Aus einem Brief von Vytautas Skuodis, geschrieben anfangs Februar 1982:

... Bald ist es schon ein Jahr, seitdem ich hier bin (V. Skuodis ist seit 9. Februar 1981 im Straflager — Red.). Nicht einmal die feierlichen Sendungen im Fernsehen habe ich angeschaut, aber nicht deswegen, weil ich irgendwas gegen sie hätte. Es gibt einfach »keine Zeit«, weil ich ganz gierig nach Lesen bin. Ich habe mich schon immer danach gesehnt, mit meinen Gedanken allein zu sein und ich bin bemüht, jede Minute sinnvoll auszunützen. Dieser pas­siven Information, die zuerst zerstreut, nachher aber eine Art seelischer Leere hinterläßt, bin ich schon lange überdrüssig; ich bin einer solchen kul­turellen Art gegenüber gleichgültig.

Man darf sich nicht wünschen, daß die Zeit schneller verfliegen solle. Sie vergeht auch so schon viel zu schnell. Wenn das Leben sinnvoll und inhalts­voll ist, dann muß man es wenigstens im Geiste möglichst lange leben.

Irgendwo habe ich, seit ich hier bin, gelesen, daß das Schöne, Gute und Wahre in der Welt von der ewigen Wahrheit geschaffen wird, die die Gläu­bigen Gott nennen. Ich bin tatsächlich glücklich.

Ich danke allen herzlich, die mir schreiben. Allen, allen für ihre Grüße und Glückwünsche mein herzliches Dankeschön. Grüßen Sie alle, die sich an mich erinnern und übergeben Sie ihnen meine herzlichsten Wünsche. Möge Gottes Segen Euch alle begleiten und Euere Herzen mit göttlichen Gnaden erfüllen.«

P.S. Drei Monate lang hat niemand von V. Skuodis Briefe erhalten. Schließ­lich, Ende Mai sind einige kurze Postkarten und ein Brief durch die Zensur durchgeschlüpft. — Bern, der Red.

Viktoras Petkus schreibt, daß von neun an ihn adressierten Briefen nur zwei ihn erreicht haben. Seine eigenen Briefe, geschrieben am 6. Januar und 10. Februar, sind ebenfalls beschlagnahmt worden.

Aus einem Brief von Anastazas Janulis, geschrieben am 17. Januar 1982:

... Ich bin, Gott sei Dank, gesund und fröhlich. Gesund, weil ich fröhlich bin und fröhlich, weil ich gesund bin. Die zweite Hälfte meiner Strafe habe ich jetzt begonnen. Die daraus folgenden Erleichterungen sind nur unter Vorbehalt. Die einzige berechtigte Erleichterung — ein Paket von 5 kg im Jahr. Das Gerücht, daß es erlaubt wird, wenn die Hälfte der Strafe verbüßt ist, im Monat nicht nur zwei, sondern mehrere Briefe zu schreiben, ist falsch. Es sind einige Erleichterungen, die sogenannten »ermutigenden«, vorge­sehen; sie werden aber nur denen gewährt, die die Lagerverwaltung als auf dem Wege der Besserung betrachtet. Man kann tadellos sein und sich nicht einmal soviel wie »das Schwarze unter den Fingernägeln« zuschulden kom­men lassen, und trotzdem hat man sich »nicht gebessert«. Das aber, was man »sich bessern« nennt, das beurteilen beide Seiten unterschiedlich. Anstatt Erleichterungen zu bekommen, kann man auch das noch verlieren, was allen gemeinsam zusteht.

Aus dem Brief von Povilas Pečeliūnas, geschrieben am 9. April 1982:

Heute ist der 9. April — Karfreitag. An dem Tag beginne ich auch meinen Brief zu schreiben. Mit dem Gedanken, daß ich ihn zwar Ostern schon ab­schließen kann, denn der Karfreitag ist nur das Präludium. Seinen richtigen Sinn bekommt er erst durch die Auferstehung. Nur das während der Auf­erstehung erklingende fröhliche Halleluja zeigt uns den Wert der Passion des Karfreitags im richtigen Licht. Dort, wo die Auferstehung, wo die Wie­dergeburt ist, ist das Leiden ein Fels, auf dem man sicher ein Haus bauen kann, ohne Angst vor einem Orkan zu haben. Solche Gedanken beherrschen mich am Karfreitag ...

Mečislovas Jurevičius (gefangengehalten in der Umgebung von Tscheljabinsk) wurde am 28. April 1982 zu dem Politführer des Lagers vorgeladen, der ihm einen Brief aus den USA zeigte — eine Ansichtskarte händigte er ihm aus, den Umschlag mit der Adresse behielt er. Er zeigte noch einen Brief, aus dem er drei religiöse Bildchen sich aneignete und befahl ihm, an seine Verwandten nach Litauen zu schreiben, sie sollen keine religiösen Bildchen schicken.

Aus dem Brief von Julius Sasnauskas, geschrieben am 11. Dezember 1981: ... Heute sind es genau zwei Jahre, seitdem Sie mich auf die große und weite Reise in eine unbekannte Welt hinausbegleitet haben; heute möchte ich auch gerne zurückkehren — wenigstens in Gedanken. Die Sehnsucht bahnt einem heimatlosen Nomaden den Weg nach Hause, und es wird ihm warm und gut am Feuer seiner Gedanken ... Deshalb ist es nicht wahr, daß sie uns alles abgenommen haben — wir haben mit uns etwas mehr mitgenom­men als man mit Händen tragen kann und was unmöglich ist, zusammen mit der Freiheit wegzunehmen. Später erinnerte ich mich sehr oft an diesen De­zembertag, den letzten unter Euch, den letzten in unserem alten Häuschen, den letzten. . . den letzten ... Es ist aber sonderbar: er sprach immer von der Rückkehr... Wie eine unsichtbare unterirdische Quelle nährte mich jener Tag mit der Hoffnung auf die Rückkehr sogar dann, als alles unwider­ruflich verloren zu sein schien. Und noch mehr erfüllt er mein jetziges Leben. Nur dank ihm wird dieses Land nicht für einen Tag, nicht für eine Stunde mein eigenes. Er erblüht auch an diesem stürmischen Tag im Schneewirbel in allerhellsten Blüten. Und wir werden bestimmt zurückkommen! Gott wird alle seine in der ganzen Welt verirrten Kinder zusammenholen und in das verheißene Land, nach Litauen zurückführen, damit wir wieder mit den Unsrigen zusammen sein können. Möge diese Hoffnung jedem das Warten erleichtern!

... Unser kostbares Weihnachtsfest ist da, dieses helle Lichtblickchen zwi­schen täglichen Arbeiten und Sorgen. Am Heiligen Abend werde ich mit Euch am Tisch dabei sein. Die Schneegestöber Sibiriens werden mir den Weg nach Hause nicht verwehen, und der wunderbare Weihnachtsstern, der einst die drei Weisen aus dem Orient nach Bethlehem führte, wird alle, die danach träumen und sich danach sehnen, an jenem Abend nach Hause führen. Des­wegen verzagt nicht! So möge das Weihnachtsfest auf die schönste Weise in Euer Heim einkehren!

P.S. Jetzt werden beinahe alle an Julius Sasnauskas geschriebenen Briefe wie auch die von ihm nach Litauen geschriebenen Briefe von den Tschekisten beschlagnahmt.