Am 14. Dezember 1983 waren alle Führer der Konfessionen Litauens beim Bevollmächtigten des RfR, Petras Anilionis, in Vilnius vorgeladen: Die Bischöfe der Katholischen Kirche, der Verwalter der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis, Bischof Liudas Povilonis, der Bischof der Diözese Kaišiadorys, Vincentas Sladkevičius, der Verwalter der Diözese Panevėžys, Prälat Kazimieras Dulksnys, der Verwalter der Erzdiözese Vilnius, Algirdas Gutauskas. (Der Bischof der Diözese Telšiai, Antanas Vaičius, nahm wegen einer Erkrankung nicht daran teil); der Erzbischof der Orthodoxen, Viktorin, der Vorsitzende des Obersten Rates der Altgläubigen, S. S. Jegorow, und der Bischof der Evangelischen Kirche, Kaivanas. Es wurde ihnen vorgeschlagen, einen vorgefertigten Text für den Frieden zu unterzeichnen, in dem die Amerikaner verurteilt und der Generalsekretär des ZK der KP der Sowjet­union, Jurij Andropow, gerühmt wird. Bischof L. Povilonis und Bischof V. Sladkevičius verwarfen den vorgefertigten Text mit dem Vorschlag, daß jeder seinen eigenen Text unterzeichnen solle. Der orthodoxe Erzbischof Viktorin und der Vorsitzende des Obersten Rates der Altgläubigen, Je­gorow, waren mit diesem Vorschlag der Bischöfe nicht einverstanden und widersetzten sich. Dann schlug P. Anilionis vor, ein Schreiben mit etwas sanfterem Inhalt zu unterzeichnen.

Im September 1983 war der Bischof von Kaišiadorys, Vincentas Sladke­vičius, bei dem Bevollmächtigten des RfR, Petras Anilionis, vorgeladen und wurde gescholten, weil er dem Kandidaten Jonas Sutkevičius die Prie­sterweihe gespendet hatte. »Dazu ist das Priesterseminar in Kaunas da. Er soll dort eintreten und wird die Priesterweihe bekommen, einen anderen Weg gibt es nicht und kann es auch nicht geben«, belehrte P. Anilionis den Bischof.

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Es ist bereits bekannt geworden, daß eine Untergrundgruppe des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen ihre Arbeit auf­genommen hat. Sie wird die Arbeit fortsetzen, die das Komitee der Katho­liken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen tat, als es noch öffentlich arbeitete. Nachdem die Bedingungen durch die Repressalien und Drohungen des KGB so erschwert worden sind, kann es nun nicht öffentlich wirken. Daher werden die sowjetischen Behörden durch anonyme Dokumente auf die Tatsachen der Diskriminierung der Gläubigen aufmerksam gemacht, wie dies schon bei der Gründung des Komitees vorgesehen war.

Die Untergrundgruppe des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen hat schon Protestschreiben verfaßt. Mit Nr. 2 zum Beispiel wendet sie sich an den Generalsekretär der KPSU, Tschernenko, wegen des Betragens der Beamten am 21. Januar 1984 in der Wohnung der Familie Butkevičius in Kaunas, am 26. und 29. Januar in Raseiniai und Viduklė, wie auch am 28. Januar desselben Jahres in der Wohnung von Genovaitė Navickaitė in Kapsukas.

In dem Dokument Nr. 3 wird gegen die Anstrengungen der sowjetischen Beamten protestiert, das Gedenken des Jubiläums des hl. Casimir in Vilnius und in ganz Litauen herabzuwürdigen und zu behindern.

 

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Im Herbst vergangenen Jahres wurde in dem Journal »Sovjet Life« und später auch in der Zeitung der litauischen Kommunisten in Amerika, »Laisvė« (»Die Freiheit«), ein Interview mit dem Pfarrer der Pfarrei Alytus, Priester Pranas Račiūnas, veröffentlicht. Allgemein gesehen, wurde in diesem Interview keine Unwahrheit ausgesprochen. Da aber nur ein kleiner Teil der Wahrheit über die Lage der Kirche in Litauen gesagt wurde, indem man den schmerzlichen aktuellen Teil der Wahrheit verschwieg, kann man dieses Interview nicht als gewissenhaft bezeichnen.

Der Priester P. Račiūnas behauptet, daß wir »noch in allem das katholische Brauchtum pflegen«. Es wird gepredigt, das Sakrament der Ehe gespendet, es werden die Kranken besucht. Katholische Gepflogenheiten aber verlangen noch wesentlich mehr; dazu gehören auch die Katechese der Kinder, die Besuche der Gläubigen bei ihnen zu Hause, die Allerseelenprozession zum Friedhof usw. Im Interview wird verschwiegen, daß die Priester wegen Aus­übung dieser Bräuche vor Gericht angeklagt, mit Administrativstrafen be­legt und mit offiziellen Ermahnungen gerügt werden. Priester P. Račiūnas sagt, daß es »die Kirchenkomitees gibt«. Wird aber der Leser im Ausland verstehen können, daß man sich anstrengt, dieses Komitee zu einem Instru­ment zu machen, das den Gottlosen ermöglicht, sich in die rein kirchlichen Angelegenheiten einzumischen? Weiter behauptet Priester P. Račiūnas: »Wir führen die liturgischen Reformen nach den Beschlüssen des II. Vatikani­schen Konzils durch.« Werden sie aber bedauerlicherweise nicht zu lange hinausgezögert? Die anderen katholischen Völker haben sie wesentlich schneller durchgeführt. Eine solche Lage ist in Litauen nicht ohne Zutun der Gottlosen entstanden. Priester P. Račiūnas widerspricht sich selbst, wenn er behauptet, daß »die religiöse Gemeinschaft lebt und normal arbeitet, leider aber gibt es nicht viel gläubige Jugend«. Wie kann von einem norma­len Leben der religiösen Gemeinschaft die Rede sein, wenn die Gottlosen sich auf jede Art und Weise in das innere Leben der Kirche hineinmischen, wenn sie die Gläubigen hindern, ihre Kinder katholisch zu erziehen, wenn der Stellvertreter des Vorsitzenden des Obersten Gerichts, Ignotas, in einer Fernsehsendung offiziell behauptet, daß die Kirche kein Recht habe, sich die Funktion der Erziehung der Menschen und der Jugend anzueignen? Auch die dem Interview beigefügten Aufnahmen, auf denen man den Priester P. Račiūnas in der Kirche mit einer Schar Kinder — Ministranten und Be­sucher der Anbetungsstunde — sieht, desinformieren den Leser im Ausland. Diesmal haben die gottlosen Journalisten »vergessen«, die Leser darauf hinzuweisen, daß es gemäß dem Statut der religiösen Gemeinschaften Kin­dern und Jugendlichen verboten ist, am Leben der Kirche teilzunehmen, also auch während der Messe zu ministrieren oder sich an Anbetungen zu beteiligen und daß die auf den Aufnahmen abgebildeten Kinder und Jugend­lichen jene Gesetze »verletzen«, weswegen man sie in der Schule, nicht selten aber auch im Staatssicherheitsdienst terrorisieren darf. Und die Außen­ansicht der Kirche von Alytus mit einer ganzen Reihe von Devotionalien­händlern (als ob das offiziell erlaubt wäre!).. . Wie heuchlerisch sieht das aus, wenn man sich daran erinnert, daß im selben Sommer des Jahres 1983 der Bevollmächtigte des RfR, Petras Anilionis, in Ultimativform die Bi­schöfe und die Verwalter der Diözesen Litauens aufgefordert hat, solche Händler (sie sind leider die einzige Möglichkeit für das gläubige Volk, sich mit religiösen Bedarfsartikeln zu versorgen), aus den Kirchhöfen zu ver­jagen.

Eine Lüge liegt nicht nur dann vor, wenn direkt die Unwahrheit gesagt wird, sondern auch dann, wenn die Wahrheit, eine schmerzliche, aktuelle Wahr­heit, verschwiegen wird.

Šatės (Rayon Skuodas)

Die Administrativkommission beim Exekutivkomitee des Rayons Skuodas, bestehend aus den Mitgliedern Lepeckienė, Kulys, Lauciuvienė, Bukauskiene und Siečkus, beschuldigte am 20. November 1983 den Pfarrer der Pfarrei Šatės, Priester Vincentas Senkus, daß er am 1. November eine Prozession der Gläubigen aus der Kirche zum Friedhof organisiert habe, und legte ihm eine Administrativstrafe von 50 Rubel auf. Da sich der Priester V. Senkus zu Unrecht bestraft fühlte (er hat keine Prozession organisiert, sondern nur zweimal von der Kanzel die Gläubigen erinnert, sie möchten sich auf dem Friedhof zusammenfinden, um für die Verstorbenen zu beten), übergab er den Beschluß der Administrativkommission dem Volksgericht des Rayons Skuodas, damit dieses die ungerechte Strafe annulliere.

Das Gericht aber, bestehend aus Richter A. Gailiūnas, zwei Stellvertretern, der Staatsanwältin, der Vertreterin des Rayonexekutivkomitees und der Gerichtssekretärin, trat am 27. Dezember 1983 im Arbeitszimmer des Rich­ters in Skuodas unter Ausschluß der Öffentlichkeit zusammen und bestätigte das Urteil der Administrativkommission als gerecht. Als sich der Priester V. Senkus nach den Namen der Gerichtsmitglieder erkundigte, erklärte ihm der Richter A. Gailiūnas, daß es für den Kläger nicht nötig sei, dies zu wissen. Die Staatsanwältin fügte noch hinzu, daß der Pfarrer die genaue Zusammensetzung des Gerichts nur dazu benötige, damit er sie dem Vatikan mitteilen könne.

Alytus

Nach dem Christbaumfest, das an Weihnachten auf dem Kirchhof vorbereitet worden war, erhielten der Pfarrer der Kirche von Alytus, Priester Pranas Račiūnas, und der Vikar, Priester Antanas Gražulis, vom Exekutivkomitee der Stadt ein Schreiben folgenden Inhalts:

Am 5. 1. 1984

Beschluß

des Administrativkomitees Nr. 13

Die Administrativkommission im Exekutivkomitee des Volksdeputierten­rates der Stadt Alytus, bestehend aus:

Vorsitzende: B. Butvilienė, Sekretär: A. Zėlienė, Mitglieder: A. Petraitienė, J. Smičienė, hat nach einer öffentlichen Verhandlung des Administrativ­prozesses Nr. 13 festgestellt, daß Račiūnas Pranas, Sohn des Jurgis, und Gražulis Antanas, Sohn des Antanas, Arbeitstelle Pfarrer und Vikar der II.

katholischen Gemeinde zu Alytus, am 25. Dezember 1983 gegen 19.30 Uhr auf dem Kirchhof des Gebetshauses durch Lautsprecher eine Andacht über­tragen und die Ruhe der anliegenden Einwohner gestört haben.

Unter Beachtung des Beschlusses des Stadtrates der Stadt Alytus vom 24. März 1982 über die Bestimmungen der Auferlegung und Einziehung einer Administrativstrafe, bestätigt durch die Anordnung des Präsidiums des Obersten Rates der LSSR am 19. Januar 1983, beschließt die Kommission folgendes:

Den Bürgern Račiūnas Pranas, Sohn des Jurgis, und Gražulis Antanas, Sohn des Antanas, eine Administrativstrafe von je 10 Rubeln aufzuerlegen. Der Angeklagte hat das Recht, innerhalb von 10 Tagen nach der Uber-reichung der Abschrift dieses Beschlusses, beim Volksgericht des Rayons Alytus Berufung einzulegen.

Simnas (Rayon Alytus)

Während der Weihnachtsfeiertage 1983 wurde in der Kirche zu Simnas ein Weihnachtsbaumfest vorbereitet. Als den Gläubigen die Feier von der Kanzel aus angekündigt worden war, lud der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Alytus, Makštutis, die Priester der Pfarrei, den Pfarrer Juozas Matulevičius und den Vikar Juozas Gražulis, vor. Der Stellvertreter Makštutis und der Vorsitzende der Finanzabteilung Starana-vičius verlangten von ihnen, die Weihnachtsbaumfeier in der Kirche zu unter­lassen. Am 22. Dezember ließ der Stellvertreter Makštutis die Priester der Pfarrei Simnas erneut in das Exekutivkomitee von Simnas kommen und überreichte ihnen im Beisein der Sekretärin Šlemfuktienė eine schriftliche Verwarnung im voraus, deren Grundgedanke war, daß die Jugend sich an dem Programm der Weihnachtsbaumfeier nicht beteiligen dürfe und auch während der hl. Messe nicht ministrieren und im Kirchenchor nicht singen solle. Als sich die Priester weigerten, die Verwarnung zu unterzeichnen, drohte der Stellvertreter Makštutis damit, daß er die ganze Angelegenheit dem Bevollmächtigten des RfR, Petras Anilionis, übergeben werde.

Am 26. Dezember 1983 fand nach dem Hochamt in der Kirche von Simnas unter Beteiligung sehr vieler Gläubiger, Jugendlicher und Kinder eine festliche Weihnachtsbaumfeier statt. Dabei gratulierte der Weihnachtsmann allen zum Fest der Geburt des Kindes Jesu und verteilte unter den Kindern kleine Geschenke.

Pilviškiai (Rayon Vilkaviškis)

Der Pfarrer der Pfarrei Pilviškiai, Priester Gvidonas Dovidaitis, war am 12. März 1984 in die Staatsanwaltschaft des Rayons Vilkaviškis vorgeladen.

Hier wurde er vom Stellvertreter des Staatsanwaltes, P. Bagušauskas, der Verletzung der Gesetze über die religiösen Kulte beschuldigt. Der Staats­anwalt behauptete, daß der Priester aus Anlaß des Festes des hl. Casimir am 4. März während der Predigt die Gläubigen zum Kampf gegen die gott­losen Russen aufgefordert habe. Priester G. Dovidaitis wies eine derartige Anschuldigung als erfunden zurück. Auch das Verlesen der Bekanntmachun­gen, in denen die Gläubigen daran erinnert wurden, das Fastengebot am Aschermittwoch einzuhalten und sich nicht zu betrinken, wurde ebenfalls als Vergehen betrachtet, weil der Aschermittwoch zufällig am Vorabend des 9. März war. (Am 8. März wird in der Sowjetunion der Internationale Tag der Frau gefeiert — Bern. d. Übers.). In den Bekanntmachungen gab der Priester auch zu verstehen, daß es seiner Meinung nach besser wäre, den Müttern am ersten Sonntag im Mai zum Muttertag zu gratulieren. Auch darüber war der Staatsanwalt P. Bagušauskas erzürnt. Mißfallen haben dem Stellvertreter des Staatsanwaltes außerdem die Darbietungen, die die Jugend nach dem Hochamt in der Kirche zu Ehren des hl. Casimir aufführte; sie hatte kurz das Leben des hl. Casimir dargestellt, einige Gedichte vorgetragen und ein Lied gesungen. Der Staatsanwalt wollte wissen, wer die Kinder und die Jugend dazu vorbereitet hätte, und war sehr aufgebracht, als der Priester erklärte, niemand habe spezielle Vorbereitungen getroffen, das sei vielmehr von selbst gekommen. »Es geschieht nichts von selbst!«, sagte der Staats­anwalt mit erhobener Stimme. »Als ich noch in die sowjetische Schule ging, versuchte man mir einzuhämmern, daß sogar die Welt von selbst entstanden sei. Wenn schon die Welt, wie Sie behaupten, von selbst entstehen konnte, warum wollen Sie dann nicht einmal glauben, daß so eine Kleinigkeit, eine unkomplizierte Sache wie diese Darstellung von selbst entstehen kann?«, fragte Priester G. Dovidaitis zurück. Staatsanwalt P. Bagušauskas störte sich auch an der Tatsache, daß der Priester den Gläubigen öffentlich während der Predigt verkündete, was er erfahren hatte, nämlich daß sich speziell an diesem Tag in jeder Kirche von der atheistischen Regierung bestellte Spitzel aufhielten. Am Ende des Gesprächs setzte der Staatsanwalt im Namen des Priesters eine Stellungnahme auf. Der Priester G. Dovidaitis verweigerte die Unterschrift mit der Begründung, daß die Unterschriften der Gläubigen in der Sowjetunion wertlos seien. »Für die unschuldig verhafteten Priester Al­fonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius haben Tausende unterschrieben, niemand hat aber darauf reagiert, und jene, die unterschrieben haben, zogen nur die Ungnade der Regierung auf sich«, sagte Priester G. Dovidaitis.

Der Staatsanwalt P. Bagušauskas las dem Priester G. Dovidaitis eine offi­zielle Ermahnung vor, in der für ähnliche Sachen in Zukunft mit der An­wendung von § 143 des StGB gedroht wird. Diese Ermahnung zu unter­schreiben, weigerte sich der Priester G. Dovidaitis ebenfalls. Die Unterre­dung dauerte etwa eine Stunde.

Paberžė (Rayon Vilnius)

Am 15. März 1984 kam der Jurist Olšauskas zu dem Pfarrer von Paberžė, Donatas Valiukonis, und verlas ihm in Beisein einer mitgebrachten Zeugin, die die litauische Sprache überhaupt nicht versteht, eine Verwarnung, in der darauf hingewiesen wird, daß D. Valiukonis am 29. Januar eine hl. Messe im Tor der Morgenröte zelebriert (er leitete den Gottesdienst der Über­gabe des Rosenkranzes — Bern. d. Red.) und damit den § 19 des »Status der religiösen Gemeinschaften« verletzt habe. Der Jurist Olšauskas warnte den Priester, daß die Regierung, falls er damit nicht aufhöre, strengere Maßnahmen anwenden werde. Priester D. Valiukonis stellte klar, daß das Tor der Morgenröte ein Heiligtum des gesamten Litauen sei und alle Prie­ster das Recht hätten, darin zu beten und die hl. Messe zu zelebrieren. Die erwähnten Bestimmungen aber seien mit dem Gewissen eines Priesters unvereinbar, und ein gewissenhafter Priester könne sie nicht einhalten. »Es sind schon neue Bestimmungen in der Vorbereitung, sie werden strenger sein. Wartet nicht auf eine Erleichterung«, erwiderte darauf Olšauskas.

Vilnius

Am Am 15. Februar 1984 wurde das Kirchenkomitee vom Tor der Morgen­röte in das Exekutivkomitee der Stadt Vilnius zusammengerufen. Die Re­gierungsbeamten verlangten, daß die Gottesdienste der Ubergabe des Rosen­kranzes im Tor der Morgenröte nur die Priester der Stadt Vilnius abhalten sollten.

Viduklė

Am 26. Januar 1984 reisten nicht wenige Gläubige aus ganz Litauen nach Viduklė, um dort für das vor einem Jahr verhaftete und im Lager von Perm gefangengehaltene Mitglied des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, den Pfarrer der Pfarrei Viduklė, Priester Alfonsas Svarinskas zu beten. Gegen 10 Uhr morgens stieg am Omnibusbahnhof in Raseiniai ein Milizbeamter in den Linienbus Kaunas — Klaipėda ein und befahl allen, die nach Viduklė fahren wollten, in einen kleineren, etwas abseits stehenden Ortsomnibus umzusteigen. Als sich die Reisenden nach dem Grund dafür erkundigten, erklärte der Beamte, daß ein Diebstahl vorgekommen sei, deswegen müßten alle, die nach Viduklė führen, unter­sucht werden. Ein Raunen ging wie eine Woge durch den ganzen Omnibus: »Ein Diebstahl ist vorgekommen, aber untersucht werden müssen sonder­barerweise nur jene, die nach Viduklė fahren.« Da die Reisenden sich wei­gerten, auszusteigen, wurde der Linienbus mit den Reisenden in die Miliz­abteilung von Raseiniai geschickt. Dort wurde von neuem verlangt, daß jene aussteigen sollten, die nach Viduklė führen. Die Schaffnerin überprüfte die Fahrkarten, und die Leute wurden gezwungen, den Omnibus zu verlassen. Etwa 10 Personen stiegen aus dem Omnibus aus, unter ihnen die Schwester des Priesters Alf. Svarinskas mit ihrem Sohn. Als die Befragung begann, machte der Beamte Matulevičius Notizen aus Personalausweisen und fragte, zu welchem Zweck die Angehaltenen nach Viduklė fahren wollten. Eine ähnliche Untersuchung führte auch der Milizvorsteher von Raseiniai durch; in seinem Arbeitszimmer wurden die Handtaschen der Frauen durchsucht. Aus dem Arbeitszimmer des Vorstehers wurden die Leute einzeln in ein anderes Zimmer geführt. Hier sagte einer der Mitarbeiter der Miliz, daß an »dieser Komödie« die Miliz nicht beteiligt sei. Er erklärte, daß die Orts­verwaltung sich schon lange Kopfzerbrechen machte, was man »mit dem Jahrestag der Verhaftung des Priesters Alf. Svarinskas machen soll«. Gegen 13 Uhr kam endlich der Vorsteher und ließ die Leute frei. Die Entlassenen beschlossen, ihr Reiseziel Viduklė doch zu erreichen und dort für den Prie­ster Alf. Svarinskas zu beten. Am Omnibusbahnhof fragten die Passanten einander, was geschehen sei, weil man nicht nach Viduklė kommen könne: die Personenautos würden unterwegs angehalten, überall stünden Miliz­männer.

An diesem Tag versammelten sich in der Kirche zu Viduklė die Pfarrkinder und die Gäste aus verschiedenen Ortschaften Litauens, um für den ver­hafteten Priester zu beten. Um 13 Uhr konzelebrierten 9 Priester am Hoch­altar eine hl. Messe. Auch der Priester Leonas Kalinauskas sprach kurz zu den Gläubigen. Er unterstrich in seiner Ansprache die Pflicht, für die Ge­fangenen zu beten, und erinnerte die Versammelten an die Weihnachtsvisite des Papstes Johannes Paul II. und seine Gespräche mit den Gefangenen. Nach der hl. Messe wurden die Kreuzwegstationen in der Kirche gegangen, die der Priester Petras Našlėnas leitete.

Am Sonntag, dem 29. Januar 1984, fand in Viduklė abermals ein Gottes­dienst zum Jahrestag der Verhaftung des Priesters Alf. Svarinskas statt. Da die Leute fürchteten, daß sie während des Gottesdienstes die Zeit in der Milizabteilung verbringen müssen, kamen sie schon am frühen Morgen nach Viduklė. Als sich viele Einwohner von Šiauliai die Fahrkarten nach Viduklė gekauft hatten, wurde der Omnibus der Linie Šiauliai — Kaunas aus dem Fahrplan herausgenommen.

Um sich aufzuwärmen und für die Heimreise zu stärken, gingen ein Teil der Jugend, die Verwandten und Bekannten des Priesters Alf. Svarinskas nach dem Hochamt zu der früheren Haushälterin des Priesters Alf. Sva­rinskas, Monika Gavėnaitė. Kaum hatten sie mit dem Mittagessen begonnen, als schon die Miliz und der Sicherheitsdienst in das Häuschen von Monika

Gavėnaitė eindrang. Darunter waren auch der Ortsvorsitzende Kringeiis, der Lehrer Mockus, die Milizbeamten Butkus und Mackevičius. Es begann unter der Maske der Paßkontrolle und der Feststellung der Personalien ein in Litauen üblicher Terrorprozeß gegen die Gläubigen. Jene, die ihr Pässe nicht bei sich hatten, brachten die Milizmänner in die Milizabteilung. Damit beim Abführen in die Autos der Beamten keiner auf den Gedanken käme, abzuhauen und sich zu verstecken, spazierten auch auf den benachbarten Anwesen Milizmänner umher. Einer der »Verbrecher« war erst 4 Jahre alt. Die Einwohner von Viduklė, die diese Prozedur beobachteten, beteten am Kirchhof weinend laut den Rosenkranz.

Kapsukas (früher Marijampolė)

Am 28. Januar 1984 kam gegen 17 Uhr eine kleine Gruppe Kinder und Jugendliche aus Kybartai in das Haus der Einwohnerin von Kapsukas, Algų la, Genovaitė Navickaitė. (An dem Tag versammelte sich die Jugend aus ganz Litauen in Marijampolė, um am Sarkophag des Erzbischofs Jurgis Matulevičius zu beten). Die Kinder baten um Erlaubnis, sich aufzuwärmen, weil sie auf der Reise gefroren hatten und bis zur hl. Messe noch ein paar Stunden Zeit geblieben war. Die Kinder hatten sich noch nicht richtig auf­wärmen können, als schon eine Schar uniformierter Milizmänner und Be­amte in Zivil in das Haus eindrangen. Ohne sich der Hauseigentümerin vorgestellt zu haben, verlangten die Beamten, man solle zeigen, wo sich irgendwelche von der Schule davongelaufene Kinder befänden. Sie befahlen, die Zimmertüre aufzusperren; die Hausfrau hatte aber keine Schlüssel dazu. Dann brachen die Beamten die Tür auf und drangen in das Zimmer ein, in dem die Kinder und die Jugendlichen ganz ruhig saßen. Die eingedrunge­nen Beamten notierten die Namen der Kinder, gingen durch die Zimmer, schauten das Badezimmer und den Abstellraum an. Als sie eine Schreib­maschine gefunden hatten, griffen sie die Hauseigentümerin G. Navickaitė an: »Wo haben Sie sie bekommen? Ist sie angemeldet? Haben Sie Dokumente dazu? Was machen Sie damit?« Sie stellten sofort ein Protokoll zusammen und zwangen G. Navickaitė, zu unterschreiben. Da sie sich aber weigerte, unterzeichneten die Sicherheitsbeamten selber. Nachher entdeckten sie noch eine Schreibmaschine. Mit dem Fund noch nicht zufrieden, suchten die Sicherheitsbeamten nach den Taschen, Handtaschen und Säcken von G. Navickaitė wie auch der anderen Einwohner des Hauses. Die Bücher reli­giösen Inhalts, die sie gefunden hatten, trugen sie in ein Sonderprotokoll ein. Die Beamten drohten G. Navickaitė, daß sie wieder in einem Lager landen werde, wenn sie auch weiterhin ein solches Leben führe. Nachdem die Beamten die ganze Habe verladen hatten und die Kinder in einem extra für sie bestellten Autobus verfrachtet waren, fuhren sie in die Abteilung für innere Angelegenheiten der Stadt Kapsukas. Hier wurden die Kinder unter Aufsicht der Milizbeamten gehalten und eins nach dem anderen in verschiedene Arbeitszimmer gerufen, wo ihre Namen, Wohnorte und die Arbeitsstellen der Eltern noch einmal aufgeschrieben wurden. Der Miliz­hauptmann Jotauta und auch die anderen Beamten ängstigten die Kinder auf verschiedene Weise, erlaubten ihnen nicht, zu singen und sagten dabei, daß sie schon bald heulen würden. Niemand fand es der Mühe wert, den Festgehaltenen zu erklären, warum sie hier seien, wessen man sie beschul­dige und wie lange man sie noch festhalten werde. Gegen 22 Uhr war die Befragung beendet, und die Beamten teilten mit, daß die Kinder erst dann nach Hause fahren dürften, wenn ihre Eltern angekommen seien. Auf diese Weise saßen sie in der Miliz bis 24 Uhr nachts, manche sogar bis halb zwei Uhr (bis die Eltern kamen). Den angekommenen Eltern wurde befohlen, Rechtfertigungen zu schreiben. Diese aber verweigerten dies und verlangten, daß ihnen schriftlich erklärt werde, was dies alles bedeute: warum ihre Kinder angehalten worden seien, warum ihnen nicht erlaubt sei, mit Wissen der Eltern in eine fremde Kirche oder zu Besuch irgendwo hinzugehen, aus welchem Grund man die Kinder geängstigt und bis in die Nacht in der Miliz festgehalten habe. Die Beamten verteidigten sich, daß sie nichts wüßten, die Vertreter der Kommunistischen Partei hätten ihnen befohlen, so zu handeln.

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Genovaitė Navickaitė setzte wegen der unberechtigten Aktion der Beamten eine Erklärung an den Staatsanwalt Litauens auf, deren Kopie sie an den Staatsanwalt der Stadt Kapsukas schickte. In der Erklärung schilderte G. Navickaitė die Umstände, unter denen ihre Sachen mitgenommen wurden: eine Schreibmaschine »Optima«, die Bücher »Knyga vienuolėms« (»Ein Buch für die Ordensfrauen«), »Vienuolio gyvenimo esmė« (»Das Wesen des Lebens eines Mönches«), zwei kleine Broschüren religiösen Inhalts. Sie ver­langte, ihr alle Sachen zurückzugeben.

Am 3. Februar 1984 kam der Staatsanwalt der Stadt Kapsukas zu G. Na­vickaitė ins Haus, um die Fakten zu überprüfen. Er betrachtete das aufge­brochene Türschloß und schaute die Zimmer an; nachher setzte er ein Pro­tokoll auf und ging wieder, nachdem er erklärt hatte, daß es noch nicht klar sei, wie das alles ausgehen werde.

Am 13. Februar 1984 wurde G. Navickaitė in die Miliz der Stadt Kapsukas vorgeladen, wo man ihr mitteilte, daß gegen sie ein Administrativprozeß eröffnet sei. Deswegen müsse sie eine Stellungsnahme schreiben. G. Na­vickaitė weigerte sich, die Stellungnahme zu schreiben mit der Begründung, daß sie kein Verbrechen begangen habe und deswegen nicht verstehe, wes­wegen sie bestraft werden sollte. Dann setzten die Beamten ein Protokoll auf und befahlen ihr, es zu unterschreiben. Im Protokoll waren die Ereig­nisse vom 28. Januar ganz entgegengesetzt zur Wahrheit aufgeschrieben: »Die Tür hat niemand aufgebrochen, sondern sie ist nach einem kräftigen Zug von selbst aufgesprungen, die Hauseigentümerin G. Navickaitė belei­digte die Milizbeamten und die mit ihnen angekommenen Lehrer...« Ein solches Protokoll unterschrieb G. Navickaitė nicht. Der Milizhauptmann Jotauta begann sie anzuschreien und ihr zu drohen, daß sie viel werde leiden müssen, wenn sie nicht unterschreibe. Nachdem man sie durch einige Ar­beitszimmer geführt hatte, brachten die Beamten G. Navickaitė zu einer Richterin, die sich erkundigte, warum sie am 28. Januar 17 Kinder und Jugendliche in ihrem Haus aufgenommen habe. Nach der Begründung, daß die Kinder sich hätten aufwärmen und ausruhen wollen, erwiderte die Rich­terin streng, man hätte sie hinausjagen müssen und verurteilte G. Navickaitė zu 10 Tagen Arrest.

Die Zelle, in der G. Navickaitė ihre Strafe verbüßen mußte, war nicht groß und ohne jegliche Lüftung. Tageslicht gab es in der Zelle überhaupt nicht. Oben über der Tür befand sich eine Tag und Nacht grell leuchtende elek­trische Lampe. Die Toilette war in der Zelle selbst eingerichtet. In der Zelle herrschte eine unmenschliche Hitze und Schwüle. In derselben Zelle saßen mit ihr manchmal zwei, manchmal auch drei weibliche Kriminelle, die un­unterbrochen rauchten. Untertags wurde Navickaitė fast nicht zur Arbeit geführt, deswegen war sie gezwungen, in der ungelüfteten Zelle zu sitzen. Für die Nacht bekam sie weder etwas zum Unterlegen, noch zum Zudecken. Schlafen mußte man auf dem eigenen Mantel als Unterlage. Morgens und abends mußte man die Arbeitszimmer reinigen. Die Milizmänner verspotte­ten G. Navickaitė einige Male, indem sie sagten: »Na, das ist hier etwas anderes als die Kirche waschen.« Oft verspotteten sie sie auch in der Zelle, und an Sonntagen wurde ihr zur Zeit des Hochamtes befohlen, die Fenster der Arbeitszimmer zu putzen.

Am 23. Februar, als die Arrestzeit vorbei war, warnte der Untersuchungs­beamte G. Navickaitė, daß sie mit einigen Jahren Gefängnis bestraft werde, wenn sie noch einmal den Milizbeamten die Türe nicht öffne.

Am 24. Februar 1984 bekam G. Navickaitė ein Schreiben mit folgendem Inhalt:

»Auf Ihre Erklärung, gerichtet an den interregionalen Staatsanwalt von Kapsukas wegen der ungerechten Aktion der Mitarbeiter der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Kapsukas teilen wir Ihnen mit: Auf die Eröffnung eines Strafprozesses gegen die Mitarbeiter der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Kapsukas wurde verzichtet, weil in ihren Aktionen keine Bestandteile eines Vergehen zu finden sind. Der Stellvertreter des interregionalen Staatsanwaltes von Kapsukas, Jurist der I. Kl. R. Januška.

Šilalė

Im Sommer 1982 starb der Vater des Leiters der Bildungsabteilung des Rayons Šilalė, Lileikis. Da der Verblichene gläubig war, wurde er nach seinem Willen katholisch beigesetzt. Auch der Sohn des Verstorbenen, der Leiter der Bildungsabteilung, Lileikis, nahm an allen religiösen Zeremonien teil. Wegen dieses »groben Vergehens« wurde er aus seinem Amt in der Bildungsabteilung entlassen. Später wurden auch jene Direktoren der Schu­len des ganzen Rayons vernommen, die zu Ehren des Verstorbenen Kränze zur Beerdigung mitgebracht und den Sarg getragen hatten.

Kaunas

Im Jahre 1983 war der Direktor der 26. Mittelschule zu Kaunas, Jančiaus­kas, als Brautwerber zu einer Hochzeit eingeladen. Auch in der Kirche, wo das Sakrament der Ehe gespendet wurde, war der Brautwerber dabei. We­gen dieses »Verbrechens« verlor der Direktor Jančiauskas seine Direktoren­stelle. In das Arbeitsbüchlein wurde eingetragen: »Wegen seines unmorali­schen Betragens aus der Arbeit entlassen.«

Labūnava (Rayon Kėdainiai)

Im November 1983 kam in das Pfarrhaus der Pfarrei Labūnava der Vor­sitzende dieser Ortschaft, Žukauskas, und verlangte die Schlüssel der Kirche. An diesem Tag war der Pfarrer, Priester Steponas Pilka, nicht zu Hause. Eine alte Frau, die das Amt der Glöcknerin versieht, nahm die Schlüssel und ließ den Vorsitzenden in die Kirche. Der Vorsitzende Žukauskas ging zum Staunen der Glöcknerin zur Anzeigetafel, riß das Bild des Priesters Alf. Svarinskas mit einer kurzen Lebensbeschreibung ab und verließ die Kirche wieder.

Kabeliai (Rayon Varėna)

In den Monaten Januar und Februar 1984 wurde dem Vater des Pfarrers von Kabeliai, des Priesters Vytautas Pūkas, der sich in Druskininkai in Heil­behandlung befindet, die Pension entzogen, weil er seinem Sohn während der hl. Messe ministriert hat. Erst nach einer Klage an die Abteilung für Sozialfürsorge wurde die einbehaltene Pension ausbezahlt.