Sehr verehrte Frau Coretta King,

ein herzlicher Dank Ihnen dafür, daß Sie sich in der Fortsetzung der Arbeit Ihres verehrten Mannes, des großen Kämpfers für die Menschenrechte Martin Luther King, einsetzen für den Sohn unseres christlichen Volkes, Priester Alfonsas Svarinskas, der die Ketten der Unfreiheit wegen dersel­ben heiligen Sache der Menschenrechte trägt.

Als Dank dafür sind wir entschlossen, Sie mit unseren Gebeten zu unter­stützen. Wir bitten den allmächtigen Gott um Segen für Sie, Ihre Familie und für die Sache, für die Sie sich einsetzen.

Die Katholiken Litauens.

WIR DANKEN FÜR DIE AUFOPFERUNG!

Nach der Verbüßung seiner dreijährigen Strafe im Gefängnis von Nowoor-lowsk (in der Region von Tschita), ist Priester Jonas-Kąstytis Matulionis am 17. Oktober 1987 nach Litauen zurückgekehrt.

Priester J. K. Matulionis war am 9. November 1984 verhaftet worden, weil er am Vorabend des Allerseelentages zusammen mit den Gläubigen in einer Prozession den Friedhof besucht und dort öffentlich gebetet hatte. Er wurde am 15. Juni 1985 (nach einer Amnestie) aus dem Lager Anachow (in der Region von Smolensk) entlassen. Am 26. Juni jedoch kamen zwei Bedienstete des Staatssicherheitsdienstes in die Wohnung des Priester J. K. Matulionis in Vilnius. Sie erklärten, daß sie mit ihm etwas zu besprechen hätten, und nahmen ihn mit. Später erst wurde klar, daß Priester J. K. Matulionis wieder verhaftet und ohne Gerichtsbeschluß in das Lager nach Nowoorlowsk gebracht worden war, um die restliche Strafe zu verbüßen.

Priester J. K. Matulionis wurde am 4. Juli aus Vilnius per Etappe duch die Gefängnisse von Smolensk, Woronesch, Tscheljabinsk, Irkutsk, Tschita transportiert, bis er am 8. September morgens in Nowoorlowsk eingewie­sen wurde. Am 18. Juni 1986 riet der Stellvertreter des Lagerverwalters für Angelegenheiten der Politischen Gefangenen dem Priester J. K. Matulio­nis, eine Erklärung zwecks vorzeitiger Entlassung einzureichen. Priester J. K. Matulionis weigerte sich, eine Erklärung zu schreiben.

Am 10. Dezember 1986 forderte eine Administrativkommission ihn auf, sich schuldig zu bekennen. Der Priester weigerte sich entschieden, was eine verschärfte Verfolgung und Verspottung seitens der Mitarbeiter des Lagers und sogar der Mitgefangenen mit sich brachte. Am 2. September wurde Priester J. K. Matulionis vor eine Administrativkommission vorgela­den, die aus dem Lagerverwalter Badmaschapow, seinem Stellvertreter für Angelegenheiten der politischen Gefangenen Fedor und dem Leiter der Spezialabteilung Schewtschenko bestand. Der Lagerverwalter Badmascha­pow fragte, ob der Verurteilte sich für schuldig bekenne, ob er anerkenne, daß das Gericht ihn rechtens verurteilt habe. Priester J. K. Matulionis erklärte, daß er sich nicht als schuldig betrachte und dadurch auch der Überzeugung sei, daß das Gericht ein Unrecht begangen habe.

Noch am selben Abend übergab ein Mitarbeiter der Lagerverwaltung ihm eine „Belehrung" des Politführers, er solle vor der Kommission mit dem Staatsanwalt anders reden, andernfalls werde er nicht amnestiert. Am 18. September setzte Priester J. K. Matulionis eine Erklärung an den Lager­verwalter auf, in der er schriftlich wiederholte, daß er sich nicht für schul­dig bekenne und auch nicht vorhabe, seine Meinung zu ändern. Er legte in dieser Erklärung begründet dar, daß er nicht an die Beschlüsse der Admini­strativkommission und deren Wirksamkeit glaube. Auf Beschluß einer sol­chen Administrativkommission, bestehend aus 15 Personen, unter denen auch ein Staatsanwalt gewesen sei, sei er am 17. Juni 1985 aus dem Lager von Anachow in die Freiheit entlassen worden. Aber bereits am 26. Juni sei er in Vilnius wieder festgenommen und rechtswidrig ohne Gerichts­beschluß nach Nowoorlowsk gebracht worden. Damit sich diese Geschichte nicht noch einmal wiederhole und er nicht noch einmal auf strapaziöser Etappe zur Verbüßung der Reststrafe irgendwohin transportiert werde, verzichte er auf die Amnestie, da er ohnehin nur mehr einen Monat zu verbüßen hätte und die angebotene Amnestie zudem voraussetze, daß sich der Amnestiekandidat als schuldig bekenne. Gleichzeitig bat er darum, ihm zu gestatten, die ihm vom Gericht auferlegte Strafe vollends im Lager verbüßen zu dürfen.

Am 25. September fand eine Sitzung der Administrativkommission statt. Auch der Staatsanwalt nahm an der Sitzung teil. Zum Erstaunen der Lager­leitung bekannte sich Priester J. K. Matulionis auch jetzt nicht für schuldig und überreichte dem Staatsanwalt eine Abschrift der erwähnten Erklärung. „Es ist ein einmaliger Fall, daß ein Angeklagter auf eine Amnestie verzich­tet", sagten die Mitarbeiter der Lagerverwaltung zueinander. Der Staats­anwalt nahm die Akte des Priester J. K. Matulionis mit dem Vermerk „Zum Zwecke der Überprüfung" nach Tschita mit.

Am 14. Oktober fand eine Wiederholung der Sitzung der Administrativ­kommission statt. Priester J. K. Matulionis wurde nicht vorgeladen. Erst am Abend wurde ihm mitgeteilt, daß der Staatsanwalt seine Amnestie unterschrieben habe. Am 15. Oktober wurde Priester J. K. Matulionis aus dem Lager entlassen.

Am 17. Oktober morgens feierte Priester J. K. Matulionis, aus Dankbarkeit für den Weg, den ihm der Herr zugedacht hat, in der Kapelle im Tor der Morgenröte [in Vilnius] die hl. Messe.

Am Abend des 23. Oktober empfingen ihn die Bürger von Kybartai am Bahnhof von Kybartai. Etwa 100 Menschen waren gekommen, um den ehe­maligen Gefangenen-Priester zu begrüßen, darunter viele Kinder und nicht wenige Jugendliche. Vom Bahnhof begleiteten die Gläubigen den Priester bis zur Kirche. Hier kniete Priester J. K. Matulionis vor dem Haupteingang der Kirche nieder und betete eine Weile still für sich, während die Gläu­bigen das Lied „Marija, Marija" sangen. Priester J. K. Matulionis bedankte sich bei allen für ihre Gebete und segnete die Versammelten. Die Beamten des Sicherheitsdienstes und der Miliz behinderten diesen Empfang nicht direkt und hielten sich abseits.

Am Sonntag, dem 25. Oktober, gratulierten die Gläubigen der Pfarrei Kybartai und jene, die aus verschiedenen Gegenden Litauens - aus Kėdai­niai, Zarasai, Vilkaviškis, Kaunas, Vilnius, Garliava, Šeštokai, Marijampolė und anderswoher nach Kybartai gekommen waren, vor allem Jugendliche, - dem Priester J. K. Matulionis in der Kirche von Kybartai. Alle dankten ihm für seine Aufopferung, für sein Beispiel der Treue zur Kirche und zur Heimat, baten ihn um Verzeihung für jene Völksangehörigen, die aus Angst oder weil sie eine bessere Stellung erhalten möchten, es nicht gewagt hat­ten, sich mit ihren Unterschriften oder mit Worten für ihn und die anderen unschuldig Eingekerkerten einzusetzen.

Priester J. K. Matulionis gedachte auch der unschuldig eingekerkerten Prie­ster Sigitas Tamkevičius, Alfonsas Svarinskas wie auch aller anderer, die für die Wahrheit eingekerkert und verfolgt werden. Er bedankte sich herzlichst für die Gebete, für die Briefe, die ihn im Lager hinter dem Baikalsee erreicht hatten. Er bedankte sich bei allen, bei denen in der Heimat und im Ausland und auch bei den Kongreßmitgliedern der USA, die sich um das Schicksal der Verurteilten gekümmert haben und sich auch weiterhin derer annehmen. Am Schluß seiner kurzen Ansprache versprach Priester J. K. Matulionis, in seinen Gebeten und bei der Feier der hl. Messe auch weiter­hin all jener zu gedenken, die auf die eine oder andere Weise die unschul­dig Verurteilten unterstützen und sich für sie einsetzen.

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