, gehalten bei seinem Empfang in Kybartai am 4. November.

»Wir wissen alle ganz genau, wie schwer das Kreuz des Karfreitags für unsere Heimat war. Viele von uns waren selber in den Nachkriegsjahren Zeugen, als das Volk dieses Kreuz tragen mußte. Die Morde an unschuldi­gen Menschen, ihr Weg nach Sibirien, von wo die meisten nicht mehr zurückgekommen sind, sind noch in unserer Erinnerung. Als ich in Sibi­rien war, habe ich katholische Kreuze gesehen, von der Zeit schwarz geworden, manche aber schon völlig umgefallen. Dort sind unsere Eltern, unsere Brüder und Schwestern geblieben. Lange Jahre trug das Volk dieses Kreuz: den stalinistischen Zwang, der sich anstrengte, allen so viel Angst wie nur möglich einzujagen, die allgemeine Lüge, den moralischen Zerfall, den Alkoholismus, die Drogensucht... Bis vor kurzem schien es uns, daß das Volk dieses Kreuz werde tragen müssen, ohne ein Ende abzusehen.

Das Kreuz des Karfreitags war auch in der Kirche. Hunderte von Priestern sind in den Nachkriegsjahren in die Gefängnisse, ins Lager gekommen. Wir waren Zeugen, als unsere Kirchen geschlossen wurden. Wir haben gesehen, wie die Kreuze von der Garnisons-Kirche in Kaunas abgeschnit­ten wurden, als man die Statuen von der Kathedrale von Vilnius herunter­warf, als die Kirchen zu Lagerhäusern oder Museen umgewandelt wurden. Das einzige in Litauen noch verbliebene Priesterseminar zu Kaunas wurde eingeschränkt, ja dem Tode preisgegeben. 25 Priesterkandidaten studierten darin, als nur fünf junge Männer aufgenommen werden durften. Viele Pfarreien sind ohne Priester geblieben. Der Bischof durfte nicht in das Priesterseminar aufnehmen, wen er wollte, er durfte nicht einmal selbstän­dig einen Priester für eine Pfarrei ernennen, ohne dies mit der Regierung abgestimmt zu haben. Die Presse und alle Druckereien wurden uns wegge­nommen. Die Kirche trug ein Kreuz. Ist es denn schon so lange her, als auch in dieser Kirche Tränen vergossen wurden? Als die Priester, einer nach dem anderen, allein deswegen verhaftet wurden, weil sie das Wort der Wahrheit gesagt haben? Manchen erschien dieses Wort als ein Knüppel, der gegen die sowjetische Regierung erhoben wurde, obwohl niemand die Absicht hatte, gegen sie zu kämpfen. Man verteidigte ja die eigenen Ange­legenheiten und die Angelegenheiten der Kirche, was eine Reaktion jedes lebendigen Organismus ist. Allein das, daß die Katholiken ihren Glauben verteidigen wollten und ihn verteidigt haben, kam manchen als Staatsver­brechen vor. Den Karfreitag gab es auch in unserer Pfarrei. Unsere Pfarrei mußte viel Schmerz ertragen, viele Tränen wurden vergossen, wir dürfen aber nicht vergessen, daß nach dem Karfreitag immer das Osterfest kommt. Und wenn das Osterfest kommt, vergessen wir vorläufig das Kreuz, verges­sen den erduldeten Schmerz und freuen uns. Heute leuchten unsere Gesichter vor Freude. Wir sehen in unserer Heimat österliche Schritte. Ich durfte nicht sehen, als die dreifarbene Flagge auf dem Berg von Gediminas gehißt wurde, ich sah sie aber wehen, als ich zurückkam, als die heiligen Worte unserer Nationalhymne zum Himmel emporstiegen und in den Augen die Tränen glitzerten. Konnten wir vor 5 Jahren von einem solchen Osterfest träumen oder noch vor einem Jahr? Wir sehen heute unsere Intelligenz, die erwacht ist, eine vernünftige Intelligenz, eine gebildete, die sich um die Zukunft des Volkes Sorgen macht. Heute reden sie laut über die Gegenwart und machen sich erfreuliche Gedanken über die Zukunft. Wir sehen, wie die Intelligenz unseres Volkes kühne Beschlüsse faßt und laut darüber spricht, was jeder anständige Litauer wissen soll. Sinnvoll ver­breitet sich die Bewegung über unsere Heimat, es entstanden Clubs der Verbannten, die ökologischen Gruppen - ganz Litauen ist in Bewegung geraten mit dem einen Ziel, mehr Licht, mehr Freiheit zu schaffen; mit dem Ziel, daß die Luft reiner und die Menschen sittsamer werden, damit alle die Menschen aller Nationalitäten, die in unserer Heimat leben, alle Menschen guten Willens gut und angenehm hier leben können.

Auch in unserer Kirche sehen wir die österlichen Schritte. Es ist noch nicht lange her, als Litauen seinen ersten Kardinal V Sladkevičius empfangen hat, heute berät unsere Regierung aktuelle Angelegenheiten der Kirche und des Staates mit ihm. Es gab jedoch Zeiten, als er das Los eines Ver­bannten tragen mußte. Vor ganz kurzer Zeit erreichte uns die Nachricht, daß die Kathedrale von Vilnius zurückgegeben wird, daß die St. Casimir-Kirche und die Kirche der „Königin des Friedens" in Klaipėda zurückgege­ben werden. Es scheint, daß die Bischöfe die Kandidaten für das Priesterse­minar zu Kaunas, ohne die Regierung danach zu fragen, aufnehmen, daß sie nach ihrem Gutdünken die Priester für die Pfarreien werden ernennen dürfen. Wie der Allerseelentag als arbeitsfreier Tag verkündet wurde, so werden wir auch an Weihnachten nicht zu arbeiten brauchen, und diese Tage werden nicht nur für die Kirche und die Gläubigen kostbare Tage bleiben, sondern sie werden zu Feiertagen des ganzen Volkes werden. Das sind die österlichen Schritte in unserer Heimat. Selbstverständlich zunächst nur die ersten und noch nicht viele; wir hegen aber begründet die Hoff­nung, daß es nicht die letzten sein werden, daß das nur der Beginn des ersten Schrittes in die Zukunft wird.

Heute feiern wir eigenartige Ostern in unserer Pfarrei. Ich sehe Freudenträ­nen in Euren Augen. Eure Priester sind aus den Lagern zurückgekommen und auch der langjährige Ministrant Romas Žemaitis ist schon da.

Wir wollen versuchen, bei einer Frage zu verweilen: Wozu ist das Kreuz nötig, warum gab es in unserer Heimat, in der Kirche und schließlich auch in unserer Pfarrei das Kreuz? Ihr habt in der Lesung der hl. Messe die Worte des Apostels Paulus gehört: Am Ende der Zeiten wird Jesus Chri­stus noch einmal für alle Zeiten erscheinen, damit die Sünde durch sein Opfer ausgelöscht werde. Nur das Kreuz allein kann die Sünde auslöschen. Es gab Sünden in unserer Heimat, es gab Böses auch in der Kirche und auch in unserer Pfarrei; und Gott ließ unsere Heimat, die Kirche und unsere Pfarrei ein Kreuz tragen. Wenn dieses Kreuz mit ähnlicher Einstel­lung getragen wurde, mit der Jesus Christus sein Kreuz trug, wird das wahrhaftig in eine Osterfeier einmünden. Wir brauchen das Kreuz in unse­rem Leben, denn ohne Kreuz, ohne Buße kann es keine Perspektiven für die Zukunft geben. Wo das Kreuz vergessen worden ist, wo die Notwendig­keit der Buße nicht verstanden wird, dort sind alle Reden über eine Umge­staltung leer. Schließlich ist auch das von mir fünfeinhalb Jahre lang getra­gene Kreuz sinnvoll und notwendig gewesen. Es war notwendig für mich selbst, es war notwendig für meine Heimat, für die Kirche. Wenn ich mich heute in das Jahr 1983 zurückversetzen und wieder von neuem mich für eine ruhige, sorgenlose, gefahrenlose, schmerzlose Arbeit oder für das Kreuz, das mir die Vorsehung damals auferlegt hat, entscheiden müßte, würde ich mich für das Kreuz entscheiden.

Ihr seid hier heute so zahlreich versammelt, wie an Ostern, und es ist in meinem Herzen, das fünfeinhalb Jahre nur an Erniedrigungen, an stän­dige Benachteiligungen gewöhnt war, zu wenig Platz für die Stimmung, die ich in dieser Kirche im Lande Suvalkija empfinde. Ich möchte sagen, daß mein Kreuztragen nichts heldenhaftes an sich hatte, und wenn ich es nicht abgeworfen, nicht abgeschüttet habe, wenn auch diese Möglichkeit sehr oft angeboten wurde, dann nur deswegen, weil ich ständig Eure Unterstützung verspürt habe. Ich wußte, was Ihr von mir erwartet, ich wußte, daß Ihr für mich betet, ich wußte, daß Ihr mich liebt, und das alles hat mich gestärkt, mich getröstet und mir nicht erlaubt, auch nur einen Schritt seitwärts zu machen. Ich habe mein Kreuz so lange getragen, solange es mir die Vorsehung zugedacht hat, und ich habe nicht darum gebeten, es mir vorzeitig abzunehmen. Heute möchte ich Euch allen dafür danken, allen, die hier versammelt sind, und auch allen, die nicht unter uns sind; allen, die für mich und für die anderen Priester und Inhaftierten gebetet haben, ein ačiū (danke) sagen. Ačiū allen, die gebetet haben, ačiū allen, die gehungert haben, die mit Ausdauer auf uns gewartet haben, die ihre Solidarität mit uns zeigten und die sich nicht von dem Kreuz, das die Vorsehung mitten unter uns aufgestellt hat, entfernt haben. Heute emp­finde ich Eure Verehrung, sie gehört aber nicht mir, sondern Gott. Gott hat mich fünfeinhalb Jahre lang sichtbar geführt. Oft habe ich meine Gebre­chen, meine Schwäche gespürt, und wenn nicht die Führung der Vorse­hung Gottes gewesen wäre, vielleicht hätte dieses mir auferlegte Kreuz für mich viel zu schwer sein können. Gott hat mich geführt und Ihm gehört die größte Ehre. Wenn heute schon Menschen geehrt werden müßten, dann nicht wir, die zu unseren Zeiten den Ural, Sibirien, Mordowien durchwandert haben, sondern in erster Linie unsere Väter und Mütter, Brüder und Schwestern, die in den Nachkriegsjahren die sibirische Verban­nung tragen mußten, die durch Lager und Gefängnisse gingen und nicht mehr zurückkamen, weit von ihrer Heimat entfernt ruhen, um auf das Gericht Gottes zu warten. Ihnen gehört unsere größte Verehrung, vor ihnen sollten wir unsere Häupter neigen. Sie durften diesen Tag nicht mehr erblicken, o welche Freude hätte in ihren Herzen herrschen können?!

Wir freuen uns heute, wir hegen unsere Hoffnungen für die Zukunft, diese unsere Freude ist aber nicht vollkommen. Vor zwei Wochen, als ich noch in Sibirien war, sagte ein Beamter, der gesehen hatte, wie die Versammlun­gen der Bewegung (Sąjūdis) in Vilnius stattfinden, ganz böse: „Ich versi­chere ihnen, daß noch viele Litauer nach Sibirien kommen werden, hier wird es für sie Platz und Arbeit genug geben: Wir haben ihnen Demokratie vorgespielt, jetzt werden wir aber die Schrauben strenger anziehen". Ich glaube, so hat nur ein gewöhnlicher Stalinist gesprochen, aber solche gibt es noch im ganzen Lande, und nicht nur einen oder zwei. Der lebendige Stalinismus wird noch sehr oft gesehen und vernommen. Als man die Gefangenen freiließ, hat man sie nicht rehabilitiert, es wurde ihnen nicht gesagt, daß die fortschreitende Umwandlung in der nahen Zukunft nicht nur die Opfer des Stalinismus, sondern auch die Opfer der Zeiten des Neo-stalinismus rehabilitieren wird.

Wir sind davon überzeugt, daß unser Volk und unsere Kirche, die so viel gelitten haben, eine wahrhaft vollkommene Osterfreude erleben werden. Wir wollen aber nicht vergessen, daß es nicht genügt, alles nur Gott anzu­vertrauen, sondern daß dazu auch unsere konkrete Arbeit nötig ist. Heute braucht man mehr als je zuvor religiöses und nationales Bewußsein. Jetzt, wo man ein Wort der Wahrheit aussprechen darf ohne fürchten zu müssen, daß man dafür mit langen Jahren Gefängnis, Lager oder Sibirien bezahlen muß, darf man keine Gelegenheit verstreichen lassen, die Wahrheit auch zu verkünden. Es ist notwendig, daß das Wort der Wahrheit nicht nur unsere Vernunft erreicht, sondern auch die Herzen, daß es unser ganzes Dasein auf die Arbeit für die Zukunft unserer Heimat und der Kirche kon­zentriert. Wir sehen die wehenden dreifarbenen Flaggen, hören die heili­gen Worte unserer Nationalhymne und des Liedes „Lietuva brangi" - „Teu­res Litauen". Das ist aber noch zu wenig. Wir wissen alle sehr gut, daß das Volk und die Kirche nur dann eine Zukunft haben werden, wenn sich das Volk sittlich, moralisch festigt, wenn die Menschen nüchtern bleiben, die Familien groß werden, wenn in unserem Volke Eintracht und Liebe herr­schen. Deswegen wollen wir an diesem uns allen so kostbaren Tag eins sein; jeder vergebe dem anderen, was der ihm Böses getan hat. Ich möchte heute auch ein Wort zu denen sprechen, die gewollt haben, daß ich für lange Jahre aus Litauen verschwinden solle, die meinen Prozeß vorbereitet und mich verurteilt haben: „Ich vergebe euch allen, ich bete für euch alle, ich liebe euch alle." Sie sind ja meine Brüder und Schwestern! Das vergan­gene Chaos, die Finsternis hat sie irregeführt, die Menschen verirrten sich, weil in den Herzen vieler eine große Furcht herrschte. Wir wollen einer dem anderen die Hand reichen, denn Litauen ist unser Zuhause. Wer wir auch sein mögen, Gläubige, Ungläubige oder Kommunisten, wir sind alle Litauer. Wir wollen vergessen, was gestern war, wir wollen alle Ungerech­tigkeiten aus unseren Herzen beseitigen und unsere Kräfte dem gemeinsa­men Ziel widmen - dafür arbeiten und kämpfen, damit unser Leben heller und schöner wird. Amen.«

B. Brazdžionis

Ich suche nach dir, Litauer, in der Zukunft

und ich sehe deine Wiedergeburt zu neuem Leben,

wie die Triebe nach dem Winterschlaf sich recken,

und die Felder aufblühen ohne Unkraut und ohne Distel.

 

Ich suche dich (und ich beneide dich im Kommen) ohne Rache, ohne Haß, ohne Lüge und ohne List sehe dich gehen auf deinem Weg in einen großen Tag, (zu der) Arbeit, dem Denken gewidmet für's eigene Volk.

 

Ich glaube an den Tag - einen großen und hellen!

Ich glaube - nicht ewig wird Herbst sein in deinem Herzen!

Erhebe dich, Mensch, aus Staub und aus Moder!

Erhebe dich, Mensch, und gib dem Menschen deine Hand!