Am 29. November 1983 begann vor dem Obersten Gericht der LSSR in Vilnius die Gerichtsverhandlung gegen den Pfarrer von Kybartai, das Mit­glied des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläu­bigen, Priester Sigitas Tamkevičius. Das KGB bereitete sich von vornherein sorgfältig darauf vor, Priester S. Tamkevičius gerichtlich zu erledigen: Die Ordinariate der Diözesen bekamen bereits im Sommer Schreiben, in denen darauf hingewiesen wurde, daß es verboten sei, in der Nähe der Kirchen Unterschriften unter Protesterklärungen zu sammeln. Der Vorsitzende des Obersten Gerichts drohte auch in seiner Rede im litauischen Fernsehen den Unterschriftensammlern und sogar den Unterzeichnern Strafen an. An man­chen Orten ging das KGB mit direkten gewaltsamen Maßnahmen gegen die Unterschriftensammler vor. Mehrmals wurden in der Bevölkerung des-informierende Nachrichten verbreitet. Es hieß, daß die Gerichtsverhandlung des Priesters S. Tamkevičius bereits in Vilnius stattgefunden habe und daß er zu 12 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden sei. Als die Leute dann das richtige Datum der Verhandlung erfuhren, dachten viele, sie würden irritiert. Deswegen kamen viele verspätet zu der Gerichtsverhandlung oder überhaupt nicht. Als der Tag der Verhandlung nahte, wurden die meisten Organisationen angehalten, Ende November und Anfang Dezember ihre Mitarbeiter nicht von der Arbeit wegzulassen. Mehrere Studenten und Schüler der Fachschulen wurden von ihren Schulleitungen ermahnt, nicht zu der Gerichtsverhandlung zu fahren und auch persönliche Angelegen­heiten, die in Richtung Vilnius zu erledigen seien, auf später zu verschieben; andernfalls könnten sie Scherereien bekommen oder gar das Studium nicht beenden. In den Gesundheitsämtern wurden die Krankschreibungen beson­ders streng kontrolliert. Sowohl Priestern als auch Laien, die dem Priester S. Tamkevičius nabestanden, wurden schon vorher in einschüchternder Weise nahegelegt, nicht zur Gerichtsverhandlung zu fahren, oder sie wurden aus irgendeinem Grund bei verschiedenen Behörden (manche zu einer Ver­nehmung) vorgeladen.

Von der »öffentlichen« Gerichtsverhandlung wurde nicht einmal den Brü­dern des Priesters S. Tamkevičius etwas mitgeteilt. Erst nachdem die Ver­handlung schon begonnen hatte, wurden dann die drei Brüder des Priesters S. Tamkevičius vorgelassen, aber auch nur sie allein. Die Frau eines Bru­ders, die für Priester S. Tamkevičius gesorgt hatte, da er schon früh Waise geworden war, ließen die Tschekisten nicht in den Saal. Ihrer Meinung nach ist die Frau des Bruders keine Verwandte.

An den Tagen der Gerichtsverhandlung wurden alle Kirchen in Vilnius und Umgebung von Agenten des KGB beobachtet. Um keine Aufmerksamkeit bei den Leuten zu erregen, war der Zugang zum Gerichtspalast — im Gegen­satz zu der Verhandlung gegen Priester A. Svarinskas — vollkommen frei. Man ließ fast alle, die angereist waren, hinein bis in die Vorhalle des Ge­richts. Dort teilten ihnen Beamte höflich mit, sie brauchten sich nicht weiter zu bemühen und sollten besser wieder nach Hause fahren, denn in den Saal werde man sie nicht hineinlassen (»Es ist kein Platz mehr frei!«). Als die Leute dann umkehrten, kamen ihnen an der Tür Milizmänner und Si­cherheitsbeamte entgegen, brachten sie, als ob sie bereits verhaftet wären, zu ihren Autos, transportierten sie in die Milizabteilungen zum Verhör und bestraften sie mit Arresttagen, oder sie hielten sie fest, bis die Verhand­lungszeit des Gerichts zu Ende war. Erst dann brachte man sie zur Bushalte­stelle oder zum Bahnhof und entließ sie mit der Drohung, sich während der Verhandlungstage in Vilnius nicht mehr blicken zu lassen. So wurde auch der Pfarrer von Pociūnėliai, Priester Antanas Jokubauskas, angehalten. Dem Pfarrer von Griškabūdis, Priester Vytautas Užkuraitis, sowie dem Vikar von Alytus, Priester Antanas Gražulis, wurde mit der Verhaftung gedroht, falls sie nicht die Vorhalle verließen. Der Priester Jonas Boruta wurde auf der Straße angehalten und von den Beamten in die Milizabteilung des Leninrayons gebracht, wo er einige Stunden lang von den Mitarbeitern der Miliz vernommen wurde. Auf ähnliche Weise wurde auch der Priester Jonas Kauneckas aufgehalten. An allen Tagen versammelten sich Priester und Gläubige, die zur Gerichtsverhandlung gekommen waren, in der Kapelle »Aušros vartai« (»Tor der Morgenröte«) oder in der St.-Theresien-Kirche gleich daneben, wo sie während der ganzen Zeit beinahe ununterbrochen beteten: Sie nahmen an der Hl. Messe teil, gingen die Kreuzwegstationen, beteten den Rosenkranz und sangen religiöse Lieder. Folgende Priester beteten während der Verhandlungstage mit den Gläubigen im Tor der Mor­genröte und in der St.-Theresien-Kirche: Msgr. Bronius Antanaitis, Algimatas Keina, Vaclovas Stakėnas, Rokas Puzonas, Vytautas Užkuraitis, Gvidonas Dovydaitis, Jonas Kauneckas, Vincas Vėlavičius, Antanas Gražulis, Jonas Boruta, Antanas Jokubauskas, Leonas Kalinauskas, Juozas Zdebskis, Petras Našlėnas, Mykolas Petravičius, Edmundas Paulionis u. a. Die betende Schar der Gläubigen, manchmal bis zu hundert Menschen, wurde von Mitarbeitern des KGB oder von dessen Agenten ständig beobachtet. Am 1. Dezember rief der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, P. Ani-lionis, den Verwalter der Erzdiözese Vilnius, Priester A. Gutauskas, an und forderte ihn auf, in der Kapelle im Tor der Morgenröte und in der St.-Theresien-Kirche »Ordnung zu schaffen«. Gegen alle, die versucht hatten, zu dem Palast des Obersten Gerichts zu gelangen, ging man ebenso vor, wie bei der Gerichtsverhandlung gegen Priester Alfonsas Svarinskas. Am 29. November 1983, dem ersten Verhandlungstag, wurden am Palast des Obersten Gerichts angehalten: Aldona Šukytė, Bronė Valaitytė, Genovaitė Navickaitė, Janina Judikevičiūtė, Giedrė Striokaitė und Ramutė Tamašaus­kaitė. Sie hatten sich noch nicht einmal vergewissert, ob die Gerichtsver­handlung gegen Priester S. Tamkevičius tatsächlich stattfinde, als sie schon von den Beamten mit Fragen überschüttet wurden: »Woher kommen Sie?«, »Warum sind Sie hergekommen?«, »Haben Sie Erlaubnis dazu?« usw.

Als die Frauen erklärten, sie seien wegen der Gerichtsverhandlung gegen Priester S. Tamkevičius hier und als sie baten, in den Saal gelassen zu werden oder sich doch wenigstens in der Vorhalle aufhalten zu dürfen (um sich aufzuwärmen), wurde sofort der Befehl gegeben, sie festzunehmen. Im Omnibus, zu dem man sie gebracht hatte, führten die Beamten die erste Kontrolle durch: Sie prüften die Personalausweise, fragten, woher und wozu sie nach Vilnius gekommen seien und notierten alles x-mal auf. Die 6 fest­genommenen Frauen wurden von 13 Beamten in Uniform und in Zivil be­wacht. Schließlich brachte man sie in die »Schule zur Vorbereitung der jüngeren und mittleren Führungskräfte« nach Valakampiai, wo sie die ganze Zeit verhört und »belehrt« wurden. Die Tschekisten interessierte folgendes:

»Kennst Du den angeklagten Priester?«, »Wo leben und arbeiten Deine Eltern und die anderen Familienangehörigen?«, »Mit wem wohnst Du selbst zusammen?«, »Was verdienst Du?« usw. Nach dem Verhör drohte einer der Sicherheitsbeamten damit, daß er strengere Maßnahmen ergreifen werde, wenn er sie noch einmal in der Nähe des Gerichtspalastes erblicke. Um 17 Uhr wurden sie zum Omnibusbahnhof gebracht und durften erst nach langer Debatte noch in die Kapelle im Tor der Morgenröte gehen. Alle, die an diesem Tag zum Gerichtspalast gekommen waren, wurden an­gehalten und zurückgeschickt.

Bronė Valaitytė, Aldona Šukytė, Algirdas Patackas und Janina Judike-vičiūtė wurden am 30. November wieder angehalten, noch bevor sie sich dem Gerichtspalast genähert hatten. Aldona Šukytė wurde von allen ge­trennt, in eine Milizabteilung gebracht und dort mit 5 Tagen Arrest be­straft. Die anderen brachte man aus der Stadt und hielt sie bis 17 Uhr in der Milizunterkunft fest. Im Beisein von zwei Zeugen machte man ihnen klar, daß man zu schärferen Maßnahmen greifen werde, wenn sie sich noch einmal in der Nähe des Gerichtspalastes zeigen würden. Die Verwarnung zu unterschreiben, weigerten sich die Festgehaltenen. So unterzeichneten die Zeugen an ihrer Stelle.

Am Morgen des 1. Dezember wurde Joana Bukaveckaitė aus Kaunas ange­halten und vom Sicherheitsdienst vernommen. Eine etwas größere Gruppe von Menschen wurde gegen Mittag gestoppt. Sie alle wurden vom Sicher­heitsdienst ausgefragt. Bronė Valaitytė aus Sasnava und Janina Judike-vičiūtė aus Kapsukas wurden von den Beamten in die Milizabteilung des Leninrayons gebracht und mit je 10 Tagen Arrest bestraft. Alle Personen, die Arrest bekommen haben, wurden unter unhygienischen Bedingungen festgehalten... Der Fußboden war so schmutzig, daß er stellenweise ganz schwarz war und man seine Farbe nicht mehr überall erkennen konnte. Auf diesem Fußboden mußten die Bestraften schlafen. Niemand gab ihnen eine Unterlage oder etwas zum Zudecken; sie bekamen kein Handtuch und kein Stückchen Papier. Zweimal am Tag durften sie auf die Toilette. In einer Ecke des Raumes stand ein stinkender Eimer, den man nicht dicht abdecken konnte. Nicht nur die Luft, sondern auch die Wände der Kammer waren vollgesogen mit diesem eigenartigen Geruch. Zweimal täglich öffnete man für ein paar Minuten die Tür. Der Ventilator wurde nur einmal am Tag eingeschaltet und das auch nur für einige Minuten oder manchmal sogar noch kürzer.

Den Vorsitz bei der Gerichtsverhandlung führte der Stellvertreter des Vor­sitzenden des Obersten Gerichts der LSSR, Ignotas, der Staatsanwalt war Bakučionis. Zu Beginn der Verhandlung las die Sekretärin etwa zweieinhalb Stunden lang die Anschuldigungen vor, die man dem Priester S. Tamkevičius zur Last legte. Unter anderem war zu hören: Organisieren des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, Schreiben seiner Dokumente und Ubergabe ans Ausland wie auch an die Untergrundveröf­fentlichung »Chronik der LKK«, Predigten anklagenden Inhalts bei ver­schiedenen Anlässen und an etwa 15 verschiedenen Orten, Unterrichtung der Kinder in Gruppen, Organisieren der Allerseelenprozession zum Fried­hof, Unterstützung der Gefangenen, Veranstaltung eines Weihnachtsbaum­festes während der Weihnachtsfeiertage 1982 usw. Nach der Verlesung der Anklageschrift wandte sich der Richter an Priester S. Tamkevičius mit der Frage, ob er sich für schuldig bekenne. Der Angeklagte bekannte sich nicht für schuldig. Er wies alle Anschuldigungen des Gerichts zurück und begrün­dete dies ausführlich in einer fast zweistündigen Rede. Priester S. Tamke­vičius unterstrich in seiner Rede: »Sechs Monate lang haben mich sieben gut qualifizierte Untersuchungsbeamte verhört, aber keiner von ihnen hat be­wiesen, daß ich mich mit antisowjetischen Aktivitäten befaßt habe. Ich habe mich auch nicht damit befaßt, sondern nur die Rechte der Gläubigen ver­teidigt.« Auf die Frage nach seiner Fürsorge für die Gefangenen antwortete der Angeklagte: »Jene, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen verurteilt wurden, sind für mich keine Gefangenen, sondern meine Brüder und Schwe­stern!« Er erwähnte auch, daß er während der Zeit der Voruntersuchung ständig an Kopfschmerzen gelitten habe. (Das ist eine Dauererscheinung bei allen, die in den unterirdischen Verließen des Sicherheitsdienstes gesessen sind — eine Bemerkung der Redaktion).

Nach der Mittagspause machte der Richter, der schon ungeduldig wurde, die Bemerkung: »Wenn man das alles so hört, Angeklagter Tamkevičius, dann kommt es einem vor, als ob wir Sie nicht als Verbrecher, sondern nur rein zufällig festgenommen hätten.«

Dann fand die Vernehmung der 28 Zeugen statt, von denen 3 zu der Ge­richtsverhandlung nicht erschienen sind. Die meisten von ihnen — die beiden Priester Algimantas Keina und Vaclovas Stakėnas, zwei Zeugen aus Ky-bartai und noch der eine oder andere ausgenommen — waren Agenten des KGB oder ihre Kollaborateure. Die dem Angeklagten wohlgesonnenen Zeu­gen wurden erst am 30. November, am Schluß der Verhandlung, vernommen und hatten deswegen praktisch keine Gelegenheit, im Saal dabei zu sein. Manche von ihnen weigerten sich, den Eid, daß sie die Wahrheit sagten, schriftlich abzulegen. Eine Frau aus Kybartai begründete dies so: »Ich werde nicht unterschreiben, denn ich mußte mich überzeugen, daß die Unterschrif­ten der Gläubigen wertlos sind. Ungefähr 70 000 Gläubige haben für die Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius unterschrieben, doch niemand hat dies beachtet.« Auf die Bemerkung des Gerichts, daß für die Gläubigen dieselben Gesetze gelten und daß sie verpflichtet sei, zu unter­schreiben, erwiderte die Zeugin, daß ihr Gewissen es ihr verbiete, vor die­sem Gericht eine Unterschrift zu leisten. Die Zeugen redeten zumeist über die Predigten des Priesters S. Tamkevičius. Fast alle waren »rein zufällig« an der Kirche vorbeigegangen und haben die Predigt aufgenommen, denn die Magnetophonbänder hatten sie bei sich.

Sie redeten alle leise, deswegen war es für die im Saal Anwesenden schwierig, etwas zu hören und besonders schwierig, die Namen der Zeugen mitzube­kommen. Am Schluß der Gerichtssitzung, am 30. November, gab der Ge­richtsvorsitzende bekannt, daß »morgen die Zeugen nicht zur Gerichtsver­handlung zugelassen werden«. Die Gesetze dagegen sehen vor, daß die Zeugen nach ihrer Aussage berechtigt sind, im Saal zu bleiben. Wenn einer früher weggehen möchte, muß er sich sogar beim Kläger oder Verteidiger erkundigen, ob er nicht noch benötigt wird.

Nach der Vernehmung der Zeugen wurden die Dokumente des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen und das restliche Anklagematerial vorgenommen, das 23 Bände umfaßte. Auf die Frage, wie die Dokumente des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen zu Jakunin nach Moskau gelangt seien und wer sie übersetzt habe, erklärte der Priester: »Diese Frage werde ich nicht beantworten! Erstens hat der Übersetzer meiner Meinung nach kein Verbrechen begangen und zweitens — ich werde noch zurückkommen und werde weiterhin arbeiten müssen. Wie können die Leute dann noch zu mir zur Beichte gehen und wie werden sie mich anschauen, wenn ich sie — ganz Unschuldige — jetzt ver­rate?« Bei der Bekanntgabe und Behandlung des Aktenmaterials (z. B. der Dokumente des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen) las das Gericht die Dokumente entweder gar nicht oder nur aus­zugsweise vor. Man begnügte sich vielmehr mit der Angabe der Nummer des Dokumentes und mit dem Hinweis, wo es eingeheftet sei. Ständig wurden allgemeine Phrasen wiederholt: »Der Redner vertrat eine tendenziöse Mei­nung« oder »er ermunterte zum Kampf gegen die sowjetische Ordnung«.

Die Verteidigungsrede des Priesters S. Tamkevičius:

»Ich werde nicht viel reden und Sie nicht alle belästigen, wenn auch noch viel zu sagen wäre«, sagte Priester S. Tamkevičius. »Der Staatsanwalt Ba-kučionis sagte, meine Anklageschrift umfasse 23 Bände und daß man ohne weiteres noch 23 füllen könnte. Es ändert sich also nichts an der Situation, ob ich viel oder wenig rede. Ich fühle mich unschuldig. (Der Priester S. Tam­kevičius kam jedesmal in guter Stimmung, mit einem Lächeln, ausgeglichen und standhaft in den Saal. — Bern. d. Red.). Ich habe getan, was mir als priesterliche Pflicht auferlegt ist. Im Evangelium steht, daß Christus sich nicht verteidigt hat, als man ihn verurteilte. Ich bin nur ein Priester, und ich möchte sein Beispiel nachahmen. Meine Hände sind heute gefesselt, geht mit mir um, wie es Euch gefällt!« (Die Verteidigungsrede ist nach­erzählt.)

Der Staatsanwalt Bakučionis forderte für den Angeklagten gemäß § 68, Teil I des StGB der LSSR 6 Jahre Lager mit strengem Regime und 4 Jahre Verbannung.

Das letzte Wort des Priesters S. Tamkevičius:

»... Während meines Studiums im Priesterseminar verschlechterte sich meine Gesundheit so, daß ich glaubte, mein Studium nicht mehr fortsetzen zu können. Zwei Jahre später wurde ich zum Militärdienst einberufen. Nach drei Jahren Militärdienst war ich gesund und schloß das Priesterseminar erfolgreich ab. Ich arbeitete, was ich nur konnte und war immer bemüht, meine Pflichten als Priester gut zu erfüllen. Im Jahre 1969 wurde mir mein Priester-Zeugnis abgenommen. Viele dachten, mir dadurch schaden zu kön­nen, aber im Gegenteil — alles hat sich zum Guten gewendet. In der letzten Zeit hat sich meine Gesundheit wieder wesentlich verschlechtert... und am 6. Mai hat man mich verhaftet... Bei einem Gespräch habe ich einmal einen sowjetischen Beamten gefragt: »Was bin ich denn in Deinen Augen?« Er antwortete: »Wenn es Dich nicht kränkt, dann sage ich es Dir. Ich sehe in Dir einen begabten Abenteurer, der lange Zeit Glück gehabt hat.« — Nein, ein Abenteurer bin ich nicht, ich bin ein Schüler Christi, ein Priester. Ich habe Gott geliebt und die Menschen, die alten wie die kleinen sowie die Jugendlichen, für die ich mein ganzes Leben geopfert habe und ich werde später selbst auch das Leben für sie einsetzen, wenn dies nötig ist. Ich habe überall gearbeitet, wo Gott mich hingestellt hat, und jetzt schickt Er mich dorthin, wo ich am nötigsten bin. Auch heute versetzt Er mich nur von einem Ort zum anderen. Ich habe mir immer Mühe gegeben, die Kreuze des Lebens aus Gottes Händen anzunehmen; so nehme ich auch dieses Kreuz an, umarme und küsse es. Ehre sei Jesus Christus und Maria!« (Das letzte Wort ist nacherzählt.)

Am 2. Dezember 1983 wurde um 15 Uhr das Gerichtsurteil verlesen, auf­grund dessen der Priester S. Tamkevičius zu 6 Jahren Lager mit strengem Regime und 4 Jahren Verbannung verurteilt wurde.

 

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An den Generalsekretär der UdSSR

Abschrift: an den Obersten Staatsanwalt der LSSR

Erklärung

der Šukytė Aldona, Tochter des Povilas, wohnhaft in Biržai, Vytauto 16-8,

der Valaitytė Bronislava, Tochter des Jeronimas, wohnhaft im Rayon Kapsukas, Sasnava,

der Judikevičiūtė Janina, Tochter des Jurgis, wohnhaft in Kapsukas, Sporto 14-6

Während des Gerichtsprozesses gegen Priester Sigitas Tamkevičius in Vilnius wurden wir, noch bevor wir den Palast des Obersten Gerichts der LSSR erreicht hatten, angehalten und allein deswegen bestraft, weil wir an der Gerichtsverhandlung des angeklagten Priesters teilnehmen wollten und zwar: Aldona Šukytė am 30. 11. 1983 mit 5 Tagen Arrest, Bronislava Valaitytė und Janina Judikevičiūtė am 1. 12. 1983 zu je 10 Tagen Arrest. Ein solches Vorgehen der Sicherheitsbeamten ist ein klarer Beweis, daß ein unschuldi­ger Mensch verurteilt wird, weil die Gerechtigkeit nämlich keine Angst vor der Öffentlichkeit haben muß.

Als wir ohne Verschulden, wie die verurteilten Priester, in der Zelle einge­sperrt waren, beschlossen wir, die für Litauen so notwendigen Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius zu ersetzen und ihre Plätze im Lager einzunehmen. Jede von uns ist bereit, die Strafe der beiden Priester zusammen zu verbüßen, d. h. 13 Jahre Lager mit strengem Regime und 7 Jahre Verbannung.

Geben Sie, Generalstaatsanwalt, Litauen die Priester zurück, die keinerlei Vergehen begangen haben. Wenn Sie schon das Blut der Christen brauchen, dann lassen Sie uns die für unser Volk so notwendigen Priester ersetzen und die gesamte Strafzeit für sie verbüßen.

Am 15. 12. 1983.

Am 15. Dezember 1983 schickten Aldona Šukytė, Bronislava Valaitytė und Janina Judikevičiūtė noch eine Erklärung an den Generalstaatsanwalt ab, in der sie gegen die von den Sicherheitsbeamten zusammenfabrizierte Lüge protestieren. In der Erklärung schreiben sie:

»Wir wurden während der Gerichtsverhandlung gegen den Priester Sigitas Tamkevičius zwischen 29. 11. 1983 und 2. 12. 1983, noch bevor wir den Palast des Obersten Gerichts erreicht haben, angehalten und in die Miliz gebracht, wo das Gericht uns mit Arrest bestrafte, obwohl wir kein Vergehen begangen haben. Vor dem Weggehen fragten wir, weswegen wir die Strafe verbüßen müßten. Da wurde uns erklärt, wir hätten die Milizmänner her-umgestoßen und uns mit Gewalt in den Gerichtspalast vorgedrängt. Da über­haupt nichts Derartiges vorgekommen ist, erheben wir gegen diese scham­lose Lüge unseren schärfsten Protest.«