Am 21. Juni 1976 verstarb in Litauen der wegen seiner Güte und tugend­haften Lebensweise wohlbekannte Priester Zigmas Neciunskas, Pfarrer der Gemeinde Kalviai. Gemeindemitglieder und Freunde des Verstorbenen ver­sammelten sich zum Begräbnis des allerseits beliebten Geistlichen. Wer hatte eigentlich nicht seine Herzengüte erfahren? Die Freiheitskämpfer der Nach­kriegszeit, die Pfarrkinder mehrerer Gemeinden, die Kameraden jahrelanger Lagerhaft, dazu zahlreiche seiner Amtsbrüder. Doch gab es auch Menschen, die Pfarrer Neciunskas regelrecht haßten. So wollten die Atheisten der Stadt Kaišiadorys wenigstens die Beerdigung des Toten stören. Am Vortage der Beisetzung untersagte der Gemeindevorsteher von Kalviai angereisten Pfarrern, ihre Autos in der Nähe der Kirche zu parken, und ver­bot ihnen ferner jegliches „Demonstrieren". Das Seelenamt in der Kirche von Kalviai hielt der Administrator des Bistums Kaišiadorys, Kanonikus J. An­drikonis. Alles war darauf angelegt, die Zeremonie möglichst nüchtern abzu­wickeln. In seiner betont lakonischen Gedenkrede vermied es Pfarrer Valatka, näher auf die Persönlichkeit des Verstorbenen einzugehen. Die Trauergemeinde, Geistliche wie auch Laien, waren bestürzt und schmerzlich betroffen: so weit war man also bereits auf dem Wege der Duckmäuserei vor den Gottlosen und der Obrigkeit. Die Kurie des Bistums Kaišiadorys unterließ es, den eigenen Oberhirten, Bischof Vincas Sladkevičius, vom Tode Pfarrer Neciunskas zu unterrichten, obwohl dieser den Verstorbenen hoch schätzte, der umgekehrt seinen Bischof sehr herzlich verehrte.

Die Angehörigen des Verstorbenen hatten beschlossen, Pfarrer Z. Neciunskas in seinem Heimatort, auf dem Friedhof der Gemeinde Santaika, zu beerdigen. Als man den Sarg aus der Kirche trug, stellte sich heraus, daß der Lastwagen, der den Leichnam und die begleitenden Personen ins Dzūkenland bringen sollte, verschwunden war. Man erfuhr, daß der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees für den Bezirk Kaišiadorys, im Einvernehmen mit der Verkehrsbehörde, das Fahrzeug kurzfristig abberufen hatte. Begründung — die Kollektivwirtschaft habe kein Recht gehabt, für die Beerdigung eines Geistlichen einen Autotransporter zu stellen. Dies geschah in voller Kenntnis der Tatsache, daß die Rayonsverwaltung über kein Leichenauto verfügt und daß staatsbetriebliche Transportmittel für diesen Zweck stets zur Verfügung standen. Ein Freund des Toten, Pfarrer Alfonsas Svarinskas, fand schließ­lich einen Ausweg. Er brachte die sterblichen Überreste seines ehemaligen Lagerkameraden Zigmas Neciunskas im Kofferraum seines „Shiguli"-Pkws unter und vertäute den weit hinausragenden Sarg mit Stricken. Kränze und Blumen wurden aufgeladen, und gefolgt von einer Eskorte von Privatautos, setzte sich der Zug in Bewegung nach Santaika. Auf Bitte der Zurückbleibenden fuhr man langsam, und eine Menge weinender Menschen gab ihrem toten Seelenhirten kilometerweit das letzte Geleit. Wegen der Eigenmächtigkeit der Atheisten von Kaišiadorys konnte ein Großteil der Trauergäste nicht, wie beabsichtigt, zur Beisetzung nach Santaika mitkom­men.

An der Wegkreuzung in Jieznas wartete bereits eine riesige Menschenmenge mit Kränzen und Blumen auf den Trauerkondukt. Nach kurzem Halt dreh­ten die Autos nach Santaika ab, durch ein Spalier weinender Menschen, die Blumen auf dem Weg streuten. In Santaika selbst warteten neue Menschen­massen und die Geistlichkeit der südwestlitauischen Provinz Suvalkija. Nach einem Gottesdienst bettete man den Toten in die sandige Erde seiner Heimat, und bald wölbte sich im Dzūkenland ein weiterer Hügel über den sterblichen Überresten eines lauteren Litauers und dienstbeflissenen Dieners Gottes. Eine Welle der Empörung über das Benehmen der Atheisten von Kaišiadorys wogte vom Dzūkenland aus über ganz Litauen. Vom einfachen Mann in einer Kollektivwirtschaft bis hin zu Menschen mit akademischer Bildung fragte man: „Wie konnten die Atheisten es wagen, sich so zu benehmen? Was ist eigentlich die ganze Sowjetverfassung wert, wenn so etwas möglich ist!?" Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten ließ am 20. August Pfarrer A. Svarinskas rufen und versuchte diesem und der „Geist­lichkeit" die Verantwortung für die „Organisierung" dieser Bestattung an­zulasten.

Das Grab des Priesters Zigmas Neciunskas wird unsere Jugend lehren, Gott und die Heimat zu lieben.

Woher der Haß dieser Obrigkeitsvertreter gegen Pfarrer Z. Neciunskas? Am 4. Dezember 1946 wurde er, damals Gemeindepfarrer in Nedzinge, ver­haftet und ein Jahr später zu zehn Jahren Lager und fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Rechte verurteilt. Bis zum 3. August 1947 saß er im Zentral­gefängnis Lukiskis in Vilnius und wurde dann ins ferne Kardien deportiert, wo er unter schwersten Bedingungen beim Holzfällen eingesetzt wurde. Dort fand er viele Litauer, rund 500 Männer und 300 Frauen vor. Ein Jahr später brachte man ihn nach Mordovien; er arbeitete in einer Behälterfabrik und wurde schwer herzkrank. Trotz seiner1 angegriffenen Gesundheit und ungeeig­net für schwere körperliche Arbeit, betreute er als „Feldscher" acht Jahre hin­durch erkrankte Mithäftlinge seines Lagers. Nach Verbüßung der Gesamt­strafe Ende 1955 entlassen, suchte er zunächst seinen Bischof Teofilis Matu­lionis in einem Invalidenheim Mordoviens auf.

Nach Litauen zurückgekehrt, ließ Pfarrer Zigmas der Gedanke keine Ruhe, daß so viele seiner Landsleute noch in den Weiten Sibiriens dahinvegetieren. Nach ein paar Monaten in der Heimat bricht Pfarrer Neciunskas bereits auf, um Landsleute in Maklakovo, im Gebiet Krasnojarsk, zu besuchen. Zwei­einhalb Jahre hindurch betreut er von hier aus die katholischen Christen im Umkreis von 300 bis 500 Kilometern. Nach erneuter Rückkehr in die Hei­mat wird ihm die Ausübung des Priesteramtes verboten. Vorher besuchte er im März 1957 in Sibirien noch die von seinem Amts­bruder J. Gustas in Krasnojarsk eingerichtete Kapelle. Pfarrer Gustas starb darauf und wurde dortselbst von Pfarrer Šeškevičius begraben. Alle liebenswerten Eigenschaften des Dzükenstammes schienen sich in der Person des Priesters Zigmas Neciunskas verkörpert zu haben. Entzückt über die Bekanntschaft mit jedem Menschen, mit dem er zusammentraf, fand und erweckte er bald in einem jeden das Gute. Ein mitfühlendes Herz und tem­peramentvolles Naturell befähigten ihn, Unglück, Sorgen und Schmerzen seiner Mitmenschen nachzuempfinden und zu teilen. Er konnte Menschen wahrhaft trösten, ermutigen und geistig aufrichten. Dem Beispiel seines Hei­lands folgend, brachte er anderen Menschen Hilfe und Trost, dann aber auch die Tröstungen geistlicher Gaben. Als Seelsorger diensteifrig und pflichtbe­wußt, blieb er der kirchlichen Obrigkeit stets ergeben, in bestem Einverneh­men mit seinen Amtsbrüdern, von denen ihm viele in treuer Freundschaft verbunden waren. An die hundert Priester nahmen an seiner Beisetzung teil.