An den Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow Abschriften an die Bischöfe Litauens.

Erkärung der Priester und der Gläubigen Litauens.

Vor 26 Jahren ist der Apostolische Administrator der Erzdiözese Vilnius, Bischof Julijonas Steponavičius, auf Anordnung der Organe der sowje­tischen Regierung aus Vilnius verbannt und zwangsweise außerhalb der Grenzen der Erzdiözese in Žagarė untergebracht worden. Der Bischof wurde deswegen bestraft, weil er die Cañones der Kirche eingehalten hat, weil er sich weigerte, ungeeignete Kandidaten zu Priestern zu weihen, weil er nicht einverstanden war, in seinem eigenen Namen den Priestern zu ver­bieten, eine ihrer wichtigsten Pflichten zu erfüllen - die Kinder zu kate-chisieren - und die Minderjährigen vom Altar und von Prozessionen fern­zuhalten. Das zu tun, hat von ihm die damalige Zivilregierung verlangt. Wegen Nichterfüllung dieser Forderungen wurde der Bischof von der Zivil­regierung ohne gerichtliche Verhandlung mit einer unbegrenzten und im Strafgesetzbuch nicht vorgesehenen Strafe belegt. Diese ungerechte Ent­scheidung ist auch heute, in der Zeit der „Glasnost" und der „Perestroika", noch wirksam. Das Akademiemitglied Sacharow, der ähnlich bestraft worden war, ist schon aus seiner Verbannung in Gorki entlassen worden, Bischof J. Steponavičius aber wird auch heute noch in der Verbannung in Zagare gehalten.

Wir bitten Sie, Generalsekretär, veranlassen zu wollen, daß es Bischof J. Steponavičius erlaubt wird, nach Vilnius zurückzukehren und ungehin­dert sein Amt als Bischof der Erzdiözese Vilnius auszuüben.

Wir bitten Sie ebenfalls, daß die inhaftierten Priester A. Svarinskas, S. Tamkevičius und J. K. Matulionis entlassen werden. Sie sind allein des­wegen verurteilt worden, weil sie die in unserer Gesellschaft vorliegenden schmerzlichen Übel, die Mißachtung der konstitutionellen Grundrechte der Bürger, den Alkoholismus und die sich ausbreitende Gewissenlosigkeit an die Öffentlichkeit brachten. Heute wird dazu aufgefordert, dieselben Übel öffentlich anzuprangern. Heute wird niemand, der sie vor die Öffent­lichkeit bringt, bestraft. Ein schmerzvoller Gegensatz: wegen derselben Kühnheit werden Priester in Gefängnissen gehalten.

Wir bitten Sie, Generalsekretär, auch in dieser Angelegenheit Anweisun­gen zu geben, die Prozeßakten der inhaftierten Priester zu überprüfen und sie in die Freiheit zu entlassen.

Es unterschrieben:

in Pakruojis        - 654

in Viduklė        -   46 (zusätzlich)

in Žagarė        -1003

in Žemaičių Kalvarija        - 586

in Marijampolė        - 2427 (zusätzlich)

in Vilnius, St. Nikolai-Kirche        -1041 (zusätzlich)

in Garliava        - 954

in Balbieriškis        - 932

in Simnas        -4490

in Griškabūdis        -1677

in Lazdijai        -2790

in Kriokialaukis        - 851

in Slavikai        - 870

in Merkinė        -1064

in Alksnėnai        - 666

in Pivašiūnai        - 5560

in Rietavas        - 1115

in Gargždai        - 658

in Liudvinavas        - 856

P.S. Insgesamt haben diese Erklärung 75000 Gläubige unterschrieben. An die Redaktion der „Tiesa"

Abschriften: An die Bischöfe der Katholischen Kirche Litauens und Verwalter der Diözesen.

Verehrte Redaktion!

Am 6. August d.J. wurde in der Zeitschrift „Tiesa" („Die Wahrheit") eine Antwort von P. Anilionis, dem Bevollmächtigten des Rates beim Minister­rat der UdSSR für Angelegenheiten der Religionen in der LSSR, auf einen Brief von V. Kazalauskas „Warum lebt der Bischof in Žagarė" abgedruckt.

p. Anilionis, der die Zivilregierung wegen meiner Verbannung aus Vilnius nach Žagarė zu rechtfertigen versucht, schreibt, daß der Rat für Angelegen­heiten der Religionen mir die Anmeldungsbescheinigung zur Leitung der Erzdiözese Vilnius für unbestimmte Zeit widerrufen habe, und daß mich die Leitung der Katholischen Kirche Litauens, und zwar der damalige Ver­walter der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis, Kanonikus Juo­zapas Stankevičius, nach Žagarė versetzt habe, dessen am 26. Januar 1961 geschriebene Mitteilung an den Bevollmächtigten über meine Ernennung zum Benefiziant mit Lebensunterhalt für Žagarė er als Beweisstück vorlegt. Nach Meinung von R Anilionis hat mich also nicht die weltliche Regierung meines Amtes als Apostolischer Administrator der Erzdiözese Vilnius ent­hoben und nach Žagarė verbannt, sondern die geistliche Führung hat mich aus Vilnius nach Žagarė versetzt.

Da diese Behauptung R Anilionis' nicht der Wahrheit entspricht und irre­führend ist, fühle ich mich verpflichtet, den wahren Grund meiner Verban­nung und ihren Verlauf anzugeben...

1. Am 4. Januar 1961 rief mich der damalige Bevollmächtigte für religiöse Kulte, J. Rugienis, an, bat mich, in seinen Amtssitz zu kommen und die vom Bevollmächtigten ausgestellte Anmeldungsbescheinigung mitzubrin­gen. Als ich bei ihm eintraf, nahm er mir die Anmeldungsbescheinigung ab und erklärte mir, daß ich durch einen Beschluß des Ministerrates der LSSR meines Amtes als Apostolischer Administrator der Erzdiözese Vilnius ent­hoben sei und nach Žagarė im Rayon Joniškis versetzt würde. Meiner Bitte, er möge mir eine Abschrift des Beschlusses des Ministerrates der LSSR geben oder ihn mir wenigstens vorlesen, weigerte er sich zu entspre­chen und bot mir stattdessen eine vom Bevollmächtigten des Rates für Angelegenheiten der religiösen Kulte ausgestellte Anmeldungsbescheini­gung an, die meine Anmeldung als Benefiziant der Kirche von Žagarė bestätigt. Als ich die Annahme der angebotenen Anmeldungsbescheini­gung verweigert hatte, indem ich dem Bevollmächtigten erklärt hatte, daß die Behörde des Bevollmächtigten solche Anmeldungsbescheinigungen nur dann ausstellen kann, wenn sie eine Mitteilung vom Bischof oder Verwalter der Diözese über die Ernennung eines Priesters erhalten hat, sagte der Bevollmächtigte zu mir, wenn eine Ernennung vom Verwalter, Kanonikus J. Stankevičius, nötig sei, dann werde sie auch besorgt. Als er aber bei dem Verwalter Kanonikus J. Stankevičius vorsprach, um für mich eine Ernen­nung nach Žagarė zu bekommen, bekam er sie nicht, denn der Verwalter hat zu ihm gesagt, daß er für mich keine Ernennung ausstellen dürfe, weil er dafür keine Befugnis habe. Um mich so schnell wie möglich aus Vilnius verbannen zu können, griff der Bevollmächtigte J. Rugienis daraufhin zu administrativen Mitteln, indem er meinen Fall der Miliz und den Sicher­heitsorganen übergab. Die Miliz meldete mich ab, und im Sicherheits­dienst wurde mir unmißverständlich gesagt, daß ich das Amt des Apostoli­schen Administrators der Erzdiözese Vilnius nicht mehr ausüben dürfe und daß ich unverzüglich Vilnius verlassen und mich an den für mich bestimmten Verbannungsort Žagarė begeben müsse. Außerdem drohten mir die Sicherheitsbeamten damit, daß ich im Falle einer Verzögerung des Umzugs aus Vilnius nach Žagarė, so nach Žagarė gebracht würde, wie der Erzbischof Teofilius Matulionis nach Šeduva gebracht wurde. Vom Bevoll­mächtigten des Rates für Angelegenheiten der Kulte von meinem Amt als Apostolischer Administrator der Erzdiözese Vilnius entfernt, von der Miliz abgemeldet und unter Drohungen des Sicherheitsdienstes, mich zwangs­weise aus Vilnius nach Žagarė umzusiedeln, von der Zivilregierung gezwungen, zog ich am 18. Januar 1961 von Vilnius nach Žagarė um, wo ich mein Verbanntenleben begann. In Žagarė bezog ich eine mir vom Bevoll­mächtigten zugewiesene Wohnung, über die sich der Bevollmächtigte und der Vorsitzende des Rayonexekutivkomitees von Joniškis schon vorher einig geworden waren. Diese von R Anilionis gepriesene kommunale Drei-Zimmer-Wohnung mit einer Fläche von 34 qm befindet sich in einem bau­fälligen Haus, ohne Komfort, ohne fließendes Wasser, ohne Bad, ohne WC und ohne Zentralheizung. Kaum war ich in Žagarė eingetroffen, wurde ich schon in das Exekutivkomitee von Žagarė vorgeladen, wo mir die Woh­nungszuweisung überreicht und gesagt wurde, ich hätte mich unverzüglich anzumelden. Da ich aber wußte, daß ich ohne Ernennung durch die geist­liche Obrigkeit und ohne Anmeldungsbescheinigung des Bevollmächtigten für religiöse Kulte nicht angemeldet werden würde und mir ohne Anmel­dung eine Administrativstrafe auferlegt oder sogar ein Gerichtsverfahren gegen mich eingeleitet werden könnte, und weil ich andererseits als Geist­licher in der Kirche von Žagarė wirken wollte, wandte ich mich mit einem Brief vom 23. Januar 1961 an den Verwalter der Erzdiözese Kaunas, Kano­nikus J. Stankevičius, und bat ihn, mir als Geistlichem eines fremden Bistums, Vollmachten zu erteilen und nach seinem Gutdünken eine Ernennung als Benefiziant oder Resident von Žagarė auszustellen sowie eine vom Bevollmächtigten für Angelegenheiten der religiösen Kulte aus­gestellte Anmeldungsbescheinigung zu besorgen. Von dem Verwalter Kanonikus J. Stankevičius bekam ich daraufhin am 26. Januar 1961 ein Schreiben folgenden Inhalts:

„Eure Exzellenz, Ihrem Wunsch vom 23. Januar 1961 entsprechend, ernen­nen wir Sie, Exzellenz, zum Benefizianten mit Lebensunterhalt von Žagarė und erteilen Ihnen die Vollmacht, alle Pflichten eines Geistlichen auf dem Territorium der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis auszu­üben." Kurz darauf stellte die Kurie der Erzdiözese Kaunas mir auch die am 27. Januar 1961 vom Bevollmächtigten für religiöse Angelegenheiten ausgestellte Anmeldungsbescheinigung zu.

Aus dem also, was eben gesagt wurde, ist klar, daß mich nicht die Führung der Katholischen Kirche nach Žagarė versetzt hat, wie P. Anilionis schreibt, sondern die Zivilregierung mich verbannt hat. Die auf meinen Wunsch von Verwalter Kanonikus J. Stankevičius am 26. Januar 1961 ausgestellte Ernen­nung zum Benefizianten von Žagarė war nicht meine Versetzung nach Žagarė, sondern eine mir, als bereits Verbanntem, erwiesene Gefälligkeit, damit ich mich am Ort der Verbannung anmelden kann und in der Kirche von Žagarė das Amt eines Geistlichen ausüben darf.

2. In dieser Antwort von P. Anilionis können wir lesen:

„Bischof Julijonas Steponavičius verletzte die Gesetze und reagierte nicht auf die ihm erteilten Verweise, als er noch das Amt des Apostolischen Administrators innehatte." Welche Gesetze ich verletzt haben soll, kann P. Anilionis konkret nicht angeben. Weil P. Anilionis sich wahrscheinlich anschickt, durch seine Aussage die Schuld von der Zivilregierung abzuwäl­zen, die mich verbannt hat, und die Öffentlichkeit zu irritieren, die die Ursache meiner Verbannung nicht kennt, erkläre ich, daß ich meines Amtes als Apostolischer Administratior der Erzdiözese Vilnius nicht wegen der Verletzung der Gesetze enthoben und nach Žagarė verbannt wurde, sondern wegen meiner Weigerung, die kirchlichen Gebote und die Caño­nes des kirchlichen Rechts zu verletzen. Dies bestätigten auch die Beamten des Sicherheitsdienstes, zu denen ich vor meiner Verbannung vorgeladen worden bin. Als die Sicherheitsbeamten mich aufgefordert hatten, so schnell wie möglich Vilnius zu verlassen und nach Žagarė umzuziehen, fragte ich sie, wegen welcher Vergehen ich bestraft würde, welches Ver­brechen ich begangen hätte. Wenn ich die Gesetze des Staates verletzt haben sollte, dann solle doch die sowjetische Regierung gegen mich einen Prozeß eröffnen und mich vor Gericht stellen. Darauf sagten sie zu mir, die ganze Sache sei so, daß es angeblich keinen Grund gebe, gegen mich einen Strafprozeß zu eröffnen; das Schlimmste sei, daß man mit mir nicht einig werden könne, denn ich sei angeblich nicht bereit, die Anordnungen und Forderungen der Regierung zu erfüllen, die mir vom Bevollmächtigten übermittelt würden.

Die gestellten Forderungen und Anordnungen waren folgende:

- Den Priestern zu verbieten, die Kinder im Katechismus zu unterrichten, die sich zur ersten Beichte und zur ersten hl. Kommunion vorbereiten;

- zu verbieten, die schon vorbereiteten Kinder gruppenweisse zu über­prüfen, indem man nur ihre individuelle Überprüfung zuläßt;

- zu verbieten, daß Minderjährige an liturgischen Bräuchen teilnehmen: den Knaben, während der hl. Messe zu ministrieren, und den Mädchen, an Prozessionen teilzunehmen und Blumen zu streuen;

- den Priestern zu verbieten, für die Gläubigen Exerzitien vorzubereiten, Priester zur Aushilfe ohne Erlaubnis der Rayonverwaltung zu Ablaßfeier­lichkeiten einzuladen, ihre Gläubigen zur Weihnachtszeit zu besuchen, sich mit anderen Priestern in größerer Zahl an einem Ort zu treffen, um Exerzitien für die Priester abzuhalten:

- diejenigen Priester, denen der Bevollmächtigte die Anmeldungsbescheini­gung entzogen hat, ohne eine Pfarrgemeinde zu belassen und ihnen die Ausübung des priesterlichen Amtes zu verbieten;

- allen vorgestellten Kandidaten die Priesterweihe zu spenden.

Der Bevollmächtigte forderte mich auf, alle diese Verordnungen schriftlich den Priestern mitzuteilen, obwohl er selbst mich nur mündlich in Kenntnis gesetzt hatte. Außerdem drohte er noch dazu, daß die Priester, die die Anordnungen nicht befolgen, bestraft würden, und der Bischof seines Amtes enthoben werde, wenn er nicht behilflich sei, diese Forderungen durchzusetzen.

Da diese Anweisungen den Cañones des kirchlichen Rechts sowie der Synodalverfassung der Erzdiözese und meinem bischöflichen Gewissen widersprechen, habe ich, ungeachtet der Drohungen des Bevollmächtigten, es abgelehnt, den Priestern diese Anweisungen bekanntzugeben. Denn eine Weigerung, Anweisungen zu befolgen, die das religiöse und kirchliche Leben zerstören, ist genausowenig eine Verletzung der Gesetze wie die Verteidigung der Rechte der Kirche, der Gläubigen und meiner eigenen Rechte, weil der Artikel 50 der Verfassung der SSR Litauen den Bürgern Gewissensfreiheit garantiert, das heißt das Recht, sich zu einer beliebigen Religion zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben.

3. Schließlich möchte ich auf die unwahre Behauptung P. Anilionis' hin­weisen, daß Papst Johannes Paul II. im Jahre 1981 eine Entscheidung getroffen habe, mich zum Apostolischen Administator der Diözese Kaišia­dorys zu ernennen. Um seine Behauptung begründen zu können, verwen­det P. Anilionis den Auszug eines Briefes, den der Rat für öffentliche Angelegenheiten der Kirche an Bischof L. Povilonis geschickt hat. Dieses Schreiben des Rates für öffentliche Angelegenheiten der Kirche ist ein Dokument einer Abteilung des Vatikans, die auf Anordnung des Papstes die Vörbereitungsarbeiten zu Ernennung und Versetzung der Bischöfe aus­führt. Deswegen wurde in dem Brief, der nicht nur Bischof L. Povilonis, sondern auch mir zugeschickt wurde, mitgeteilt, daß der Heilige Vater beschlossen habe, mich zum Administrator der Diözese Kaišiadorys zu ernennen: es wurde aber auch daraufhingewiesen, daß ich durch Bischof L. Povilonis dem Rat für öffentliche Angelegenheiten der Kirche mitteilen solle, ob ich diese Ernennung annehme. Ohne zu zögern, schrieb ich zwei Briefe: Einen direkt an den Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche, den zweiten an Bischof L. Povilonis.

In meinen Schreiben bedankte ich mich beim Heiligen Vater für die erhal­tene Möglichkeit, wieder in den Bischofsdienst zurückkehren zu dürfen und bat ihn darum, er möge mich nicht zum Apostolischen Administrator, sondern zum Ordinarbischof der Diözese Kaišiadorys ernennen. Da zu jener Zeit Anstrengungen unternommen wurden, vom Hl. Vater Bischofs­ernennungen für drei von der Zivilregierung vorgeschlagene Kandidaten zu bekommen, bat ich den Hl. Vater, die Zurückführung der amtsbehinderten Bischöfe, Bischof V. Sladkevičius' und meine, nicht mit der Ernennung der neuen Bischöfe zu verknüpfen, sondern zuerst den amtsbehinderten Bischöfen, durch Ernennung des Hl. Vaters für eine beliebige Diözese Litauens, zu ermöglichen, in ihr Amt zurückzukommen, und erst dann Verhandlungen wegen der Ernennung der neuen Bischöfe zu führen. Es scheint, daß es nicht gelungen ist, die Wiedereinführung der amtsbehin­derten Bischöfe in ihr Amt von der Ernennung der von der Zivilregierung vorgeschlagenen Kandidaten für das Bischofsamt zu trennen, deswegen wurden auch weder die amtsbehinderten Bischöfe wieder in ihr Amt einge­führt, noch die neuen Bischöfe ernannt. Erst später, als der Apostolische Stuhl 1982 einverstanden war, den zum Bischof der Diözese Telšiai vorge­schlagenen Kanditaten zu ernennen, wurde dem seines Amtes enthobenen Apostolischen Administrator der Diözese Kaišiadorys, Bischof V. Sladkevi­čius, erlaubt, in seine Diözese zurückzukehren. Über meine Rückkehr in das Amt des Apostolischen Administrators der Erzdiözese Vilnius will P. Anilionis entweder überhaupt nicht reden, oder er gibt ähnliche Antwor­ten, wie die in der „Tiesa" vom 6. August d. J. abgedruckten.

Nach meinem Schreiben an den Rat für öffentliche Angelegenheiten der Kirche über meine Ernennung durch den Hl. Vater nach Kaišiadorys und nachdem ich keine vom Hl. Vater unterzeichnete Ernennungsurkunde bekommen habe, fühlte ich mich nicht des Ungehorsams dem hl. Stuhl gegenüber für schuldig, obwohl P. Anilionis es so hinstellt. Ähnliche Schreiben des Rates für öffentliche Angelegenheiten der Kirche haben auch Bischof V. Sladkevičius und auch alle drei für das Bischofsamt vor­geschlagenen Kandidaten erhalten, die nicht zu Bischöfen ernannt wurden. Wird der Bevollmächtigte P. Anilionis, unter Verwendung der ihnen vom Rat für öffentliche Angelegenheiten zugeschickten Schreiben, nicht auch ihnen Ungehorsam dem Vatikan gegenüber unterstellen?

Wenn der Apostolische Stuhl in meinem Verhalten im Laufe der Verhand­lungen um meine Rückkehr in das Bischofsamt einen Ungehorsam gese­hen hätte, dann hätte er mir eine entsprechende Strafe auferlegt und mich z. B. meines Amtes als Apostolischer Administrator der Erzdiözese Vilnius enthoben. Dies wurde jedoch nicht getan, denn ich werde jedes Jahr im Verzeichnis der Bistümer und der Bischöfe der ganzen Welt („Annuario Pontificio") als (verhinderter - impedito) Apostolischer Administrator der Erzdiözese Vilnius geführt. Nur P. Anilionis hat im Jahre 1985 bei der Zensur des Kalenders der Katholiken angeordnet, daß neben meinem Namen im Kalender der Titel „Apostolischer Administrator der Erzdiözese Vilnius" nicht aufgeführt werden darf.

Man muß sich wundern, daß in der Zeit der Offenheit, wo viel über die Korrektur von Fehlern und Gutmachung erlittener Kränkungen gesprochen und geschrieben wird, in Ihrer Zeitschrift eine der Wahrheit nicht entsprechende und die Leser irreführende Äußerung von P. Anilionis veröffentlicht wurde. Man bekommt den Eindruck, daß P. Anilionis, durch die Veröffentlichung dieser Erklärung, die Verantwortung für meine Ver­bannung von der Zivilregierung abwälzen und mich zum Verbrecher stem­peln will. Mißbraucht P. Anilionis durch dieses Benehmen eigentlich nicht seine dienstliche Stellung, indem er Desinformationen verbreitet?

Um das von P. Anilionis mir zugefügte moralische Unrecht wiedergut­zumachen, bitte ich die verehrte Redaktion, diesen meinen Brief in ihrer Zeitschrift zu veröffentlichen.

Hochachtungsvoll Bischof Julijonas Steponavičius

Žagarė, am 8.9.1987.

*

An den Generalsekretär der Kommunistischen Partei der UdSSR Michail Gorbatschow,

den Vorsitzenden des Rates für Religionsangelegenheiten K. Chartschow,

den Ministerrat der LSSR.

den Bischof von Telšiai A. Vaičius.

 

Erklärung

der religiösen Gemeinschaft der Katholiken der Stadt Klaipėda.

Wir freuen uns, Generalsekretär, daß durch Ihre Politik der Gerechtigkeit und der Demokratisierung einer Anordnung des Zentralkomitees zufolge uns die Kirche der „Königin des Friedens" von Klaipėda, die wir auf unsere Kosten errichtet haben und die uns 1961 auf Anordnung N. Chrusch­tschows weggenommen wurde, wieder zurückgegeben wird. Wir bitten Sie, auf die Beamten unserer Republik, die diese Frage bearbeiten, einwirken zu wollen, daß die Frage der Rückgabe so schnell wie möglich erledigt wird, weil wir uns immer noch in dem kleinen Kirchlein, das eine Fläche von nur 214m2 hat, abtun müssen; wir sind gezwungen, draußen zu stehen, und drinnen fallen die Leute aus Mangel an Luft in Ohnmacht. Deswegen bitten wir Sie:

1.     Belassen Sie uns auch das jetzige Kirchlein, weil die Kirche der „Königin des Friedens" nur eine Fläche von 1500 m2 hat, und deswegen werden wir auch darin noch zu wenig Platz haben. Im Jahre 1954, als die Genehmi­gung zur Errichtung der Kirche erteilt wurde, hatte Klaipėda nur etwa 80000 Einwohner, jetzt sind es aber schon über 203000. Kleinere Städte wie Telšiai, Panevėžys, Šiauliai haben je zwei Kirchen, zwei religiöse Gemeinschaften und zwei Kirchenkomitees. Wird das jetzige Kirchlein geschlossen, werden die Gläubigen wieder nicht zufrieden sein, denn nie­mand will auf der Straße stehen bleiben, und sie werden um das Kirchlein kämpfen.

2.     Gestatten Sie uns, sofort eine religiöse Gemeinschaft der zurückgegebe­nen Kirche der „Königin des Friedens" zu bilden und das Kirchenkomitee bestätigen zu lassen. Komitee und Pfarrer des jetzt tätigen Kirchleins sind durch Arbeit und Sorgen um die Betreuung der Gläubigen vollkommen überlastet. Deswegen wird es ihnen weder jetzt noch später möglich sein, sich um den Wiederaufbau der zurückgegebenen Kirche zu kümmern. Die Gläubigen aber, die auf kirchliche Handlungen aller Art warten, sind gezwungen, mit stundenlangem Warten viel Zeit zu vergeuden, was sich indirekt auch auf die Arbeitsproduktivität auswirkt. Und deswegen braucht Klaipėda zwei Pfarreien, zwei religiöse Gemeinschaften.

3.     Gestatten Sie dem Bischof, für die zurückgegebene Kirche einen Pfarrer zu ernennen, der für den Wiederaufbau der Kirche sorgen könnte; wir wünschen uns, den Priester Bronius Burneikis zu ernennen, der bei der Errichtung dieser Kirche mitgewirkt hat. Kein anderer wäre besser in der Lage, diese Arbeit durchzuführen.

4.     Wir bitten, die Kirche in professioneller Weise mit den von der Regie­rung zugeteilten Geldern aufzubauen, und wir, die Gläubigen, werden durch unbezahlte Arbeit dabei helfen.

5.     Wie bereits bekanntgegeben worden ist, wird die Kirche nicht erst in zwei Jahren zurückgegeben, sondern bis zum 1. Juli 1988 oder sogar noch früher; wir bitten Sie also, beide Bauten - das Wohnhaus und die Kirche -so bald wie möglich zurückzugeben.

Wir hoffen, daß diese unsere Bitte erhört wird und unsere Nöte zu Ende sein werden. Wir werden Ihnen dafür sehr dankbar sein.

Beilage: 69 Seiten mit 17600 Unterschriften der Gläubigen.

Klaipėda, am 31. August 1987.

P. S. Die Gläubigen der Stadt Klaipėda haben gemeinsam mit dem Kir­chenkomitee auch an die Regierung Litauens und die Stadtverwaltung der Stadt Klaipėda Erklärungen geschrieben, in denen sie ihre Freude über die Entscheidung der Regierung zum Ausdruck brachten, das den Gläubigen zugefügte Unrecht wiedergutzumachen. Eine gewisse Unruhe und Miß­trauen erregt aber die Tatsache, daß man erst in zwei Jahren von Worten zu Taten übergehen will. In den Erklärungen steht geschrieben: „Wir, das Komitee und die Gläubigen der religiösen Gemeinschaft der Katholiken der Stadt Klaipėda, haben mit Freuden die Nachricht aufgenommen, daß beschlossen wurde, uns die Kirche der ,Königin des Friedens' zurück­gegeben. Dieser Beschluß verursachte aber nicht nur Freude. Wir sind dar­über beunruhigt, daß in dem Beschluß zwei Jahre Zeit bis zur Rückgabe vorgesehen sind. Unserer Meinung nach ist die Frage der Rückgabe der Kirche nicht mehr neu und deswegen auch die Zeit der Rückgabe über­mäßig lang. Was haben wir getan, daß das geschehene Unrecht so lange nicht wiedergutgemacht wurde, warum müssen wir auch nach dem Fällen einer Entscheidung immer noch zwei Jahre lang unter diesem Unrecht leiden? Dies ist angesichts der Umgestaltung der Gesellschaft schwer zu verstehen.

Man muß sich nur vorstellen, was für einen Wert die von der Regierung angenommenen Beschlüsse zu verschiedenen Fragen der Umgestaltung hätten, wenn ihre Verwirklichung nicht sofort, sondern erst nach ein paar Jahren in Angriff genommen würden! Die Ideen der Umgestaltung sollten nicht nur die materielle, sondern auch die geistige Sphäre erfassen. Wenn wir von einer baldigen Rückgabe der Kirche reden, dann denken wir gerade an die Befriedigung der geistigen Bedürfnisse der Gläubigen, die genauso not­wendig ist, wie das materielle Programm zur Erneuerung der Gesellschaft.

Wenn wir um baldige Rückgabe der Kirche der „Königin des Friedens" bitten, meinen wir auch die dazu gehörenden Hilfsräume: das Pfarrhaus und den Kirchhof, ohne die die Kirche nicht normal funktionieren kann, weil sich dort die sanitären Einrichtungen, drei Garagen, Lagerräume, der Waschraum für die liturgischen Gewänder, der Trockenraum und die Wohnungen für die Priester befinden.

Uns bewegt auch das Schicksal der jetzigen Kirche. Sie muß den Katho­liken von Klaipėda belassen werden. Wir würden meinen, daß dies selbst­verständlich ist, weil die Tatsache der angewachsenen Zahl der Einwohner, also auch der Gläubigen, der Stadt Klaipėda dafür spricht. Während es im Klaipėda der Vörkriegsjahre 51.000 Einwohner und 5 Kirchen gab, leben zur Zeit schon allein etwa 102.000 Katholiken dort. Warum soll ihre Ver­sorgung nur einer Kirche überlassen werden?" (Die Sprache wurde nicht ausgebessert - Bern. d. Red.)

Petitionen mit der Forderung, die Kirche der „Königin des Friedens" von Klaipėda zurückzugeben, haben allein in diesem Jahr etwa 170000 Gläu­bige unterschrieben.

*

An die Kurie der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis Abschriften: An Priester Antanas Gražulis, Vikar der Pfarrei Alytus II. An Kanonikus J. Berteška, Dekan von Alytus

Erklärung

des Priesters A. Liesis, Benefiziant der Pfarrei Alytus II.

Am 23. September 1987 bekam ich Ihr Schreiben Nr. 888, geschrieben am 21. September 1987. Sie ernennen mich zum Pfarrer der Pfarrei Alytus II. für die Zeit, bis der Pfarrer, Priester Pr. Račiūnas, aus den USA zurück­kommen wird. Dieses Amt kann ich nicht annehmen. Ich kann es nicht aus folgenden Gründen:

1.     Ich bin nicht gesund, deswegen habe ich nicht die Kraft, um in einer so großen Pfarrei das Amt eines Pfarrers ausüben zu können.

2.     Nach den Cañones der Kirche vertritt im Notfall der Vikar den Pfarrer. Nachdem der Pfarrer nach USA verreist ist, müßte der Vikar, in diesem Falle Priester Antanas Gražulis, der gesund und in der Lage ist, dieses Amt auszuüben, selbstverständlich ohne Ernennungsschreiben, dieses Amt übernehmen. Bevor die Kurie mir diese Ernennung ausstellte, fragte sie mich nicht, ob ich in der Lage bin, das Amt eines Pfarrers auszuüben. Außerdem hat die Kurie diese Ernennung ausgestellt, ohne den Pfarrer, Priester Pr. Račiūnas, gefragt zu haben (das hat mir der Pfarrer, Priester Pr. Račiūnas selbst gesagt). Deswegen ist es mir vollkommen klar, daß die Kurie diese Ernennung nicht freiwillig, sondern nach dem Diktat des Be­vollmächtigten für religiöse Kulte P. Anilionis, ausgestellt hat. Die Kirche ist vom Staat getrennt, und P. Anilionis hat nicht nur kein moralisches, sondern auch kein religiöses Recht, den Bischöfen die Ernennung der Priester zu diktieren. Deswegen protestiere ich gegen diese Einmischung der Regierung in die Angelegenheiten der Kirche und bin mit dieser von P. Anilionis diktierten Ernennung nicht einverstanden.

Ein offener Brief an Generalstaatsanwalt der UdSSR

Abschriften: An die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens.

Am 28. August 1987 fuhr Nijolė Sadūnaitė um etwa 17 Uhr mit einem Personenwagen in Richtung Kaunas. Nach der Ortschaft Vievis hielten 6 oder 7 Milizmänner und einige Personen in Zivilkleidung ihr Auto an.

Ein kahlköpfiger Zivilist und ein Milizmann befahlen, Nijolė Sadūnaitė auszusteigen und in einen bereitstehenden „Žigulis" - Wagen hellgelber Farbe ohne Kennzeichen einzusteigen. Als Nijolė Sadūnaitė fragte, wes­halb sie angehalten werde, schrie der Zivilist böse: „Du hast gewußt, daß du nicht das Recht hast, aus Vilnius wegzufahren... Schon wegen der Demonstration am Sonntag (am 23. August gedachten die Bürger der Stadt Vilnius der Opfer des Hitler-Stalin-Paktes und N. Sadūnaitė hatte dabei eine Rede gehalten) allein wäre es noch zu wenig, dich zu erschießen.. "M Sie setzten N. Sadūnaitė zwischen einen Milizmann und den Sicherheits­beamten, der sie am 1. April 1987 festgenommen und von Antakalnis in das KGB-Hauptquartier gebracht hatte. Es wurde nur russisch gesprochen. Dann begann der Zivilist wieder auf litauisch zu drohen, daß man für die Dissidenten einen Stalin brauchte. Er, der Sicherheitsbeamte, würde alle Demonstranten selbst erschießen... Sie fuhren nicht nach Vilnius, sondern auf Schleichwegen durch die Wälder in Richtung Weißrußland.

Etwa um Mitternacht kehrten sie nach Vilnius zurück. Am Badestrand von Valakampiai kam aus einem Gebüsch eine Ablösung - drei Männer in Zivilkleidung, die man beim KGB angeblich als geistig zurückgebliebene jüngere Brüder von Dzeržinski bezeichnet.* Sie fuhren wiederum nach Weißrußland bis zur Stadt Molodetschno. Gegen 14 Uhr kehrten sie nach Valakampiai zurück, wo nach einiger Zeit wieder eine neue Ablösung aus dem Gebüsch vortrat, die N. Sadūnaitė über Ignalina, Sniečkus, Zarasai, Utena usw. bis 23 Uhr durch Litauen kutschierten. Die Miliz hat den „Žigulis" - Wagen ohne Kennzeichen zweimal angehalten, kaum aber hatte der Lenker des Wagens seine Dokumente vorgezeigt, salutierten die Miliz­männer und ließen ihn weiterfahren. In Ignalina verletzte dieser die Stra­ßenverkehrsordnung, aber nach der Überprüfung seiner Dokumente hat der Milizmann an Stelle der Bestrafung nur salutiert, und sie fuhren weiter. Gegen 23 Uhr brachten sie N. Sadūnaitė direkt vor ihre Wöhnungstür, befahlen ihr, nachts nicht wegzugehen und am Sonntag die Stadt Vilnius nicht zu verlassen. Die ganze Nacht bewachten zwei Männer die Wohnung von N. Sadūnaitė und gingen rauchend unter ihrem Fenster auf und ab.

* Soll wohl bedeuten, daß sie die fanatische, bedingungslose Härte und Brutalität des ersten Chefs der sowjetischen Geheimpolizei, Feliks Dzeržinskij, nicht jedoch dessen Intelligenz besaßen. (Anm. d. Hg. der dt. Ausg.)

Am selben Tag fuhr der Sakristan der Pfarrei Kiaukliai im Rayon Širvintai, Robertas Grigas, zusammen mit dem Bürger der Stadt Vilnius, Algirdas Masilionis, einem Arbeiter, der im Pfarrhaus gearbeitet hatte, gegen 23 Uhr nach Hause. Auf dem Rückweg hielten fünf Typen, die ihnen in einem Per­sonenauto vorausfuhren und später ungeniert zugaben, KGB-Mitarbeiter zu sein, das „Zigulis"-Auto von Masilionis an. Mit Gewalt zerrten sie Masi­lionis und Grigas aus dem Auto. Den letzteren stießen sie in ihr Auto, nachdem sie ihm einige derart kräftige Schläge versetzt hatten, daß ihm ein Backenzahn ausgebrochen und einer seiner Schuhe verloren gegangen war. Als sie Grigas nach Širvintai gebracht hatten, berieten sich die Sicherheits­beamten mit der Miliz, fuhren durch die verschiedensten Stadtviertel und berieten sich wiederum mit den Milizmännern. Einer fragte demonstrativ die anderen, ob sie einen Spaten mitgenommen hätten, und unter Drohun­gen, ihn zu erschießen und zu verscharren, brachten sie ihn in einen Wald. Nach einem etwa halbstündigen Aufenthalt im Wald fuhren sie ihn weiter. Damit er die Ortschaft nicht erkennt, nahmen sie Grigas die Brille weg. (Sie gaben sie ihm auch nicht mehr zurück.) Die Gewalttäter sprachen litauisch mit russischem Akzent. Um etwa 8 Uhr morgens hielten sie in einer unbekannten Stadt an und fingen an, ihm klarzumachen, daß diese ihre Aktion ein Denkzettel für seine Teilnahme an der Friedensdemonstra­tion in Vilnius sei. Bevor der Morgen kam, gingen zwei von ihnen weg und die Zurückgebliebenen dösten vor sich hin. Da sprang Grigas aus dem Auto und lief davon. In der Meinung, er befinde sich irgendwo in Rußland, rief er auf Russisch: „Ich bin Grigas Robertas, Bürger Litauens. Sollte mich jemand umbringen, dann sollt ihr wissen, daß das eine Tat des KGB ist." Auf seine Frage hin, sagten ihm die Leute aber, daß ihn die nächtlichen Räuber nach Joniškis (in der Erzdiözese Kaunas) gebracht haben. Robertas Grigas lief in die Kirche, wo der den Sakristan fand. Nach einiger Zeit kamen auch die zwei Priester, Pfarrer Juozas Dobilaitis und Vikar Alvydas Grabnickas, hinzu. Die Gläubigen schenkten dem Flüchtling ein paar Schuhe, eine Unterjacke (er war nur mit einem Hemd bekleidet) und etwas Geld, daß er nach Hause kommen konnte. R. Grigas ging zur Beichte, nahm an der hl. Messe teil, empfing die hl. Kommunion und informierte hernach auf Fahrten durch Litauen die Bevölkerung über die Aktionen des KGB.

Da schon seit einigen Tagen das Telefon im Pfarrhaus von Kiaukliai abgeschaltet war, rief der Pfarrer Rokas Puzonas von anderswo die Miliz in Širvintai an und berichtete über die brutale Entführung von R. Grigas. Aus der Milizabteilung erhielt er die Antwort, daß sich anscheinend Jemand einen Scherz erlaubt habe..." Daraufhin setzten sich Priester R. Puzonas und seine Gäste Vytautas Bogušis, Julius Sasnauskas, Algirdas Masilionis und Andrius Tučkus in zwei Personenautos der Marke „Žigulis" und fuh­ren nach Vilnius, um dort beim KGB das Schicksal von Robertas zu klä­ren. Die beiden Autos wurden den ganzen Weg von einem Wagen der Marke „Volga" ohne amtliches Kennzeichen verfolgt. An einer Wegkreu­zung in Šeškinė wurde das Auto Priester R. Puzonas' 30 Minuten nach Mitternacht von einem „Žigulis"-Auto Nr. 112 der Autoinspektion angehal­ten. Einer der Autoinspektionsbeamten verlangte auf russisch seine Papiere und befahl ihm, den Kofferraum zu öffnen. Zu derselben Zeit erschienen noch einige Autos der Marke „Žigulis" und der schon erwähnte Wagen der Marke „Volga". Sicherheitsbeamte stiegen aus, griffen nach Priester R. Puzonas und fingen an, ihn in das Auto mit dem Kennzeichen VAZ 210011 LID 32-37 zu zerren. V. Bogušis schrie den Autoinspektoren zu: „Männer, warum führt ihr die Befehle dieses KGB-Mannes aus?! Und du, KGB-Mann, tu nicht so, als ob du mich nicht kennen würdest." Darauf began der Sicherheitsbeamte mit häßlichen Worten zu fluchen und schlug einige Male auf V. Bogušis ein. Die Autoinspektoren und drei Sicherheitsbeamte zerrten den Priester zum Auto. Als dieser sich widersetzte, schlugen sie einige Male auf ihn ein, so daß Priester R. Puzonas stürzte. Sie zogen ihn wieder hoch, schleppten ihn in ihr Auto und befahlen, das Auto „Žigulis" des Pfarrers in die Autoinspektion zu fahren. V. Bogušis und A. Masilionis erreichten noch in derselben Nacht quer durch Südlitauen die Stadt Kaišia­dorys. Hier informierten sie Bischof Vincentas Sladkevičius über den Vorfall.

Drei Sicherheitsbeamte kutschierten den Priester R. Puzonas durch die Rayons von Vilnius und Trakai. Auf die Forderung des Priesters, ihn in eine Abteilung des KGB oder der Miliz zu bringen, antworteten die Ent­führer: „Bald wirst du es sehen, wohin wir dich bringen". Durch Vilnius, Nemenčinė, Pabradė, Švenčionys brachten sie ihn in einen Wald in Weiß­rußland. Sie hielten hier einige Male an und berieten sich untereinander. Einer der Sicherheitsbeamten drohte ihm: „Das menschliche Leben ist dir zu langweilig geworden, jetzt darfst du einmal das Hundeleben verkosten." Sie brachten ihn in das Städtchen Svyriai und ließen ihn um etwa 11 Uhr frei: „Du kannst nach Hause kommen, wie du willst. Diesmal hast du nur soviel von uns bekommen. Wenn du aber während der Predigten noch ein­mal den Ribbentrop-Molotow-Pakt erwähnst, wird es trauriger ausgehen. Fahre aber direkt nach Hause und mache keine Besuche." (...)

Während der Predigt berichtete Priester R. Puzonas seinen Pfarrkindern, aus welchen Gründen er mehr als einen Tag lang verschwunden war.

Da am 3. August noch keine Nachrichten von dem Schicksal des Robertas Grigas vorlagen, haben vier Bürger der Stadt Vilnius - N. Sadūnaitė, A. Terleckas, V. Bogušis, P. Cidzikas - ein Telegramm an M. Gorbatschow abgeschickt.

Nijolė Sadūnaitė, Vilnius, Architektų 27-2 Robertas Grigas, Rayon Širvintai, Kiaukliai Priester Rokas Puzonas, Rayon Širvintai, Kiaukliai Algirdas Masilionis, Vilnius, Ramunių 29-A Vytautas Bogušis, Vilnius, Savičiaus 13-8

Vilnius-Kiaukliai, am 1. September 1987.

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An den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkommitees von Širvintai, D. Tvirbutas

Erklärung der Gläubigen der Pfarrei Kiaukliai.

Stellvertreter, wir sind erschüttert und fühlen uns gekränkt durch das Ver­halten der Beamten unserem Pfarrer, Priester Rokas Puzonas, und unserem Sakristan, Robertas Grigas, gegenüber. In der Nacht des 28. August haben Sicherheitsbeamte sie überfallen, zusammengeschlagen, sie mit Gewalt in ein Auto hineingesetzt und die ganze Nacht unter Drohungen herum­kutschiert. Das taten sie, ohne ihre Ausweispapiere oder einen Beschluß des Staatsanwaltes vorgezeigt zu haben. Das ist Rowdytum! Ergreifen Sie Maßnahmen, damit solche Überfälle ein Ende nehmen und sich die Übel­täter vor dem Gesetz verantworten müssen. Am 11. September wurden au­ßerdem drei Mitglieder des Kirchenkomitees von ihrer Arbeit weg in das Kontor des Kolchos vorgeladen. Ihnen diktierte ein Beamter ein „Proto­koll", aus dem hervorging, daß unser Sakristan R. Grigas ab 14. September aus seiner Stellung entlassen sei, weil er, wie sie behaupten, Tätigkeiten nachgehe, die mit der Ausübung der religiösen Kulte gar nichts zu tun haben. Im Kontor wurde mit der Schließung der Kirche und der Fest­nahme des Pfarrers gedroht, falls der Arbeitsvertrag mit R. Grigas nicht aufgelöst werde. Wir, die Mehrheit der Mitglieder des Kirchenkomitees und Gläubigen der Pfarrei Kiaukliai, erklären hiermit: Das Amt eines Sakristans darf nur von so einem Menschen nicht versorgt werden, der sich sittenwidrig benimmt und die ihm übertragenen Pflichten nicht erfüllt. Gegen die Sittlichkeit von Robertas Grigas und gegen seine Pflichterfül­lung aber haben wir nichts einzuwenden; wir sind mit ihm zufrieden. Die zwangsweise Auflösung seines Arbeitsvertrages, die ohne unser Wissen vorgenommen wurde, betrachten wir als nichtig. Wenn bei uns schon eine Völksregierung besteht, dann bitten wir auch, die Meinung der Mehrheit zu berücksichtigen.

Am 17. September 1987.

Es unterzeichneten: 102 Gläubige der Pfarrei Kiaukliai, 12 davon Mitglieder des Kirchenkomitees.

An den Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow Abschriften: an die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens

Erklärung der Gläubigen der Pfarrei Žagarė und ganz Litauens

Seit alten Zeiten wurden die Überreste der Jungfrau und Märtyrerin der Keuschheit aus dem XVII. Jahrhundert, Barbora von Zagare, in der Krypta der alten Kirche von Žagarė vom gläubigen Volke besucht und verehrt. Aus] ganz Litauen reisten Leute zum Grab der Heldin des Glaubens und der Sittlichkeit, um dort zu beten. Im Jahre 1961, als die atheistische Kampagne N. Chruschtschows begann, wurde die Kirche von Žagarė enteignet und geschlossen.

Im Jahre 1963 wurden die sterblichen Überreste der Barbora von Žagarė von Regierungsbeamten aus der Krypta der geschlossenen Kirche entfernt und weggebracht.

Wir haben gehört, daß aus Anlaß des 1000-jährigen Jubiläums der Taufe Rußlands die Überreste mancher Heiliger der orthodoxen Christen, die von der sowjetischen Regierung weggebracht worden waren, den Gläubi-gen zurückgegeben worden sind.

Wir bitten Sie, in diesem Jahr, aus Anlaß des 600-jährigen Jubiläums der Taufe Litauens, auch unserer Kirche die Überreste der Barbora von Žagarė zurückzugeben.

Im Jahre 1987.

Es unterzeichneten:

Bischof Julijonas Steponavičius        Priester V. Brusokas

Priester K. Jakaitis        Priester G. Gudanavičius

Priester B. Antanaitis        Priester V. Tamoševičius

Priester B. Stasuitis        Priester L. Baliünas

Priester J. Povilaitis        Priester J. Burota

Priester J. Gedvilą        Priester J. Dobilaitis

Priester P. Ščepavičius        Priester A. Pakamanis

Priester P. Matulaitis        Priester K. Žukas

Priester A. Jokubauskas        Priester V. Polikaitis

Priester V. Požėla        und etwa 4720 Gläubige

Priester L. Jagminas        aus ganz Litauen.

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Ein offener Brief an die Redaktion der Rayonzeitung „Lenino vėliava" (Die Flagge Lenins) von Širvintai.

Verehrte Redaktion,

In der Nummer der Rayonzeitung von Širvintai vom 13. August erschien ein Artikel, der aus dem Presseorgan von Kapsukas „Naujasis kelias" („Der neue Weg") übernommen wurde. Darin sind einige Streiflichter der Feier­lichkeiten des seliggesprochenen Jurgis Matulaitis tendenziös wiedergege­ben. Es wird dort geschrieben: »Eine Gruppe von Personen versammelte sich auf einer Straßenkreuzung in der Nähe der Kirche und begann zu singen.

pie Neugierigen, die sich um sie scharten, hinderten die Leute, die durch das Gedränge in der Kirche erschöpft waren, in die Stadt zu gehen. Nach einiger Zeit konnte man dieselben „Sänger" auf dem Kirchhof sehen, [vlanche von ihnen fingen dort an zu schreien, daß ihnen gewisse Freiheiten fehlten. Es war schwer zu verstehen, was diese Personen damit erreichen wollten. Wo gibt es denn das, daß einige Eigenbrötler die erhabene feier­liche Stimmung der Teilnehmer ungehindert verderben dürfen?« Weiter werden die Regierungsbeamten dazu aufgefordert, strenger gegen derartige „Exzesse" und „Verletzungen der öffentlichen Ordnung" vorzugehen. Die Redaktion behauptet in einer Zusatzbemerkung, von kompetenten Orga­nen erfahren zu haben, einer der Organisatoren dieser „Verletzungen" sei Robertas Grigas, der Sakristan von Kiaukliai, gewesen, der ja nicht zum ersten Mal die Gläubigen zu antigesellschaftlichen Tätigkeiten aufgewiegelt habe und auch schon früher von Justizorganen verwarnt worden sei. Die Redaktion der Rayonzeitung von Širvintai fügte von sich aus noch hinzu, der genannte Bürger habe keine Reue gezeigt, und seine antigesetzlichen Tätigkeiten verdienten eine strengere Bewertung durch die Organe der Rechtspflege und eine Verurteilung durch die Gläubigen, weil die „Aus­übung der religiösen Kulte nichts mit Verletzungen der gesellschaftlichen Ordnung und nichts mit Exzessen zu tun hat, die sich der sowjetischen Ordnung widersetzen".

Gerade darüber möchte sich der beschuldigte Sakristan von Kiaukliai mit Ihnen unterhalten. Zuerst wundert mich die fehlende Logik des S. But-kauskas und der vier Bürger der Stadt Kapsukas (deren Namen die Zeit­schriften nicht veröffentlicht hatten), die diese Anschuldigungen gegen mich abgegeben haben. (...) Auf der Straßenkreuzung und auf dem Kirch­hof haben wir das Nationallied Litauens gesungen, und darauf applaudierte nicht eine „Gruppe" von „Personen", sondern ein großer Teil der Teilneh­mer der Feierlichkeiten. Es ist also naiv zu behaupten, daß dies ihre Stim­mung hätte verderben können. Was nützt es außerdem, wenn sich die Zen­tralpresse und die Presse der Republik gegen die Zensur aussprechen, wenn sie selber kostbare Werte des national-kulturellen Erbes über Bord werfen und das „Nationallied" von V. Kudirka bei gewissen Leuten eine unerklärliche Angst hervorruft, so daß dies als „Verletzung der öffentlichen Ordnung" angesehen wird? Diese Anstrengungen sind umsonst - die abso­lute Mehrheit des Volkes schätzt diese leidvoll bewahrten geistigen Werte. Je strenger sie verboten werden, desto kostbarer werden sie. Das litauische Volk wird niemals atheistisch werden, weil der Atheismus die höchsten Werte vernichtet und durch materielle Dinge den Gesichtskreis einschränkt.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch auf den vagen Inhalt des Begriffs „antigesellschaftliche Tätigkeit" lenken. Auf dem Kirchhof der Kirche von Marijampolė habe ich zu denen gesprochen, die mich hören wollten, und ich habe über das gesprochen, was mein Herz und die Herzen aller bewuß­ten Katholiken bedrückt. Das kann ich voll verantworten und auch jetzt wiederholen: Trotz der Freude über die Seligsprechung des Erzbischofs Jurgis trauern wir um die drei unrechtmäßig eingekerkerten Priester Sigitas Tamkevičius, Alfonsas Svarinskas und Jonas-Kąstytis Matulionis wie auch um die anderen Litauer, die wegen der friedlichen Äußerung ihrer Mei­nung verurteilt worden sind; wir trauern vor den geschlossenen Kirchen, besonders vor der Wiege des Christentums in Litauen - vor der Kathedrale von Vilnius; wir trauern um die St. Casimir-Kirche, die zur groben Verhöh­nung der Gläubigen zu einem Museum des Atheismus umfunktioniert wurde; wir trauern um die Jugend, der auf verbrecherische Weise die Mög­lichkeit genommen ist, die Schönheit der Lehre Christi und die universale Harmonie kennenzulernen; wir trauern um die Jugend, die auf diese Weise in die Gottlosigkeit, in Drogenmißbrauch, in die Prostitution und in die Hände der „Punker" getrieben wird. Wir wenden uns an alle, nicht im Zorn, sondern nur mit dem ganzen Mitgefühl der Liebe, und zwar sowohl an unsere christlichen Brüder, als auch an unsere Zeitgenossen, die in der Finsternis der moralischen Irrtümer nach Atem ringen, und auch an die uns verfolgenden Beamten - denkt doch einmal darüber nach! Nur ein-sittlich hochstehendes Litauen wird ein freies Litauen sein! Und sittlich wird Litauen nur mit Christus!

Das sind auch meine Anschauungen. Ich bin bereit, für jedes hier geschrie­bene Wort ins Gefängnis zu gehen, weil ich sie für wahr halte. Das inter­nationale Recht, alle die Dokumente, wie die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte, die Schlußakte von Helsinki und schließlich auch die normale zwischenmenschliche Verständigung garantieren die Redefreiheit, d.h. die Möglichkeit, die eigene Meinung frei zu formulieren, sie den anderen mitzuteilen und die Meinung der anderen Menschen oder Menschengruppen zu kritisieren. Aus dem Applaus der Teilnehmer dieser Feierlichkeiten entnehme ich, daß die geäußerten Gedanken niemanden geärgert haben, wenigstens ist keiner gekommen, um sein Unbehagen vor-j zubringen. Dagegen haben sich mehr als vier Bürger von Marijampolė und auch Auswärtige bedankt und ihre volle Solidarität zum Ausdruck gebracht. Das kann man gut verstehen, denn wir, die Katholiken, haben ernste Gründe, über die Gerechtigkeit zu reden. Die drei verurteilten Prie­ster haben schon vor zehn Jahren entschlossen von der Ausbreitung des Alkoholismus gesprochen und wurden deswegen Verleumder der sowjeti­schen Gesellschaftsordnung genannt. Heute aber wird der Alkoholismus von der Tribüne Gorbatschows aus mit nicht minder scharfen Tönen verur­teilt: es gibt jetzt sogar ein Journal, das sich „Nüchternheit und Kultur" nennt (leider bislang nur in russischer Sprache).

Die genannten Priester haben die Praxis an den Schulen demaskiert, wonach Schüler zwangsweise, ohne ihre Anschauungen zu berücksichtigen und sogar ohne sich zu bemühen, sie von der obligatorischen „Wahrheit" des Atheismus zu überzeugen, in atheistische Organisationen eingetragen werden. Deswegen wurden sie der Anschwärzung des Bildungssystems beschuldigt. Die „Komjaunimo tiesa" („Die Wahrheit der Kommuni­stischen Jugend") aber schreibt heute offen von der „Prozentomanie", die bis jetzt die Mehrheit der Jugendlichen in die kommunistischen Organisa­tionen gebracht hat, ohne überhaupt nach ihren Anschauungen zu fragen. Lesen Sie, bitte, die Überlegungen der Sekretärin der Kommunistischen Jugend an der 47. Mittelschule zu Vilnius, Daiva Česnulevičiūtė, in der Nr. 6 der Zeitung „Moksleivis" („Der Schüler"): „Lehrt man uns nicht, allzu vieles zu verwerfen, ohne es zu kennen; Da Sie mir erlaubt haben zu reden, werde ich Ihnen noch einen Zweifel vorlegen. Bestehen die Eck­steine des Fundaments unserer Weltanschaung nicht nur aus purer Ver­leugnung? Daß es keinen Gott gibt, wissen wir schon von der ersten Schul­klasse an. Wurde uns diese Behauptung aber irgendwann einmal einsichtig gemacht? Nein. Das mußte man sich merken, wie man sich das Schreiben der Wörter einprägen mußte. (...) Unsere gesamte materialistische Welt­anschauung ruhte bis jetzt auf sehr schwachen wissenschaftlichen Funda­menten, und deswegen sind sie so leicht ins Wanken zu bringen."

Wie man sieht, waren auch auf diesem Gebiet die sogenannten Verleumder im Recht. Ebenso verhält es sich bei der Analyse aller anderen Anklagen, die man gegen sie und uns, die Katholiken Litauens, die ihre Rechte vertei­digen, vorbringt. Das bedeutet aber nicht, wie Sie ganz genau wissen, daß sie deswegen in die Freiheit entlassen werden, und daß für uns keine Gefahr besteht, verhaftet zu werden. Mir braucht man nicht zu drohen. Ich verstehe schon auch so. Mein ganzes Verschulden liegt darin, daß ich meine Zweifel und meine Unruhe geäußert habe, ohne eine Erlaubnis zu reden abzuwarten. Wie die in der Zeitung „Der Schüler" erwähnte Bürge­rin aus Vilnius, habe ich das Wort ergriffen und das jedem Menschen ange­borene Recht, Lüge und Gewalt zu verurteilen, in Anspruch genommen. Sie nennen das „antigesellschaftliche Tätigkeiten" und drohen mir mit Organen der Rechtspflege, obwohl ich weder dazu aufgerufen habe, irgendwo Fenster einzuschlagen, noch die Passanten zu belästigen; im Gegenteil, ich habe dazu aufgefordert zu vergeben, für jene zu beten, die die Kirche und das Volk verfolgen, sie durch die Langmut der Märtyrer und durch Güte zu entwaffnen (so, wie die Parole des Seligen Matulaitis auf der Fassade der Kirche gefordert hat - „Böses mit Gutem besiegen").

Ich empfinde keinerlei Haß gegen Sie. Die Tatsache, daß Sie sich am Verrat ihrer Landsleute und an der Hetzkampagne gegen sie beteiligen (wie solche Erscheinung auf erschütternde Weise der ausgezeichnete Film von

Abuladze zeigt), muß ja nicht unbedingt Ihre persönliche Schuld sein, son dem kann auch das Ergebnis der Erziehung, der Umgebung oder eines übertriebenen Gehorsams sein. Versuchen Sie aber trotzdem zu begreifen, daß die Gefahr für die Gesellschaft nicht von denen kommt, die um jede Preis ihre Anschauungen behalten und sie verteidigen.

Die Gefahr für die Gesellschaft kommt aus solche Strukturen, die Leute wie Variamus Arawidze hervorbringen, aus solchen Strukturen, die alle zu „Verletzern der Ordnung" abstempeln, die die einzige zugelassene Doktrin nicht anzunehmen geneigt sind, obwohl sie schon hundertmal ihre Unmenschlichkeit bewiesen hat. Man möchte doch nicht glauben, daß in den Nachkriegsjahren nicht auch ein Baumstamm von Norden hierher geschwommen ist, auf dem der Name eines Ihrer Verwandten eingeritzt war (vergl. den Film „Die Reue").

Was aber die Verärgerung der Gläubigen betrifft, die behaupten, die religio-sen Kulte hätten nichts mit gesellschaftlichen Aktivitäten zu tun, so könnte hier am besten der Gedanke des Verteidigers der Schwarzen in Südafrika, Erzbischof Desmond Tuto, zitiert werdens: „Die Kirche, die die Sache der Benachteiligten und der Armen verteidigt, kommt unvermeidlich in Kon-flikt mit der Regierung, die sie der Einmischung in die Politik beschuldigt. Die Kirche darf sich aber angesichts der Ungerechtigkeit nicht passiv ver­halten."

Kiaukliai, am 13.8.1987.

Robertas Grigas.

*

Am 5. September hat der Journalist der Rayonzeitung „Lenino vėliava" („Die Flagge Lenins") von Širvintai, S. Jonaitis, versucht, in seinem Artikel auf den offenen Brief von Robertas Grigas eine Antwort zu geben.

In seinem Brief vom 22. September 1987 an die Redaktion, zeigt sich R. Grigas unzufrieden mit der Antwort des Journalisten: „Statt daß sie den ganzen Text meines Briefes wiedergeben und erst dann darüber diskutie­ren, wie das der Geist der Offenheit verlangt, suchen Sie sich nur einige Gedanken aus, und verwerfen sie. Dem, der den zugeschickten Text nicht gelesen hat, ist es in der Antwort von S. Jonaitis kaum möglich, sich Klar­heit zu verschaffen, worüber darin gesprochen wird. Das ist eine unehrli­che Art des Dialogs, und wenn es immer so ist, verliert die Diskussion ihren Sinn. Drucken Sie doch das Ganze ab, die Menschen sollen doch die Möglichkeit bekommen, die Argumente sowohl der einen, wie auch der anderen Seite zu vergleichen. So verstehe ich die Demokratie", - schreibt Robertas Grigas.

In seinem Brief antwortet Robertas Grigas auch auf ihm neu vorgehaltenen Anschuldigungen. Wir geben einige Stellen dieses Briefes wieder:

»Sie stellen die Frage: „Wann und wo sind die Gläubigen wegen ihrer Teilnahme an religiösen Riten verurteilt oder kritisiert worden?" Wenn Sie Zeugen brauchen, kann ich mit einer Schar von Gleichaltrigen in die Redaktion kommen, die Ihnen über dieses System der „Kritik" erzählen werden - und zwar über ein antikonstitutionelles System - und darüber, wie die Schule, die Arbeitsstelle auf ihre Teilnahme an religiösen Riten reagiert haben. Was da alles für Verspottungen, Druckmaßnahmen und Strafmethoden ausgeklügelt wurden!

Noch strenger wird reagiert auf Versuche der Bürger, auf friedliche Weise ihre Unzufriedenheit mit der Staatsideologie oder mit dem amoralischen Tun des Staates zum Ausdruck zu bringen. Eine große Anzahl unserer Landsleute hat das am Denkmal des Adomas Mickevičius in Vilnius am 23. August getan. Nachher, in der Nacht des 28. August, haben uns Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, ohne ihre Papiere oder einen Beschluß des Staats­anwaltes vorgezeigt zu haben, in ihre Autos gezerrt und unter Drohungen die ganze Nacht herumkutschiert. Die Bürgerin der Stadt Vilnius, Nijolė Sadūnaitė, haben sie auf ähnliche Weise entführt und etwa 30 Stunden lang herumkutschiert. Damit haben sie noch einmal bewiesen, daß sie gegen unsere Wahrheit, gegen das Wort, nur ein Argument haben - die Faust und Morddrohungen, wie ich sie erleben mußte. (...)

Ebenso ist es unnötig, daß ihre Zeitschrift die Worte „Opfer des Stalinis­mus" in Anführungszeichen schreibt. Die Opfer des Nationalsozialismus sind gezählt, mit Denkmalen geehrt, die Verurteilung der braunen Pest wird in Museen aufbewahrt, die Kriegsverbrecher sind im Prozeß von Nürnberg bestraft worden. Warum löst dann schon allein der Versuch, über jene Menschen zu reden, die zur Zeit des sogenannten „Personenkults" unschuldig ums Leben gekommen sind, ein derartiges Entsetzen aus? Ist denn über dieses Verbrechen schon alles gesagt?! Oh nein! Das gibt auch unsere Presse zu, indem sie die „weißen Flecken" in unseren Geschichts­büchern bedauert. Das demaskierte Übel wird aber nicht wiedergut­gemacht. Unmenschlichkeit muß ans Tageslicht gezogen und verurteilt werden, gleichgültig, ob sie sich unter dem schwarzen Hakenkreuz oder unter einem roten Stern versteckt. Sie attackieren uns mit Verachtung und Drohungen, daß wir, die wir von der Unabhängigkeit Litauens reden, uns ein Litauen „der Herren und der Pfaffen" wünschen. Diese Dinge, die „Herrschaftsordnung" und die Unabhängigkeit Litauens, haben nichts mit­einander zu tun. Das Recht Litauens, aus der Union der sowjetischen Republiken auszutreten, wird durch den Artikel 69 der Verfassung der UdSSR garantiert. Warum wird die Erhebung dieser Frage als Vergehen und als indiskutabel betrachtet?!

Sie beschuldigen mich, daß ich die „bourgeoise Kultur" befürworte. Wer bestimmt aber, welche Kultur „bourgeois" und welche „fortschrittlich" ist? Wie wir schon aus der sowjetischen Presse erfahren haben, wurde in Kambodscha im Namen des Sozialismus praktisch das gesamte reiche geschichtliche Erbe des Landes vernichtet, nachdem es als „bourgeoises" deklariert wurde. Es hat sich gezeigt, daß die jetzt leider irreparabel ver­nichteten Wertsachen einen goldenen Schatz der Nationalkultur ausge­macht haben. Wiederholen sich nicht manche Nuancen dieser Tragödie auch in der Geschichte Litauens? Wer besitzt denn die Allwissenheitsgabe, um beurteilen zu können, was dem Volke annehmbar oder unannehmbar ist? Lassen Sie doch das Volk selbst darüber entscheiden.«

*