Es sind schon einige Monate vergangen seit den außergewöhnlichen Ereig­nissen für die Kirche Litauens, den Hauptfeierlichkeiten des 600-jährigen Jubiläums seiner Taufe und der Seligsprechung des Erzbischofs Jurgis Malatulaitis. Aus der Perspektive der Zeit kehren die Gedanken vieler Menschen immer noch zurück zu den Eindrücken der Feierlichkeiten; sie erleben die erhabene, feierliche Stimmung nach und erinnern sich auch daran, was die Freuden der genannten Feierlichkeiten verfinstert hat.

Die Gläubigen Litauens hatten die Hoffnung gehegt, daß die sowjetische Regierung dem Heiligen Vater Johannes Paul II. erlauben werde, wenig­stens für eine kurze Visite zu den Jubiläumsfeierlichkeiten zu kommen. Leider gesteht die sowjetische Regierung das Recht, den Papst zu Jubi­läumsfeierlichkeiten einzuladen, nur der Russisch-Orthodoxen Kirche zu; sie hat seinerzeit auch die Gunst der Zaren genießen dürfen. Es scheint, daß die sowjetische Regierung die alten Traditionen des alten russischen Imperiums weiter fortsetzt: Von allen in der Sowjetunion existierenden Religionen ist ausschließlich die Russisch-Orthodoxe Kirche privilegiert.

Diese Tendenz zeigt sich auch ganz klar in dem „Geschenk" der sowje­tischen Regierung aus Anlaß des Jubiläums der Taufe Litauens - in der vom Verlag „Mintis" herausgegebenen Veröffentlichung „Die Kirche in Litauen". Als die Bischofskonferenz Litauens nicht einverstanden war, ein Album der Kirchen Litauens herauszugeben, wenn die Aufnahmen der Hauptkirche Litauens, der Kathedrale von Vilnius (jetzt in eine Bildergale­rie umfunktioniert) darin nicht veröffentlicht werden dürften, übernahm die Regierung selbst die Zusammenstellung und Herausgabe dieser Veröf­fentlichung. Die Vorbereitung des Albums wurde dem bekannten KGB-Agenten V. Kazakevičius, der sich um die Litauer im Ausland „kümmert", und dem Lektor des ZK der KPL J. Sakalauskas, der die regionalen Zeitun­gen mit Artikeln der aufdringlichen und naiven atheistischen Propaganda reichlich versorgt, übertragen.

Wir wollen den Titel dieser Veröffentlichung betrachten: „Die Kirche in Litauen" (Nicht die Kirchen oder Religionen in Litauen, sondern nur: die Kirche.) Und darin sind auch die Aufnahmen nicht nur der Gotteshäuser der Litauischen Katholischen Kirche enthalten, sondern auch die der Rus­sisch-Orthodoxen Kirchen, der jüdischen Synagogen und der mohammeda­nischen Moscheen. Und alles wird unter der Benennung „Die Kirche in Litauen" vereint. In dieser von den Atheisten „vereinten" Kirche braucht man nur noch der loyalsten, nämlich der Russisch-Orthodoxen Kirche, die das meiste Geld in den Friedensfond einzahlt, die Führung zu übertragen, und der von den Atheisten so unerwünschte Einfluß des Papstes im Rom wird sein Ende haben.

Diese Veröffentlichung ist nicht das einzige, was beweist, wie die Hüter der „Freiheit der religiösen Kulte" weiterhin in dieser Sache denken; auch den philippinischen Kardinal hatte nur die Russisch-Orthodoxe Kirche nach Litauen einladen dürfen.

Während der Ostertage dieses Jahres wurde im Priesterseminar zu Kaunas einer Delegation von vier Seminaristen, unter Leitung des Seminaristen im IV. Kursus, A. Budrius, offiziell erlaubt, am Gründonnerstag am ortho­doxen Ostergottesdienst teilzunehmen. Ohne Zustimmung der atheisti­schen Regierung dürfen solche Besuche nicht stattfinden. Ist es nicht zu bezweifeln, ob es ratsam ist, Theologiestudenten, die in der Theologie noch nicht richtig gefestigt sind, die die Grundlagen der eigenen Theologie noch nicht richtig studiert haben, zu solchen ökumenischen Freundschafts­visiten zu schicken? Vor allem dann, wenn bei einer solchen Visite keiner der älteren Priester oder Lehrkräfte des Priesterseminars sich beteiligen. Werden nicht eines Tages solche während solcher Visiten „vorbereitete" Seminaristen, wenn sie selber einmal Priester sind, sich anschicken, den großen Plan der sowjetischen Gottlosen zu verwirklichen: Die Katholiken Litauens unter der Obhut der Orthodoxen Kirche Rußlands zu vereinen? Die geschichtliche Erfahrung Litauens war viel zu schmerzvoll, als daß man ihre Lektionen mit Gleichgültigkeit betrachten könnte.

Am 24. Mai 1987 wurde in der Basilika von Kaunas des Jubiläums der Taufe Litauens gedacht. Der Eindruck war ziemlich matt. Es stimmt, einige Bischöfe haben die hl. Messe konzelebriert und Bischof Antanas Vaičius hat die Predigt gehalten. Man bemerkte aber sonst in der Basilika keine das Jubiläum betonenden Akzente. Die Gläubigen waren in der Hoffnung gekommen, daß sie anläßlich der Jubiläumsfeierlichkeiten die Gräber der in der Krypta der Kathedrale beigesetzten großen Männer des Volkes und der Kirche, wie der Bischöfe M. Valančius und P. Karevičius sowie des Prälaten Maironis, würden besuchen dürfen. Dies war auch vorgesehen, aber scheinbar hat man bei „kompetenten" Stellen etwas läuten hören..., und es wurde aus Anlaß der Jubiläumsfeierlichkeiten auf dem Gitter der Krypta noch ein zusätzliches Schloß angebracht, damit es den „Extremi­sten" wirklich nicht gelingt, an die Gräber der Volkshelden heranzukom­men. Nur eine kleine Schar Jugendlicher konnte am Grab von Maironis das Lied „Lietuva, brangi" („Teures Litauen") singen und Blumen hinlegen; für den großen Bischof M. Valančius wurde an der Krypta ein Palmenzweig angebracht, den aber die eifrigen „Ordenshüter" bald wieder entfernten.

Viele Menschen konnten während des Jubiläumsgottesdienstes in der Kathedrale keinen Platz mehr finden und mußten draußen stehen. Sie konnten weder etwas sehen noch hören, weil es auf dem Kirchhof der Kathedrale keine Lautsprecher gab. Für eine Prozession um die Basilika gab die Stadtverwaltung keine Genehmigung; vielleicht hatte auch gar nie­mand ernsthaft darum gebeten. Es werden nur die Osterprozessionen erlaubt, aber so ein Jubiläum findet nur alle hundert Jahre statt, und wegen dieser Prozession hätte die sowjetische Regierung wahrhaftig nicht unter­gehen müssen. Die Prozessionen in den Kirchen Litauens gehören einfach zu allen traditionellen Feierlichkeiten. Als im Jahre 1900 das Jubiläum der Geburt Christi gefeiert wurde, fanden selbst in den schweren Jahren der Unterdrückung durch den Zaren solche Prozessionen in der Basilika zu Kaunas zu Beginn und auch am Ende des Jubiläums statt. Es sind also jetzt die Zeiten für die Gläubigen Litauens schwieriger als zu Zeiten des Verbots der litauischen Presse und des Massakers von Kražiai.

Am 28. Juni fanden die Jubiläumsfeierlichkeiten in Vilnius statt. Es war gut, daß der von der Regierung gehaßte, als Extremist und Spalter bezeich­nete verbannte Bischof Julijonas Steponavičius rechtzeitig seine Meinung gesagt hatte. Daraufhin wurden die Jubiläumsfeierlichkeiten nicht nur in der St. Peter und Paul-Kirche allein abgehalten, sondern in sechs Kirchen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welche „feierliche" Stimmung auf­gekommen wäre, wenn die Menschenmenge bei strömendem Regen im Dreck des aufgebuddelten und noch immer nicht wiederhergestellten Kirchhofs hätten stehen müssen.

Jubiläumsgemäße Akzente haben die Gläubigen ebenfalls vermißt. Die St. Peter und Paul-Pfarrei in Šiauliai konnte aus Anlaß dieses Jubiläums ein eindrucksvolles Denkmal errichten, während die Kirche des gleichen Namens in Vilnius nur ein einfaches Kreuzchen auf dem Kirchhof auf­stellen konnte. Das Organ der liberalen Litauer in Amerika „Akiračiai" („Die Horizonte") und die Zeitschrift „Gimtasis kraštas" („Das Heimat­land") haben den Pfarrer dieser Kirche, Priester P. Vaičekonis, gelobt als einen, der „viel von der Regierung herauskitzeln kann". Wie man sieht, ist es ihm dieses Mal weder gelungen, Platten zur Pflasterung des Kirchhofes, noch eine Erlaubnis für ein eindrucksvolleres Denkmal „herauszukitzeln". Deswegen war es auch nicht angebracht, den Jubiläumsgottesdienst mit einer Lobrede an die am Gottesdienst teilnehmenden Vorsitzenden des RfR in Moskau K. Chartschow und seinen Bevollmächtigten in Litauen P. Anilionis zu beginnen, mit deren Hilfe die Kirche Litauens auf jede Weise eingeschränkt wird.

Nach dem Jubiläumsgottesdienst wollte eine kleine Gruppe junger Menschen auf die Grabtafel eines der Täufer Litauens, des Großfürsten Vytautas des Großen, in der Kathedrale von Vilnius Blumen legen. Als sie sich vor der geschlossenen Kathedrale von Vilnius - der Wiege des Christentums in Litauen - versammelten, war schon an der Tür sichtbar ein Täfelchen angebracht „Wegen technischer Störungen ist das Museum geschlossen." Zivilpersonen, unter denen der Sicherheitsbeamte Reinys erkannt wurde, beobachteten die jungen Menschen. Bald darauf kamen ein Mann mit bösem Gesicht und eine Frau, die sich als Vertreterin der Stadt­verwaltung ausgab, zu der Gruppe und forderten die Jugendlichen auf, vom Gediminas-Platz zu verschwinden, denn sie behinderten durch ihre

Ansammlung angeblich irgendein Liederfest. Auf die Frage, warum es den einen Menschen erlaubt sei, auf dem Gediminas-Platz zu stehen, den anderen dies aber verboten werde, antwortete der Zivilist: „Geht, sonst rufe ich einen Wachtposten her, der euch sofort wegbringen wird." Die Gruppe der Jugendlichen kniete vor der verschlossenen Tür des Gotteshau­ses und betete leise, hinter ihrem Rücken aber nörgelten ungeduldige Sicherheitsbeamte: „Geht doch in ein Bethaus!" Vor der Schwelle der Kathedrale blieben drei weiße Blümchen, um dort zu trauern. Die kleine Schar von jungen Menschen zog entlang der Gorki-Straße zu der geschlos­senen St. Casimir-Kirche, wohin sie ein Milizauto verfolgte. An der ver­schlossenen Tür der Kirche (jetzt Atheismusmuseum) hing eine Aufschrift, daß das Museum wegen technischer Störungen heute geschlossen sei.

Die Fotoaufnahmen der vor der Kathedrale betenden Jugendlichengruppe wurden dem Priesterseminar in Kaunas zugestellt, damit es die Leitung des Priesterseminars nicht wagt, einen von ihnen in das Priesterseminar auf­zunehmen. Dieses Jahr wurden Gintas Sakavičius aus Kapčiamiestis und Saulius Kelpšas aus Garliava, die nicht zum ersten Mal um Aufnahme ins Priesterseminar baten, wieder nicht aufgenommen. Die vom Sicherheits­dienst eingeschüchterte Leitung des Priesterseminars nahm von S. Kelpšas nicht einmal die Unterlagen entgegen.

Am 8. Juli 1987 fanden die Jubiläumsfeierlichkeiten der Taufe Litauens in Žemaičių Kalvarija statt. Vier Bischöfe nahmen daran teil: J. Steponavičius, V. Sladkevičius, J. Preikšas und der Gast aus Lettland, der verbannte Bischof Dulbinskis, der dieses Jahr sein 40-jähriges Bischofsjubiläum feiert. S. Exz. Bischof V. Sladkevičius hielt die Predigt, wobei er die Bedeutung der Christianisierung für Litauen hervorhob. Der Bischof beantwortete auch die von den Atheisten in der Presse vorgebrachten Einwände, daß „eine aus Moskau angenommene Taufe durch die Orthodoxe Kirche für Litauen nützlicher gewesen wäre" als die aus den polnischen Händen ange­nommene römisch-katholische. Wäre es so gekommen, würden wir heute mit Sicherheit nicht mehr litauisch reden.

Die Leiden-Christi-Prozession auf die Kalvarienberge leitete S. Exz. Bischof Preikšas. Während der Prozession hielt der Pfarrer der Pfarrei Skaudvilė, Priester J. Kauneckas, drei Predigten, hob die wichtige Bedeutung des Kreuzes im Leben des Litauers, die Widerstandskraft der Niederlitauer bei der Verteidigung und Bewahrung des vor 600 Jahren angenommenen Glau­bens hervor und wies auf die geistige Leere hin, die die durch Zwang und List aufgezwungene Gottlosigkeit in der Seele der heutigen Jugend schaffe.

Das staatliche Fernsehen filmte die Gottesdienste; die Milizmänner und die Beamten der Autoinspektion waren dieses Jahr in Žemaičių Kalvarija zurückhaltend und anständiger.

Als S. Exz. Bischof A. Vaičius aus Rom zurückkam, drohte ihm der Bevoll­mächtigte R Anilionis, er werde alle Dekane der Diözese Telšiai in die Kurie vorladen und sie alle wegen der „Vergehen" während der Ablaßfeier­lichkeiten in Kalvarija ermahnen. Besonders störten den Bevollmächtigten die Predigten des Priesters J. Kauneckas wie auch das litauische National­lied, das am Schluß der Kreuzwegprozession am Mittwoch der Priester gesungen wurde.

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Die Seligsprechung des Erzbischofs Jurgis Matulaitis war eine lang gehegte Hoffnung der Katholischen Kirche Litauens und des litauischen Volkes. Ihre Erfüllung hat Papst Johannes Paul II. am 28. Juni dieses Jahres der ganzen Welt verkündet. Wir haben unseren Fürsprecher und Vermittler vor dem Thron des Herrn, - einen kostbaren geistigen Wert. Es ist erfreulich, daß der neue Selige unseres Volkes nicht aus den mit Staub bedeckten Seiten der Geschichte, nicht aus zu Legenden und Überlieferungen gewor­denen, weitentfernten Berichten zu uns herunterschaut. Er lebte und wirkte, kann man sagen, zu unseren Zeiten. Die Schritte seines edlen und sinnvollen Lebens, sein festes und aufopferungsvolles Emporsteigen zu den Ehren der Altäre hat eine nicht geringe Zahl noch lebender Zeugen beobachten dürfen. Die Persönlichkeit von Jurgis Matulaitis hat immer schon und auch jetzt eine außerordentliche Bewunderung und Entzückung hervorgerufen. Leider aber nicht bei allen!

In der Zeitschrift der Stadt Kaunas „Tiesa" („Die Wahrheit") wurde am 31. Juni 1987 der Artikel „Wen segnet der Vatikan?" von J. Sakalauskas abgedruckt. Der Verfasser dieses Artikels beantwortet die Frage, für welche Verdienste der Erzbischof selig gesprochen wurde, so: „Bei der Auswahl der Heiligen und Seligen wurde zu allen Zeiten in erster Linie ihre unend­lich große Frömmigkeit in Verbindung mit ihrer asketischen Entsagung des irdischen Lebens geehrt. Mit zunehmender Verbreitung der Kultur, als die Menschen solche Erscheinungen der Religiosität nicht mehr bewunderten, fing man an, nach populäreren Verdiensten für die vom Himmel Erwählten zu suchen." Der Vatikan - so J. Sakalauskas - habe sich nicht geniert, Jeanne d'Arc selig und Maximilian Kolbe heilig zu sprechen und schließ­lich, „nach langem Suchen", den Erzbischof J. Matulaitis auszuwählen. J. Sakalauskas kann diese Auswahl in keiner Weise verstehen, denn Erz­bischof J. Matulaitis habe „... eifrig die klerikale Soziallehre, gestützt auf die Enzyklika ,Rerum novarum' des Papstes Leo XII, unterstützt, die Arbeiter in christliche Vereine zusammengebracht und eine Bewegung der katholischen Studenten organisiert". Als V. Kapsukas die Verwaltung der Stadt Vilnius übernahm, habe er, ohne die Bolschewiki zu erwähnen, in seinen Predigten ihre Untaten und Hinterlistigkeiten herausgehoben und es hätten, mit Sicherheit nicht ohne Wissen des Bischofs, einige öffentliche Ausschreitungen der Klerikalen gegen die sowjetische Regierung stattge­funden. „Man muß sich wahrhaftig wundern, wie ein katholischer Priester es wagen konnte, sich mit derartigen Aktionen zu beschäftigen." Wenn er die Philosophie des Marxismus-Leninismus studiert hätte, das arbeitende Volk herausgehoben und die Kirche den Interessen der Regierung unter­worfen hätte (wie die Orthodoxe Kirche), könnte er sich heute mit dem Titel eines ,Helden der sozialistischen Arbeit' schmücken.

Noch „wissenschaftlicher" behandelt der Artikel „Woher die Heiligen kom­men und wer sie sind" von dem Dozenten am pädagogischen Institut zu Vilnius, J. Stankaitis, in der „Komjaunimo tiesa" („Die Wahrheit der Kom­munistischen Jugend") vom 19. Juni 1987 diese Frage. J. Stankaitis nennt die Eigenschaften Erzbischofs J. Matulaitis, wie enthaltsame Bewertung der materiellen Güter, Askese, Gehorsam, Geduld, Vergebung den Feinden „objektiv mit der menschlichen Würde unverträgliche und sozial reaktio­näre wie auch schädliche Eigenschaften." (Welch ein philosophischer Wört­schatz!)

J. Stankaitis behauptet, daß der Vatikan die Heiligen den verschiedenen politischen wie auch diplomatischen Situationen entsprechend auswähle. Auf diese Weise seien, so behauptet der Verfasser dieses Artikels, der hl. Ignatius von Loyola, der hl. Casimir, etwa 100 Heilige in Amerika, in Afrika, in China, die Missionare von Uganda und sogar Maximilian Kolbe entstanden. (Eine gängige Paradoxie bei den Gottlosen - den Faschismus zu verurteilen, aber seine Opfer ebenfalls zu entwürdigen.) Die größte „reaktionäre politische Bedeutung" habe „die Seligsprechung des Erz­bischofs J. Matulaitis", - entsetzt sich J. Stankaitis, denn, wie konnte so ein „scharfer Diener der Reaktion, ein Unterdrückter des revolutionären Kampfes, ein Gründer antisozialistischer Bewegungen, ein klerikaler Anti-kommunist und sogar ein Vermittler zwischen dem Faschismus und der Kirche" zu den Ehren der Altäre erhoben werden...

Größere Vergehen kann man sich kaum noch ausdenken, es sei denn „die Errichtung eines Tunnels zwischen Bombay und London" (vergl. den Film „Die Reue" von Abuladse).

Die Persönlichkeit des Erzbischofs J. Matulaitis kann wahrhaftig zweierlei Eindrücke hervorrufen: Einen positiven oder einen konfliktbeladenen. Einen positiven bei denen, die sich selber in ihrem Benehmen durch Klug­heit ausgezeichnet haben oder sich auszeichnen, einen konfliktbeladenen aber, wenn es den Beurteilenden selber an Takt, an Klugheit und Gerech­tigkeit mangelt. Viele seiner Zeitgenossen bewunderten die Klugheit, die Gerechtigkeit und die Brüderlichkeit des Erzbischofs Jurgis'Matulaitis. „Er mußte die Last aller tragen und dem Allmächtigten abgeben, damit es die anderen leichter hatten", - sagte Vaižgantas. Sein Leben beruhte auf der Nächstenliebe, in nationalen Angelegenheiten aber auf Recht und der Gerechtigkeit.

Als er zum Bischof von Vilnius ernannt wurde, sagte er: „Ich bin bereit, allen gleich zu dienen. Christus ist für alle Völker gestorben, für alle Stände und Gesellschaftsklassen, für alle Abweichungen und Anschau­ungen. Also ist es auch meine Pflicht, allen zu dienen, besonders aber dem Volke, aus dem ich gekommen und dem ich wiedergegeben worden bin. Mein Arbeitsfeld ist das Reich Gottes. Meine Partei - Christus!" Wenn man sein Benehmen dem Nächsten gegenüber vollkommen nennen kann, dann das seinem Feind gegenüber heroisch. Feinde hatte er aber jederzeit und viele, doch auch die schlimmsten konnten ihm kaum etwas vorwerfen, schon gar nicht Rachsucht. „Man kann sich ja nur freuen und Gott loben, wenn Er uns für würdig erachtet, um seines Namens und der Kirche willen zu leiden", hat der Erzbischof einmal gesagt. Er suchte in jedem Men­schen, in einem Schüler wie in einem Verbrecher oder einem Feind, zuerst nach dem Guten, nach den „kleinen Diamanten", wie es Vaižgantas aus­drückte. Der Erzbischof selbst hat geschrieben, daß es „leichter sein wird, sich vor Gott wegen zu großer Barmherzigkeit zu rechtfertigen, als wegen zu großer Strenge." „Erzbischof J. Matulaitis hat für zwei Realitäten gelebt: für die Kirche und für die Heimat", sagte Priester S. Yla. Er strebte danach, alle Kräfte dem Wohle der Kirche und ihrem Gedeihen zu widmen. Die Liebe zur Heimat und zum eigenen Volke ist für Christen eine Pflicht; das ist ein angeborenes Recht, das Christus durch sein Beispiel selbst bestätigt hat. Erzbischof Jurgis Matulaitis ließ sich leiten von dem Motto „Da sein und bereit sein, sich zu opfern". Dasselbe wünschte er auch allen seinen Volksgenossen: aus einem unerschütterlichen Glauben, in Einheit mit Gott, in Selbstentsagung zu leben und sein Handeln der Ehre Gottes und dem Dienst am Nächsten zu widmen, eifrig und mutig die Sache Gottes und der Kirche zu verteidigen und sein Inneres zu vervollkommnen.

Das sind die charakteristischen Eigenschaften und Marksteine der Heilig­keit, die Erzbischof J. Matulaitis die Ehre der Altäre erlangen ließen. Das ist der großartige und ehrenvolle Weg, der den Erzbischof zum Thron des Herrn geführt hat. Das ist der schwere, manchmal hoffnungslos erschei­nende, aber vielversprechende Weg eines Heiligen.

Am 12. Juli 1987 fanden in der Kirche von Marijampolė die Feierlichkeiten der Seligsprechung des Erzbischofs J. Matulaitis statt. Vor den Feierlichkei­ten wurden fast drei Tage lang in der Kirche Exerzitien durchgeführt, die der Dekan von Šakiai, Priester J. Žemaitis, leitete. Am Samstagabend weihte Bischof J. Preikšas die neueingerichtete Kapelle des Seligen Jurgis Matulaitis ein und hielt eine dem Anlaß entsprechende Predigt. Am Sonn­tag konzelebrierten alle Bischöfe Litauens und etwa 80 Priester das Hoch­amt und Bischof A. Vaičius hielt eine Predigt. Der Bischof teilte den Gläu­bigen seine Eindrücke von den Feierlichkeiten des Gedenkens der Taufe Litauens und der Seligsprechung des Seligen Jurgis Matulaitis in Rom mit und übermittelte auch den Wunsch des Hl. Vaters, der religiösen Erziehung der Kinder und der Jugend besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Schon am Vorabend zogen Menschenscharen zu den Feierlichkeiten. Wäh­rend des Hauptgottesdienstes konnte die Menge nicht nur in der Kirche oder auf dem Kirchhof Platz finden, sondern auch die benachbarten Straßen waren mit Wallfahrern überfüllt. Schade ist nur, daß viele der Wall­fahrer nicht mehr zur Beichte gehen konnten, - eine Gelegenheit zur Beichte gab es nur in der Kirche. Nach dem Gottesdienst eilten die Priester in ihre Pfarreien zurück, deswegen mußten auch die geduldigsten Wall­fahrer, die noch in die Kirche gelangen konnten, bis zum späten Abend in Schlangen vor den Beichtstühlen warten.

Während die Feierlichkeiten vorbereitet wurden, wurde Pfarrer Lešinskas von „gewissen Organen" eingeschüchtert, daß diese Feierlichkeiten sich in keiner Weise von den gewöhnlichen Ablaßfeierlichkeiten unterscheiden dürften. Diesen Wunsch der Atheisten konnte man unmöglich erfüllen, denn ganz Litauen war von einer feierlichen Stimmung erfaßt.

Behinderungen gab es verschiedene. Der Pfarrer der Pfarrei, Priester Lešinskas, war z. B. vor den Feierlichkeiten damit einverstanden gewesen, daß an allen drei Tagen nach dem feierlichen Hochamt und nach dem Abendgottesdienst Gruppen von Jugendlichen und Wallfahrern organisiert vor dem Grab des seligen Erzbischofs J. Matulaitis beten und kirchliche Lieder singen dürften. Als die Tage der Feierlichkeiten aber kamen, dröhnte an jedem Nachmittag laute Orgelmusik in der Kirche, die der Benefiziant Gracijus Sakalauskas spielte. So war es unmöglich, das vor­bereitete Programm durchzuführen. Dem speziell zu diesem Zweck aus Telšiai angereisten Domchor wurde nicht erlaubt, die Kreuzwegstationen zu singen. Erst am Samstagabend, als die Priester sich einmischten, wurde ihm diese Möglichkeit gegeben. Sämtliche Vorschläge bezüglich der Aus­schmückung der Kirche oder einer gewissen Abwechslung im Gottesdienst stießen auf die Antwort des von den Gottlosen eingeschüchterten Pfarrers: „Nur über meine Leiche!"

Und trotzdem, diese Feierlichkeit hinterließ einen unauslöschlichen Ein­druck und verstärkte die Treue des litauischen Volkes zu dem ihm kost­baren katholischen Glauben.

Auch als die Gottesdienste schon zu Ende waren, verließen die Gläubigen die Kirche und den Kirchhof noch nicht: Sie beteten in kleinen Gruppen, sangen nationale und kirchliche Lieder und trugen die eigens für das Jubiläum der Taufe Litauens und des seligen Erzbischofs Jurgis Matulaitis verfaßten Gedichte vor.