

Rede jene Geistlichen, die „dem sozialistischen Staat in der Position der Loyalität gegenüber stehen und sich in ihrer Tätigkeit auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Gläubigen beschränken". Er freue sich darüber, daß das Gedenken des Jubiläums des hl. Casimir ziemlich gut verlaufen sei und daß jetzt in einem Teil der Kirchen, aus Anlaß der Einführung des Christentums in Litauen vor 600 Jahren, „religiöse Veranstaltungen ohne Verletzung der Gesetze stattfinden", - sagte L. Šepetys. Am besten seien sie, nach Meinung der Regierung, in der Kathedrale von Kaunas und in Vilnius verlaufen. In den anderen Kathedralen nur zufriedenstellend. Dort soll es unerwünschte Nuancen gegeben haben: zu viele Jugendliche, Büh­nenbilder, die die sechshundertjährige Geschichte des christlichen Litauens darstellen, das Lied „Lietuva brangi" - „Teures Litauen" sei gesungen wor­den und ähnliches. Seine Lobrede schloß er mit den Worten: „Die Agen­turen im Ausland werden jetzt mit Sicherheit daran Anstoß nehmen, weil ich die loyalen Geistlichen lobe." L. Šepetys bedauerte, daß Radio Vatikan die loyalen Priester nicht unterstütze und sich scharf gegen die Regierungs­verantwortlichen äußere.

Seine Rede nahm den gewohnten und wohlbekannten Stil der atheisti­schen Redner an, als die von Priestern und Gläubigen begangenen „Ver­gehen" aufgezählt wurden: Es sei schlecht gewesen, daß der Priester J. Kauneckas, der Priester J. Pakalniškis und der Priester A. Pakamanis während der Ablaßfeierlichkeiten in Žemaičių Kalvarija im Jahre 1986 in ihren Predigten über die demoralisierende Wirkung der Gottlosigkeit auf das litauische Volk gesprochen hätten; ein ähnliches Vergehen habe der Priester R. Puzonas während der Ablaßfeierlichkeiten in Šiluva 1986 begangen. Besonders aber regten den Redner die alljährlichen Sühne­prozessionen auf, die auf den Knien um die Basilika von Šiluva stattfinden. Die Gläubigen haben sie an Stelle der von den Atheisten verbotenen Wall­fahrtszüge von Tytuvėnai nach Šiluva eingeführt. Das sei, so L. Šepetys, eine Erniedrigung der Würde des Volkes.

Dem Sekretär des ZK L. Šepetys paßte es auch nicht, daß in einigen Kirchen Litauens Laien zu Wort gekommen seien: er nannte auch gleich, mit den für die Atheisten unvermeidlichen „Verschönerungen", ihre Namen: Am 2. Mai 1987 habe die Banditin Jadvyga Bieleauskienė in der Kirche von Kuršėnai reden dürfen und am 13. September der Chauffeur des Priesters A. Gražulis, der hartgesottene antisowjetische Agitator Petras Gražulis in der Basilika von Šiluva.

L. Šepetys hat auch den Dekanen Stanislovas Ilinčius und Vaclovas Graus-lys empfohlen, ernste Schlüsse daraus zu ziehen: Es sei nun an der Zeit, mit dem Wettbewerb des Unterschriftensammelns und Erklärungenschrei­bens an die staatlichen Behörden aufzuhören, denn das rege die sowje­tische Regierung auf; die Beamten seien auch nur Menschen, die ein normales und ruhiges Leben führen möchten. Beunruhigung riefen auch die Frauen hervor, die ein sogenanntes klösterliches Leben führen. Die Regierung hätte nichts gegen sie, wenn sie nur beten würden, jetzt aber mischten sie sich in das kirchliche Leben ein, und noch schlimmer sei, daß manche von ihnen - als Beispiel nannte er hier Nijolė Sadūnaitė -anfingen, sich auch mit der Politik zu beschäftigen" - sagte L. Šepetys.

Nicht besser stünden die Dinge im Priesterseminar zu Kaunas, denn nach Unterlagen der Regierung schlössen alljährlich zwei bis vier frische „Politikmacher" das Seminar ab. Es sei nötig, von den Pfarrern mehr Ver­antwortung zu verlangen, die antisowjetisch gesinnten Kandidaten eine Empfehlung ausstellen. „Wer hat den Priestern A. Gražulis, Vytautas Prajara, Edmundas Atkočiūnas Empfehlungsschreiben ausgestellt?" - fragte L. Šepetys vorwurfsvoll.

„Was wünscht sich die Regierung von der Katholischen Kirche? Vor allem", - wandte sich L. Šepetys an die Versammelten - „Vermeidung jeder Konfrontation zwischen Kirche und Staat und mehr Unterstützung für den Friedensfond". Er wies darauf hin, daß diesbezüglich die Lage in den Diözesen Telšiai und Kaišiadorys am traurigsten sei. Am besten stehe noch die Erzdiözese Vilnius da, aber die orthodoxen Christen von Vilnius über­trumpften auch sie. Es würden auch größere Einzahlungen für den Kultur-und den neugegründeten Kinderfond benötigt.

L. Šepetys versprach in seiner Rede, daß das Statut der religiösen Gemein­schaften in Zukunft möglicherweise durch ein demokratischeres ersetzt werde, daß die Kirche der „Königin des Friedens" von Klaipėda zurück­gegeben werde und daß es erlaubt werde, einige Kirchen zu restaurieren. Priester dürften die Schwerkranken im Krankenhaus besuchen und würden in letzter Zeit nicht mehr bestraft, wenn Kinder während der hl. Messe ministrieren und an Prozessionen teilnehmen. „Veränderungen und Frei­heiten gibt es also in Massen!" Wie immer und überall vergaß L. Šepetys nicht, all das Gute aufzuzählen, das der Staat der Kirche getan hatte, an­gefangen von der Erlaubnis, eine begrenzte Zahl Gebetbücher zu drucken, bis zu den gestatteten Zuteilungen an Personenautos für die Bistümer.

Schließlich wurde den Bischöfen und den Dekanen erlaubt, sich in Form von Fragen zu äußern, was die Zeitschriften später „einen offenen Mei­nungsaustausch" nannten.

Als erster sprach der Dekan von Lazdijai, V. Jalinskas. Er trug die Frage nach den von der Regierung nicht zum Priesterseminar zugelassenen jungen Männern vor. „Wäre es nicht möglich, die Frage der Kandidaten­aufnahme in das Priesterseminar ohne Einmischung der Behörde des Bevollmächtigten des RfR zu lösen?" - erkundigte sich Priester V. Jalins­kas. L. Šepetys erinnerte daran, daß es noch viel Bürokratismus in der Behörde des Genossen P. Anilionis gebe. P. Anilionis antwortete dazwischen mit einer Replik, daß es anders auch nicht gehe, weil sogar mit Kontrollen noch solche, wie Edmundas Atkočiūnas, Antanas Gražulis, Vytautas Prajara und ihnen ähnliche in das Priesterseminar gelangten.

Der Dekan von Tauragė, Priester Puzaras, fragte: „Warum dürfen Kirchen keine Abstinenzbruderschaften gründen?" Ihm wurde geantwortet, daß dies eine Spaltung der Abstinenzarbeit bedeuten würde, deswegen sei es unzulässig.

Ganz ausgiebig sprach sich der Dekan von Saldutiškis, Priester Z. Navickas, aus. Er bemerkte, daß diese Begegnung, wie alle anderen dieser Art, im Grunde ein Monolog sei. In Wirklichkeit gehe es nicht darum, die Mei­nungen und Wünsche der Teilnehmer zu erfahren. Das in dem Bericht erwähnte Statut der religiösen Gemeinschaften mache die durch die Verfas­sung garantierte Gewissensfreiheit zunichte; es einzuhalten sei unmöglich, wenn man nicht gegen das priesterliche Gewissen verstoßen wolle. Die Zeit sei gekommen, dieses Statut daraufhin zu überprüfen, ob es der Gleichberechtigung aller Bürger, auch der Gläubigen, entspreche. Der Presse solle es nicht länger erlaubt werden, die Religion in grober Weise und mit verdrehten Anschuldigungen anzugreifen und die Priester und die Gläubigen zu beleidigen.

Als Beispiele nannte er den in „Tarybinė moteris" („Die sowjetische Frau") veröffentlichten und zu trauriger Berühmtheit gelangten Artikel von V. Balkevičius über die Gottesmutter Maria, die Artikel von Jurginis und Lauraitis über den hl. Casimir wie auch über den seligen Jurgis Matulaitis und schließlich die Exzesse in „Tarybų moteris" gegen den Pfarrer der Pfar­rei Deltuva, Priester Eugenijus Bartulis, und in der Rayonzeitung gegen ihn selbst. Priester Z. Navickas versuchte auch zu erfahren, aufgrund welchen konkreten Gesetzes oder welcher Verordnung Rokas Puzonas, Robertas Grigas und Nijolė Sadūnaitė vom Sicherheitsdienst entführt und terrori­siert worden sind.

Er verlangte, endlich mit den unbegründeten Vorhaltungen und Angriffen gegen die Bischöfe aufzuhören, wie z. B. Bischof Vincentas Sladkevičius angegriffen wurde, als er während der Ablaßfeierlichkeiten dieses Jahres in Šiluva zur Andacht ging. Damals habe ihm der Stellvertreter des Rayon­exekutivkomitees und ein Inspektor der Behörde des Bevollmächtigten des RfR in Anwesenheit anderer Priester gedroht, er werde einen anderen Administrator für das Bistum suchen, wenn er den Priester R. Puzonas nicht zur Raison bringe. Außer dem Versuch, sich herauszuwinden, gab es auf diese Fragen keine Antwort. Die Verordnungen seien - so die Meinung der Regierungsbeamten - gut, würden vielleicht auch noch verbessert. Von irgendeinem Terror gegen die Gläubigen oder Priester habe man nichts gehört und man glaube nicht daran, daß höhere Beamte angeordnet hätten, einen Priester oder andere Personen die ganze Nacht herumzukutschieren; dem Fall von Deltuva versuche man nachzugehen, im allgemeinen aber wisse L. Šepetys nicht, was der Priester E. Bartulis begangen habe. (In der Presse wurde darauf hingewiesen, daß der Priester Z. Navickas bei der Begegnung „die lügenhaften Erzählungen der ,Stimmen' [d. h. der auslän­dischen Sender, Anm. d. Red.] des Rundfunks über angeblich brutales Vor­gehen der Regierung gegen manche sich extremistisch bestätigende Priester und Gemeindemitglieder durchgehend wiederholt" habe. Vergi. „Gimtasis kraštas" - „Heimatland" vom 7. - 14. Oktober 1987.)

Die Frage blieb in der Luft hängen, als der Dekan von Skuodas, Priester P. Palšis, sich erkundigte, warum die Regierung das Kirchenkomitee von Klaipėda nicht anmelde, das die endlich zurückgegebene Kirche über­nehmen und mit den Restaurierungsarbeiten beginnen könne. Zwar wurde versucht klarzumachen, daß das alles irgendwie von selbst in Ordnung kommen könne, aber wie, das blieb trotzdem unklar.

Der Dekan von Panevėžys, Priester J. Antanavičius, forderte den Sicher­heitsdienst auf, die Kandidaten für das Priesterseminar nicht zu quälen, die Seminaristen nicht zum Heucheln zu zwingen und sie nicht zu verlassen, daß sie sich von vornherein gegen jede Autorität eine Widerstandshaltung aneignen. Priester J. Antanavičius wies auf eine ganze Reihe konkreter Fälle hin, wie die Kinder gläubiger Eltern verfolgt und seelisch erschüttert werden, daß sie sich, von den Lehrern eingeschüchtert, nicht einmal mehr auf den Kirchhof wagen. „Es ist auch nicht nötig, daß sich die Schüler auf dem Kirchhof zeigen", - antwortete der Regierungsvertreter, und an den anderen Sachen seien die Priester selber, die Seminaristen und die Leitung des Priesterseminars schuld.

Eine gewöhnliche „Gehirnwäsche" hätte, wie es scheint, damit auch beendet sein können, leider aber... im Zuge der Umgestaltung im Lande gibt man sich mit der „Wäsche" allein nicht zufrieden. Bald darauf erschie­nen in den Zeitschriften der Republik - in „Tiesa" („Die Wahrheit") am 18. September, in „Gimtasis kraštas" („Heimatland") am 7. - 14. Oktober und etwas später auch in „valstiečiu laikraštis" („Die Zeitschrift der Land­bewohner") -, Artikel und Berichte, in denen diese Begegnung beschrieben wurde, selbstverständlich mit gewissen Auslassungen, Verschönerungen und sogar groben Verdrehungen.

An die Telegrammagentur der LSSR

Abschriften: an die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens

Wir, die Unterzeichneten, waren zu einer Begegnung in das Präsidium des Obersten Sowjets eingeladen und fuhren gutwillig gestimmt hin in der Hoffnung, uns über die Fragen, die uns Sorgen bereiten, nämlich über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, aussprechen zu dürfen. Mit Erstaunen müssen wir nun sehen, wie die Massenmedien diese Begegnung dargestellt haben.

Die Massenmedien haben darauf hingewiesen, daß die Führer des Staates, die Priester und die Bischöfe gesprochen hätten. In Wirklichkeit aber haben gesprochen nur der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets, R. Songaila, sowie der Vorsitzende des Obersten Sowjets der Republik und Sekretär des ZK der KPL, L. Šepetys, und erst nach der Erlaubnis, Fragen zu stellen, reichten eine Reihe von Priestern und ein Bischof Fragen ein. In ihren Fragen wiesen sie auf die wunden Stellen der Beziehungen zwischen Kirche und Staat hin. Wie soll man solche Berichterstattung verstehen, in der es heißt, daß „der Bischof A. Vaičius, der Rektor des Priesterseminars V. Butkus und der Dekan P. Palšis (in der Zeitschrift wurde „Paišys" geschrieben) den in der Versammlung vorgetragenen Gedanken zuge­stimmt haben", während in Wirklichkeit alle nur die ihnen und der Kirche Litauens Sorge bereitenden Fragen gestellt haben.

Am 18. September d. J. gab die „Tiesa" („Die Wahrheit") eine Meldung der „ELTA" wieder, wonach sich Bischof A. Vaičius, der Rektor des Prie­sterseminars V. Butkus und der Dekan P. Palšis „für die Voraussetzungen, religiöse Handlungen zu vollziehen" bedankt hätten. Eine derartige Dank­sagung gab es nicht. Ist es denn notwendig, sich Für die durch die Gesetze garantierten Rechte zu bedanken? Durch eine derartige Ausdrucksweise wird suggeriert, daß die Gläubigen ihr Recht zu religiösen Handlungen quasi nur als besondere Gnade der Führungskräfte bekommen würden. So haben es scheinbar auch die Korrespondenten selbst verstanden, denn spä­ter in der „Valstiečių laikraštis" gab es diese Phrase nicht mehr. Man sollte Begegnungen dieser Art objektiv und wahrheitsgemäß durchleuchten.

Telšiai, am 20. September 1987.

Es unterzeichneten: Bischof Antanas Vaičius Die Dekane der Diözese Telšiai:

Priester Bernardas Talaišis        Priester Kazimieras Gasčiūnas

Priester Bronislovas Burneikis        Priester Juozas Pacinskas

Priester Jonas Gedvilą        Priester Petras Palšis

Priester Petras Puzaras        Priester Jonas Bučinskas