Nachstehend bringen wir den Wortlaut eines Beschwerdeschreibens von Pfarrer Zigmas Neciunskas an den Staatsanwalt der Litauischen SSR, das er auf Anraten seiner Freunde jedoch noch nicht abgesandt hatte.
Beschwerde
über die Tätigkeit des Radio- und FS-Komitees beim Ministerrat der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik wegen grober Verstöße gegen elementarste Normen von Recht und Gerechtigkeit in bezug auf persönliche Menschenwürde und religiöse Riten. Die Mitarbeiter des Staatlichen Radio- und FS-Komitees beim Ministerrat der Litauischen SSR haben ohne mein Wissen oder Zustimmung meinerseits insgeheim und unter Anwendung betrügerischer Methoden, Aufnahmen von meinem Besuch im Exekutivkomitee des Rayons Kaišiadorys und bei einer von mir zelebrierten Meßfeier in der Kirche von Kalviai auf Film festgehalten. Ein aus diesen Aufnahmen montierter Film wurde unter dem Titel „Und in Ewigkeit Amen", versehen mit zusätzlichen verleumderischen Informationen, wiederholt im Fernsehen gezeigt und somit der breiten Öffentlichkeit und den Gläubigen Litauens präsentiert. Mein Erscheinen beim Exekutivkomitee des Rayons Kaišiadorys war seinerzeit behördlich angeordnet. Man schickte mich dort von einem Büro zum anderen, scheinbar nur, um belanglose Fragen, z. B. über Touristenbesuche in der Pfarrkirche Kalviai, zu stellen u. ä. In Wirklichkeit wurden diese Unterredungen insgeheim von FS-Leuten mit einem vorher versteckt postierten Aufnahmegerät gefilmt.
An einem Sonntag nach diesem Besuch, als ich vor meiner in Andacht versammelten Gemeinde in der Kirche von Kalviai die heilige Messe zelebrierte, drangen Angehörige eines Fernseh-Aufnahmeteams unter erheblicher Ruhestörung in das Gotteshaus ein, bauten ihre Apparaturen auf und begannen zu filmen, ohne nach meiner Zustimmung zu fragen. Sie benahmen sich im Kirchenraum so ungeniert, als befänden sie sich in einem ihrer eigenen Studios.
Mit Freiheitsentzug bis zu einem Jahr ahndet das Strafgesetzbuch der Litauischen SSR Verstöße gegen das Gesetz über Trennung der Kirche vom Staat, somit auch der Trennung des Staates von der Kirche.
Durch das erwähnte Eindringen in den Kirchenraum wurde die allen Gläubigen heiligste Kulthandlung, die Würde des heiligen Meßopfers, in gröbster Art und Weise entweiht, die religiösen Gefühle der betenden Menschen zutiefst beleidigt.
In dem gezeigten Film werde ich beim Austeilen der Kommunion gezeigt, und der TV-Ansager kommentiert dazu: „Dieselben Hände segneten die Waffen und Folterwerkzeuge der Banditen ..."
Diese unterstellende Anspielung auf meine Person und Tätigkeit in der Nachkriegszeit, bei Verwendung des wirksamsten Propagandawerkzeugs unserer Zeit — wiederholter Präsentation im Massenmedium Fernsehen —stellt eine nicht zu übersehende, gezielte und permanente Beleidigung meiner Person dar, mit der Absicht, mich als Priester und Vertreter der katholischen Kirche in den Augen der gläubigen wie der nichtgläubigen Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Dieser auf unehrenhafte Weise, in gesetzwidriger und verleumderischer Absicht montierte Film, ist eine unflätige Erfindung und stellt eine strafbare Handlung dar, die nach den Gesetzen der Litauischen SSR zu bestrafen ist. Der Umstand, daß ich in der Vergangenheit, gemäß Urteil eines sowjetischen Gerichts, zehn Jahre als politischer Häftling in verschärfter Lagerhaft verbüßt habe, gibt niemand ein Recht, mich deshalb zwanzig Jahre später erneut zu malträtieren und zu terrorisieren.
Aus den Gerichtsakten meines Falles geht schließlich einhellig hervor, warum ich zu zehn Jahren Haft verurteilt worden bin. In den Nachkriegs jähren habe ich litauische Freiheitskämpfer (Partisanen), die sich weigerten, die Eingliederung Litauens in die UdSSR als rechtens anzuerkennen, wiederholt mit Lebensmitteln versorgt, sie materiell unterstützt und ein Ehepaar kirchlich getraut. Die propagandistische Unterstellung der Redakteure, ich hätte „Waffen und Folterwerkzeuge der Banditen gesegnet", hat nichts mit Fak-tendokumentierung zu tun, sondern gehört in den Bereich bösartiger Verunglimpfungen.
Mit dieser öffentlichen Beschwerde wende ich mich an die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR und verlange:
- Beendigung der gegen meine Person als legaler Sowjetbürger und in der UdSSR ansässiger Geistlicher gerichteten Aktion des Terrors und der Malträtierung.
- Verhinderung weiterer Verhöhnungsakte der Würde des allerheiligsten Meßopfers.
- Disziplinierung der Schuldigen:
1. Enfernung der meine Person betreffenden Stellen aus dem Fernsehfilm „Und in Ewigkeit Amen".
2. Strafrechtliche Verantwortung der für die genannten Programme zuständigen Radio- und Fernsehredakteure und Operateure sowie derjenigen, die den Befehl zum Vollzug dieser strafbaren Handlungen erteilt haben, zusammen mit ihren Helfershelfern im Exekutivkomitee des Rayons Kaišiadorys, und zwar,
- gemäß Artikel 18 des Strafgesetzbuchs der Litauischen SSR (wissentliche Zusammenarbeit zweier oder mehrerer Personen zwecks Begehen eines Verbrechens) und
- gemäß Artikel 132 und 133 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR (Verleumdung und Beleidigung in Form eines öffentlich verbreiteten Werkes, sowie Verleumdung in Verbindung mit Anschuldigungen, ein schweres Verbrechen begangen zu haben).
- Wiedergutmachung des mir zugefügten moralischen Schadens vor der gesamten Öffentlichkeit Litauens, in der Präsentationsform des mich verleumdenden Machwerks.
Will man die sowjetische Gesellschaft wirklich im Sinne kommunistischer Moral erziehen, so wäre es angebracht, das Radio- und Fernsehkomitee an-
zuweisen, in seinen Programmen nicht zu phantasieren, sondern authentische Dokumentationen über den Ablauf und die Urheber sadistischer Tragödien zu produzieren, wie zum Beispiel:
1. Die Vernichtung solch populärer Verteidiger des Sowjetvolkes und Begründer der Sowjetgesellschaft, wie Putna, Uboravičius u. a.
2. Vernichtung solcher Revolutionäre, wie Z. Angariečius, die Ehefrau von K. Požėla u. a.
3. Tierische Folterung und Abschlachtung völlig unschuldiger Priester im Orija-Wäldchen des Rayons Vilkaviškis vor 34 Jahren.
4. Das Martyrium der Ärzte und Intellektuellen in Panevėžys zur selben Zeit.
5. Die zur selben Zeit im Wäldchen Rainiai des Rayons Telšiai durchgeführte grausige Folterung und Ermordung der völlig unschuldigen Intellektuellen, Schüler und Arbeiter.
6. Der Massenmord an Gefangenen, ihren sowjetischen Wärtern des Lagers für politische Gefangene in Pravieniškiai, Rayon Kaišiadorys, zur selben Zeit.
Die an einer Anzahl anderer Orte Litauens zur nämlichen Zeit begangenen sadistischen Exzesse sind der Öffentlichkeit auch heute noch gut erinnerlich. Es fragt sich, wer hier wohl die Waffen der Henker gesegnet und die Folterwerkzeuge angefertigt hat. Die Klärung und Dokumentation dieser für alle Welt unvorstellbaren Vorfälle sollte dem Ziel dienen, die Urheber und Büttel dieser Akte des Sadismus einer dem Nürnberger Prozeß analogen rechtlichen Verantwortung zuzuführen.
Materialien solch dokumentarischer Beweiskraft würden, gelegentlich im Fernsehen gezeigt, einen außerordentlich bedeutsamen Beitrag zur Erziehung der jetzigen jungen Generation und der gesamten Öffentlichkeit Litauens darstellen — und den Geist der Ablehnung von Gesetzlosigkeit und tierischer Barbarei stärken.
gez. Pfarrer Z. Neciunskas
*) Anmerkung des Ubersetzers: Hier sind die folgenden Personen litauischer Abstammung gemeint:
1. Putna, Vytautas, 1893—1937, Korpskommandeur der Roten Armee, langjähriger Militärattache.
2. Uborevičius, Jeronimas, 1896—1937, Armeekommandeur der Roten Armee, Kandidat des ZK der KPdSU, Oberbefehlshaber des Wehrbezirks Weißrußland.
Beide wurden als enge Mitarbeiter des Marschalls Tuchačevski Anfang 1937 liquidiert, nach Stalins Tod rehabilitiert.
3. Angariečius (Aleksa), Zigmas, 1882—1940, Berufsrevolutionär, Sekretär der Kommunistischen Internationale, in Moskau ansässiger Erster Sekretär des Zentralkomitees der KP Litauens — dort bereits 1938 im Zuge der Säuberungen verhaftet und am 22. Mai 1940 (Litauen wurde am 15. Juni 1940 von der Roten Armee besetzt) umgebracht — nach Stalins Tod rehabilitiert.
4. Katre Poželienė, geb. Matulaitis, 1900—1938, in Minsk liquidierte (später rehabilitierte) Revolutionärin, verheiratet mit dem nach dem Rechtsumsturz Ende 1926 in Kaunas standrechtlich erschossenen Berufsrevolutionär und Sekretär des Zentralkomitees der KP Litauens, Karolis Požėla. (Beider Sohn, der Physiker Dr. Jutas Požėla, ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften der Litauischen SSR in Vilnius.)